„Coronaoper“ – Gastartikel von Tanja Kuhn

Tanja Kuhn/Foto @ Tanja Kuhn

Wir durchleben gerade eine Zeit, an die wir uns definitiv noch lange zurückerinnern werden. Es ist eine Zeit, die eine noch nie dagewesene Situation für unsere Gesellschaft darstellt, die viele Bereiche unseres Lebens einschränkt, uns daran hindert unseren Alltag zu leben und am Genuss von Kultur teilzunehmen. Es ist eine Situation, die auch für die Oper historisch ist und immer wieder werde ich in der letzten Zeit gefragt, wann ich glaube wieder auf der Bühne stehen zu können. Allerdings ist die Beantwortung dieser Frage viel komplexer als sie auf den ersten Blick scheint. Es gilt nämlich eben nicht nur dafür zu sorgen, dass das Publikum keiner Ansteckungsgefahr ausgesetzt ist.

Was wäre denn also nötig um, unter den gegebenen Umständen, zeitnah wieder eine Art Spielbetrieb aufnehmen zu können und wie könnte dieser aussehen? Auch wenn man im Moment noch nichts tun kann, außer, wie wir es ja alle die letzten Wochen zur Genüge gehört haben, auf Sicht zu fahren, können wir uns ja einmal Gedanken darüber machen. 


 

Zunächst gäbe es einzelne Aspekte des Opernbetriebs zu beleuchten. Da wären einerseits die räumlichen Gegebenheiten eines Opernhauses. Grob aufgelistet wären das: Die Vorhalle mit Kartenverkauf, Einlass, Besuchergarderobe, natürlich der Zuschauerraum, der Orchestergraben, die Bühne und dann die Bereiche hinter der Bühne, wie Garderoben, Maskenräume, Probenräume für Sänger und Orchester, Arbeitssäle von Technik, Bühnenbild und Kostüm, Büros der Verwaltung, sowie meist eine Kantine.

Andererseits kommen Fragen zum eigentlichen Musizieren in Pandemiezeiten auf. Gibt es die Möglichkeit mit Mundschutz zu singen? Und wenn ja, mit welchen Masken funktioniert es am besten? Bedeutet das, wir brauchen akustische Verstärkung durch ein Mikrofon?

Und wie wird mit den Kollektiven wie Chor und Orchester verfahren? Und wie wäre es eigentlich mit einem Antikörpernachweis?

Tanja Kuhn/Foto @ Tanja Kuhn

Wie könnte also so eine Vorstellung in Corona Zeiten, vereinfacht dargestellt, aussehen?

Die obersten Regeln sind natürlich Abstand und Atemschutz. Beim Publikum würde das bedeuten, dass jede zweite Reihe frei bleiben könnte, so wie jeder zweite oder sogar dritte Sitzplatz. Hausgemeinschaften und Paare könnten zusammen sitzen. Das Tragen eines Mundschutz wäre natürlich ratsam. Zudem könnte es einen normalen Sitzbereich für Besucher mit nachgewiesener Immunitäten geben. Hierzu könnte man sich Gedanken über einen bescheinigten Antikörpernachweis machen. Menschen die nachweislich eine Corona-Infektion überstanden haben und Antikörper im Blut nachweisen können, könnten sich vom Arzt eine Bescheinigung ausstellen lassen. Dieser ermöglicht ihnen dann vielleicht eine unbeschränkte Teilnahme am öffentlichen Leben ohne Infektionsrisiko für sich und andere. Noch gibt es so etwas wie einen natürlich Antikörper-Pass nicht, aber wer weiß was noch alles auf uns zukommt.

Dazu müsste natürlich erst die Frage geklärt werden, ob nach einer überstandenen Corona Infektion tatsächlich eine Immunität besteht.  

Für den normalen Theaterbesucher ohne Antikörper-Pass müsste dann zusätzlich natürlich der Aus- und Einlass geregelt werden.

Man könnte hier beispielsweise mit dem Kauf des Tickets eine bestimmte Uhrzeit zugewiesen bekommen, in der man das Theater zu betreten und seinen Platz einzunehmen hat. Diese müsste zeitlich so gewählt sein, dass sich die Reihen von innen nach außen füllen. Bis zur jeweiligen Einlasszeit müssten die einzelnen Publikumsgruppen dann eventuell mit Abstand vor dem Theater warten, bis jeder eingelassen wird. Ausserdem könnte man dann, um Schlangenbildung im Theater zu vermeiden, direkt zur Garderobe und dann auf den Platz gehen. Platzanweiser bräuchten natürlich entsprechende Schutzkleidung oder einen Antikörper-Pass. Nach diesem Prinzip könnte auch der Auslass geregelt werden.

Die Tickets könnten ausserdem mit einem Vermerk versehen sein, auf dem zu lesen ist, wie lange man warten muss, bis man nach der Aufführung den Saal verlassen darf. Man könnte hier durch akustische Signale unterstützen. Gruppe 1 verlässt den Saal beim ersten Tonsignal, Gruppe 2 beim Zweiten, usw..

Auf das Verlassen des Saales für eine Pause müsste verzichtet werden, oder man führt Pausen ein, die lang genug sind, um auch hierfür das Verlassen und Wiederbefüllen des Saales durch akustische Signale zu unterstützen oder die Gruppen ausrufen wie beim check-in auf dem Flughafen. Problematisch wäre hierbei nur, dass die außen sitzenden Gäste grundsätzlich eine deutlich längere Pause hätten als die mittig platzierten. Daher müsste man sich überlegen, ob man die Zuschauer nach der Pause von außen nach innen durchtauscht.

Natürlich sollten dann während der Pause die Armlehnen desinfiziert werden und wenn möglich alle Geländer und Türklinken während der laufenden Vorstellung. Um Toilettenschlangen zu vermeiden, könnten ausreichend mobile Toilettencontainer vor den Theatern platziert werden und eine Pause wäre im Freien zu verbringen. Hierfür könnte man beispielsweise Pavillons aufbauen. Der Zuschauerraum sollte nach Möglichkeit in einer Pause gut gelüftet werden, da sich das Covid-19 Virus in der Luft anreichert.

Wie das Publikum Vorstellungen unter solchen Bedingungen annehmen wird, bleibt allerdings abzuwarten.

Nach dem Blick auf die Regelung des Zuschauerstroms, schauen wir uns die Situation im Orchestergraben an. Hier wird es komplizierter.

Ein Dirigent kann mit leichten Einschränkungen gut mit Mundschutz dirigieren, im Orchestergraben sind allerdings bei einer Aufführung des gängigen Opernrepertoires einfach zu viele Musiker auf engstem Raum, um einen ausreichenden Mindestabstand zu gewährleisten! Was bedeutet das nun für die Orchestermusik?

Tanja Kuhn/ Foto: Kaare Viemose

Die Aufführung von Stücken in der Originalbesetzung scheint, aufgrund der Menge an benötigten Musikern im Orchestergraben, nicht realisierbar. Sollte also Oper in irgendeiner Weise in den nächsten Monaten gespielt werden können, bedarf dies einen geradezu unvorstellbaren Eingriff in das jeweilige Werk an sich. Eine Oper ist ein bestehendes Gesamtkunstwerk und der Gedanke daran, dieses Gesamtkunstwerk durch einen Eingriff wie beispielsweise ein Umschreiben für eine kleinere Besetzung oder gar eine reine Streicherbesetzung zu kastrieren, erscheint geradezu grotesk.

Aber kann man es vielleicht rechtfertigen, wenn keinerlei Opernvorstellungen die einzige Alternative ist? Wenn wir sonst eine Welt ohne Oper vor uns hätten, vielleicht sogar über Jahre?

Überlegen wir uns, wie es aussehen kann wenn wir diesen drastischen Schritt doch wagen. Da Blasinstrumente nicht ohne Mundschutz zu bedienen sind, scheint es fast, als müsste man gänzlich auf sie verzichten, außer es gäbe die Möglichkeit spezielle Mundschutze zu entwerfen. 

Wenn man also nicht plant, Opern nur mit Klavierbegleitung oder im Freien zu spielen, müsste die aufzuführende Oper für eine reine Streicherbesetzung umgeschrieben werden, die klein genug ist um unter Einhaltung des Sicherheitsabtandes in den Graben zu passen. Sollten für einige Opern Blasinstrumente unabdingbar sein, müssten auch die Blasinstrumente auf ein Minimum reduziert werden und mit Schutz und extra Abstand zu den Kollegen im Orchestergraben platziert werden. Auch eine Platzierung der Bläser auf der Seitenbühne wäre zu überlegen. Durch das Umschreiben der Opernwerke in eine reine Streicherbesetzung, wäre es allerdings einfacher die bestehenden Hygieneregeln einzuhalten, da das Tragen eines Mundschutzes für alle möglich wäre und der Sicherheitsabstand zwischen den einzelnen Musikern gewährleistet werden könnte.

Ich persönlich empfinde den Gedanken, an so einen radikalen Eingriff in ein Werk an sich, allerdings als extrem verstörend. Eine Alternative wäre es, nach bestehenden Stücken zu suchen, die von sich aus schon mit einer sehr kleinen Besetzung auskommen oder sich zunächst auf Liederabende mit Klavierbegleitung zu beschränken. Was macht man dann allerdings mit all den bereits bestehenden Verträgen?

Denken wir an das nächste Kollektiv, den Chor.

Der Gedanke, diese Masse von Menschen, gemeinsam auf der Bühne in Richtung des Publikums ausatmen zu lassen, denn nichts anderes ist singen, erscheint in Corona Zeiten absolut fahrlässig zu sein. Zudem ist die Ansteckungsgefahr für einen Choristen unzumutbar hoch. Eine Alternative wäre, den Chor aufzunehmen und ihn dann in der Aufführung einzuspielen. Die meisten Theater haben hierfür die notwendige technische Ausstattung. Dass der Chor hierdurch unglaublich auf der Szene fehlen wird, ist nicht zu leugnen und somit ist diese Lösung nicht für jede Oper denkbar. Man stelle sich einen Lohengrin ohne Chor vor.

Und was ist mit den Solisten auf der Bühne?

Dafür müssen wir uns ganz klar die Frage stellen, kann man mit einem Mundschutz ausreichend atmen und singen?

Ich selbst habe mit verschiedenen Mundschutztypen versucht zu singen und ich muss sagen, dass ich selbstverständlich gerne darauf verzichten würde. Wenn allerdings die einzige Alternative ist, stumm zu bleiben, ist es, je nach Mundschutz, sogar besser machbar als ich es für möglich gehalten habe. Mit einem selbstgenähten Stoff-Mundschutz ist es tatsächlich unmöglich, aber ein medizinischer OP-Mundschutz lässt tatsächlich sowohl genug Atemluft durch um ausreichend zu atmen, als auch genug Ton hinaus, so dass man keine Verstärkung benötigt. Mit dem zusätzlich reduzierten Orchester wäre das also ebenfalls realisierbar, auch wenn man nicht von einem Optimalzustand sprechen kann. Vielleicht müsste man allerdings ab und zu den Mundschutz abnehmen um durchzuatmen, wenn man sich weit genug von den Kollegen entfernt befindet.

Idealerweise sollte allerdings jede Partie doppelt besetzt sein, damit es jedem Sänger möglich ist, im Falle des geringsten Halskratzens oder Unwohlseins, sofort an die andere Besetzung übergeben zu können, um eine Infektionskette zu vermeiden. Ein Sänger mit Antikörper-Pass könnte natürlich auch auf die Maske verzichten.

Nicht zu leugnen ist, dass natürlich durch die Maske alles mimische Spiel restlos verloren geht.

Zusätzlich müsste man mit extra Abstand spielen und damit rechnen, mehrere Masken an einem Abend pro Sänger zu verbrauchen, da mit der Atemluft und Artikulation beim Singen sehr viel Feuchtigkeit austritt und die Maske somit nicht mehr den benötigten Schutz gewährleisten kann. Eventuell wären auch halbkonzertante Aufführungen die Alternative. Andererseits könnte man sonst die Neuproduktionen so inszenieren, dass sie mit Masken und ohne Chor funktionieren.

Für Maske und Kostüm müssten eventuell ebenfalls Container im Freien zur Verfügung stehen, um mehr Platz zwischen den Solisten zu schaffen, falls das Theater nicht genügend Räumlichkeiten für Sologarderoben zur Verfügung hat.

Und was ist mit der Probenarbeit? Tatsächlich besteht der Beruf eines Opernsängers ja nicht nur aus Vorstellungen. Viel mehr Zeit verbringen wir mit den Proben um ein neues Stück auf die Bühne zu bringen.

Tanja Kuhn als Senta / Teatro Petruzzelli di Bari

Hier habe ich tatsächlich die Hoffnung, dass wenigstens der Probenbetrieb bald wieder aufgenommen werden kann. Vielleicht sogar Vorproben für Stücke, die erst 2021 auf dem Spielplan stehen oder nach 2021 verschoben wurden. Man kann hier auch so disponieren, dass sich nie zu viele Personen gleichzeitig auf der Probenbühne befinden und die Probebühnen sind groß. Nichtsdestotrotz bleibt es schwierig sich vorzustellen, für etwas zu proben von dem man nicht konkret weiß, wann man es aufführen darf.

Wenn ich mir nun diese ganzen Maßnahmen ansehe, sinkt mir der Mut.

Ich muss zugeben, dass sehr viel Aufwand betrieben und tiefe Eingriffe vorgenommen werden müssten, um wieder Oper auf die Bühne zu bringen, von den finanziellen Aspekten und der ungeklärten Finanzierung ganz zu schweigen.

Zudem wirft die ganze Thematik mehr Fragen auf, als dass sie Antworten gibt, aber ich glaube insgesamt betrachtet, ist der Weg das Ziel. Man muss wieder anfangen Opern zu spielen, wenn auch zunächst mit Einschränkungen. Nach jeder Vorstellung wird man Stück für Stück aus den neuen Erfahrungswerten lernen und weitere Veränderungen vornehmen, um ein immer besseres System zu finden, in welchem man die Sicherheit aller weitestgehend gewährleisten kann, ohne, dass unsere Gesellschaft vollständig auf Kultur verzichten muss.

Sonst können wir nur abwarten bis es einen Impfstoff gibt – und wer weiß, wie lange das dauern kann.

 

  • Gastartikel von Tanja Kuhn  
  • Tanja C. Kuhn ist eine international erfolgreiche jugendlich-dramatische Sopranistin aus Heidelberg. Sie war Mitglied des Ensembles der Danish national Opera und in verschiedenen Theatern in Japan, Italien und Deutschland zu hören. Zu ihrem Repertoire zählen Partien wie Senta im fliegenden Holländer, Salome, Tatjana in Eugen Onegin und Micaela in Carmen

  • Website der Künstlerin
  • Titelfoto: Tanja C. Kuhn / Foto @ Jes Vang 

 

Im Vorfeld hatte ich für mein DAS OPERNMAGAZIN bei der Sopranistin Tanja Kuhn um ein kurzes Interview zur persönlichen Einschätzung der aktuellen Situation angefragt. Sie selbst ist durch die Coronakrise, wie viele ihrer Kollegen und Kolleginnen, auch betroffen. Ihr länger geplanter Auftritt in Tokio, wo sie in diesem Monat die Wesendonck-Lieder und den Schlussgesang aus SALOME singen sollte, ist nur einer ihrer Termine, die der Krise bedingt, abgesagt werden mussten. Aus dieser Interviewanfrage ergab sich dann ein sehr intensiver Gesprächskontakt und Frau Kuhn, die aus einer Ärztefamilie kommt und früher selbst einmal Medizin studieren wollte, bevor sie sich für den Beruf der Opernsängerin entschied, stellte die in unseren Gesprächen berechtigte Frage in den Raum, wie überhaupt eine Theater- oder Opernvorstellung in der derzeit vorherrschenden Pandemie vorstellbar wäre. Das sie dabei auch medizinische Gedanken in ihre Überlegungen einfliessen lässt, ist ihrem Gastartikel durchaus zu entnehmen. Ich danke Frau Kuhn für diesen ausführlichen Beitrag, der auch aufzeigt, wie schwierig und kompliziert die Situation unter den derzeitigen rechtlichen Vorgaben, nicht nur für die Theater, ist. Noch ein Nachsatz: wenn in dem Artikel von „Mundschutzen“ die Sprache ist, handelt es sich nicht um medizinische Mundschutze für die professionelle Verwendung , sondern um Mund-Nasen-Masken, wie sie derzeit allgemein Verwendung finden, aber umgangssprachlich unter dem Begriff „Mundschutz“ überall Erwähnung finden. (Detlef Obens/Herausgeber DAS OPERNMAGAZIN) 

 

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