Bezaubernder Belcanto von Donizetti: „L´elisir d´amore“ in der Schlesischen Oper Bytom als Stream

L´elisir d´amore – Opera Śląska (Foto: Krzysztof Bieliński)

Alle Opernhäuser verlängern die Zwangspause durch Corona, der junge Intendant Łukasz Goik setzt auf technisch perfekte Streams. Die Opera Śląska Bytom (Schlesische Oper Bytom) zeigt seit vom 14. Februar 2021 an die von Karolina Sofulak für Corona-Bedingungen eingerichteten Produktion „L´elisir dámore“, die im Dezember 2019 dort Premiere hatte.

In Kostümen und Dekor orientiert an „Grand Hotel Budapest“, der Kriminalsatire von Wes Anderson aus dem Jahr 2014, bietet das Hotel aus dem Jahr 1932 mit Rezeption, feudaler Lobby und Panoramafenster den perfekten Rahmen für die Ankunft der Truppe Belfiores als Fallschirmjäger und Dulcamaras als Wunderheiler. Die Zwischenkriegszeit in einem fiktiven Ostblockstaat wird beschworen. Der Chor stellt Fallschirmspringer und Hotelpersonal dar und kann zum Teil auf der Bühne agieren, weil alle Künstler*innen getestet sind. Auf Abstände muss dann nicht mehr geachtet werden.

 

„L elisir dámore“ ist ein Melodramma von Gaetano Donizetti, das am 12. Mai 1832 im Teatro della Conobbiana in Mailand uraufgeführt wurde. „Der Liebestrank“ ist wohl Donizettis erfolgreichstes Bühnenwerk, das zu den zwölf meistgespielten Opern überhaupt gehört. Inszenierungen dieser Oper halten sich erstaunlich lange auf dem Spielplan der großen Häuser und werden immer wieder mit neuer Starbesetzung aufgelegt. Es ist mehr als eine Komödie, es ist eine Parabel über die Liebe.

Die Wiener Staatsoper und die Bastille-Oper Paris lassen die Handlung im ländlichen Italien in einem Dorf spielen, wobei die Bevölkerung zuerst von durchreisenden Truppen und dann auch noch von einem Quacksalber aufgemischt wird. Adina ist die reiche junge Grundbesitzerin, Nemorino (übersetzt: kleiner Niemand) ein armer Schlucker, der noch nicht einmal lesen und schreiben kann. Vergeblich betet er Adina an und schwärmt von ihren Reizen, sie nimmt ihn einfach nicht wahr. Die Geschichte von Tristan und Isolde, die Adina den Dorfleuten vorliest, inspiriert ihn zu seinem Wunsch nach einem Liebestrank.

Die Regisseurin Karolina Sofulak hat die Handlung in das „Grand Budapest Hotel“ verlegt. Die Kriminalgroteske von Wes Anderson wird in Kostümen (Ilona Binarsch) und Dekor (Bühnenbild: Katarzyna Borkowska) ausgiebig zitiert. 

Man hat das ganze Opernhaus umgebaut: im Parkett sitzt das Orchester, in den Rängen ist ein Teil des Opernchors der Opera Śląska Bytom aufgestellt. Auf der Bühne agieren Soldaten, Hotelpersonal in chicen Uniformen und natürlich die Solisten. Die Szenen sind von Monika Myśliwiec durchchoreographiert.

Als Belcore mit seinen Solddaten als Fallschirmspringer einschwebt und der jungen attraktiven Adina den Hof macht ist sie nach dem fulminanten Auftritt dieses Draufgängers nicht abgeneigt, dem schmucken Fliegeroffizier ihre Hand fürs Leben zu reichen.

L´elisir d´amore – Opera Śląska (Foto: Krzysztof Bieliński)

Nemorino dagegen, der Adina vergeblich anbetet, sucht in seiner Verzweiflung den Rat des durchreisenden Quacksalbers Dulcamara, der mit einem assistierenden Balletthäschen (ganz entzückend Michalina Drozdowska) dem Hotelpersonal Mittelchen aller Art gegen Ungeziefer, Unfruchtbarkeit, Falten und Zipperlein und verkauft. Als Nemorino nach einem Liebestrank verlangt verkauft Dulcamara ihm eine Flasche Bordeaux, behauptet aber, das sei ein Liebestrank, der erst in 24 Stunden wirkt.

Belcore bekommt per Telefon den Befehl, am nächsten Morgen schon weiter zu ziehen. Daher wird die Hochzeit für denselben Abend angesetzt. In seiner Verzweiflung verdingt sich Nemorino bei Belcores Truppen um einen sofort wirkenden Liebestrank bezahlen zu können. Das Duett Nemorino-Dulcamara ist unbezahlbar!

L´elisir d´amore – Opera Śląska (Foto: Krzysztof Bieliński)

Nach der Pause sind die Frauen wie ausgewechselt: Giannetta (Marie Huptas) erzählt,  Nemorinos reicher Onkel sei gestorben und habe ihm ein unermessliches Vermögen hinterlassen. Plötzlich wird der hübsche Junge zum begehrten Junggesellen, dem alle Mädchen schöne Augen machen. Auch Adina merkt auf einmal, dass sie nur eine unter vielen ist. Dulcamara gießt Öl ins Feuer – er will auch ihr einen Liebestrank verkaufen –  aber Adina ist sich sicher, dass sie Nemorinos Herz mit ihren Verführungskünsten für sich gewinnen kann.

Die von Intendant Łukasz Goik entdeckte 24 Jahre alte Gabriela Gołaszewska, lyrische Koloratursopranistin und Star des Hauses, ist Adina, die attraktive Besitzerin des Hotels. Überflüssig zu erwähnen, dass sie alle Koloraturen und Verzierungen mit scheinbarer Leichtigkeit perlen lässt, sie verleiht der Figur der Adina auch die emotionale Tiefe der zunächst hochnäsigen Frau, die fast zu spät merkt, dass sie für den liebenswerten Nemorino echte Liebe empfindet.

Andrzej Lambert, Nemorino, hat 2020 den Preis „Bester Nachwuchssänger“ beim Österreichischen Musiktheaterpreis  gewonnen. Er verkörpert mit seiner jugendlichen Erscheinung glaubhaft den jungen Hotelboy Nemorino. Ihm nimmt man den naiven, bis über beide Ohren unglücklich verliebten Burschen ab, der an so etwas wie Liebestränke glaubt. Sein wunderschön timbrierter Tenor entfaltet enorme lyrische Qualitäten, und sein „Una furtiva lagrima“ ist einer der emotionalen Höhepunkte der Oper, noch übertroffen vom Liebesduett mit Adina. Hier erblüht eine Liebe!

L´elisir d´amore – Opera Śląska (Foto: Krzysztof Bieliński)

Stanislav Kufłyck als Belcore nutzt die Steilvorlage der Inszenierung, mit robuster Männlichkeit seinen Auftritt als einschwebender Fallschirmjäger auszukosten. Er macht als Platzhirsch mit unfassbarem Ego der reichen Adina den Hof und nimmt es als selbstverständlich hin, dass sie seinen Heiratsantrag annimmt. Die gescheiterte Hochzeit mit Adina verkraftet er als routinierter Womanizer souverän, er nimmt es sportlich – es gibt ja noch genug andere Frauen.

Adam Woźniak als Dulcamara ist der Buffo-Star dieser Inszenierung. Schon seine Maske (tätowierte Glatze und schwarz geschminkte Augen) ist eine Augenweide, sein Kostüm (Magiermantel) ein Hingucker.

Sein „Udite, o rustici“ schlägt die Zuschauer unmittelbar in den Bann. Woźniaks überaus beweglicher sehr italienisch klingender Bariton schlägt Funken aus der dankbaren Partie. Er gibt mit einer überbordenden Spielfreude den charismatischen liebenswürdigen Alleinunterhalter und Quacksalber, der alle Menschen manipuliert. Mit ungeheurer Grandezza bietet er seine Mittelchen an. Einzig Adina geht ihm nicht auf dem Leim, sie vertraut auf ihre eigenen Verführungskünste. Ihr Duett mit Dulcamara im 2. Akt ist ein weiterer Höhepunkt der Oper.

L´elisir d´amore – Opera Śląska (Foto: Krzysztof Bieliński)

Die Regisseurin vermeidet jeglichen Klamauk, der Humor ist subtil, und in den Liebesszenen entfaltet sich Magie.

Orchester und Chor der Schlesischen Oper Bytom zeigen sich belcantoerfahren und routiniert. Wären die Untertitel nicht in polnischer Sprache, man könnte glauben, das Haus ist in Italien.

Franck Chastrusse Colombier

Die musikalische Leitung hat der junge französische Dirigent Franck Chastrusse Colombier, 1. Preisträger des „Mancinelli Internationel Competition for Opera Conductor“, der auch schon „Lucia di Lammermoor“ mit Stanislav Kufłyck und Gabriela Gołaszewska dirigiert hat. Er ist seit der Spielzeit 2019/20 Chefdirigent der Schlesischen Oper Bytom und gilt als einer der besten Operndirigenten seiner Generation.

Der technisch perfekte Stream ersetzt zwar nicht das Live-Erlebnis, kann aber ein guter Ansatz sein, ein Werk des Kernrepertoires in einer guten Besetzung und einer originellen Inszenierung zu sehen. Streamingtickets können bis Ende April 2021 zum Preis von 20 Zloty (=4,40 €) erworben werden. Man kann sie per Paypal bezahlen und bekommt den Zugangscode per Mail gesendet.

Gesehene Vorstellung: Live-Stream der Wiederaufnahme am 14.2.2021

Mehr dazu: Opera Śląska Online (opera-slaska.pl)

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Titelfoto: L´elisir d´amore – Opera Śląska (Foto: Krzysztof Bieliński)
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