
Don Carlos, die wohl dunkelste Oper von Giuseppe Verdi, wurde 1867 in Paris uraufgeführt. Damals war Paris die Kulturhauptstadt und jeder Komponist versuchte, dort Fuß zu fassen. Dies ist auch der Grund, warum die Originalsprache des Werkes Französisch ist. Doch bereits ein halbes Jahr später wurde der Text ins Italienische übersetzt und in Bologna mit fünf Akten aufgeführt. Erst nach großen Kürzungen entstand dann 1884 die vieraktige Fassung für die Scala in Mailand. (Rezension der Premiere vom 16.10.21)
Nach dem dramatischen Gedicht von Friedrich Schiller schrieben Joseph Méry und Camille Du Locle das Libretto. Darin geht es um die düstere Geschichte des Don Carlos, welcher sich in Prinzessin Élisabeth de Valois von Frankreich verliebt hat, diese aber an seinen eigenen Vater verliert und verzweifelt um deren Liebe kämpft. Nebst der dem Werk namengebenden Rolle des Don Carlos sind die wichtigsten Partien der Handlung König Philippe II, welcher die Liebe zu seiner Frau nie erwidert findet. Dann die hinterlistige Prinzessin Eboli, welche ebenfalls in Don Carlos verliebt ist und mit allen Mitteln versucht, ihr Ziel zu erreichen und Rodrigue, Don Carlos’ bester Freund, welcher bis zum Schluss zu ihm hält und auch der mächtige Großinquisitor. Liebe, Eifersucht, Rache und Verzweiflung begleiten einen durch die ganze Geschichte und bieten Raum für eindrückliche Szenen.

Der Regisseur Marco Štorman lässt dieses Drama in einem mit nur ganz wenigen Requisiten ausgestatteten dunklen Bühnenraum spielen. Die Bühnenbildnerin Frauke Löffel benutzt bunte Stoffbahnen als Gestaltungselement, welche beim Herunterfahren symbolisch an eine Guillotine erinnern. Quasi ein Symbol für das tragische Schicksal und die allgegenwärtigen Bedrohungen, welchen die Figuren ausgesetzt sind. Zusammen mit der Lichtgestaltung durch Bernhard Bieri wird damit ein interessanter Effekt erzielt.
Besonders in den ersten beiden Akten reicht dies jedoch nicht, um das Publikum in die Handlung hineinzuziehen. Zu oft erlebt man die Sänger lediglich an der Rampe stehend singen. Erst nach der Pause, im großen Autodafé-Bild, entsteht auch optisch eine gewisse Spannung. Berührend die Szene mit dem verzweifelten König Philippe in seinem Kabinett und dem Grossinquisitor. Effektvoll der Schluss, wo ein enormer weißer Vorhang das Duett Don Carlos und Élisabeth umhüllt und schließlich, einem riesigen Leichentuch gleich, die den Frauen zum Opfer gefallenen Männer bedeckt. Die Kostüme von Axel Aust sind dem schlichten Bühnenraum angepasst. Einzig die dominante Königin lässt er mit raffinierten Kleidern einen effektvollen Kontrapunkt erzielen.
In Bern wird die französische Fassung in fünf Akten gespielt, jedoch ohne die Balletteinlagen. Die Aufführung dieses Werkes verlang nach großen Stimmen und man staunt, über die Besetzung an diesem Abend.

Für die Rolle des Don Carlos wurde der italienische Tenor Raffaele Abete gewonnen, welche schon auf vielen internationalen Bühnen zu hören war. Mit seiner kraftvollen Stimme meisterte er diese große Partie äusserst emotions- und gefühlvoll. Vazgen Gazaryan als König Philippe II, Carlos’ Vater, bot ein eindrückliches Porträt des einsamen, verzweifelten Mannes. Besonders in seiner großen Kabinettszene gelang es ihm aufs schönste, das Publikum mit seiner wohlklingenden Bassstimme zu berühren.
Die Partie des Rodrigue, Marquis de Posa wurde vom Venezuelanischen Bariton Gustavo Castillo, welcher an diesem Theater debütierte, mit sehr flexibler Stimme interpretiert. In den Szenen mit Don Carlos war dies besonders beeindruckend. Ebenfalls neu im Ensemble des Berner Stadttheaters der in Braśilia geborene Bassist Matheus França als Grossinquisitor. Mächtig und furchteinflößend sang er diese schwierige Partie. Ein gelungener Auftritt.
Aus Russland stammt die Mezzosopranistin Evgenia Asanova, ebenfalls ein neues Mitglied des Ensembles, welche die Rolle des Thibault sang. Auch sie fügte sich mit sicherer Stimme bestens in das Ensemble ein und überzeugte auch durch ihr Spiel.

In kleineren Rollen sangen Christian Valle, ein Mönch, Giada Borrelli, eine Stimme von oben, Filipe Manu, Graf Lerma und Michał Prószyński, ein Herold, Louis Morvan, Coryphée. Ebenfalls sehr schön gesungen wurde das Sextett der Flämischen Gesandten.
Wer nun meint, die beiden weiblichen Hauptpartien seien vergessen gegangen, der irrt, denn diesen beiden Sängerinnen gebührt eine besondere Erwähnung. Welches Haus hat schon das Glück, Partien mit solchen Stimmen besetzen zu können.
Die Genfer Mezzosopranistin Eve-Maud Hubeaux hat die Partie der Prinzessin Eboli bereits in Wien gesungen und wurde in verschiedenen Rollen auch an internationalen Häusern gefeiert. Mit der Eboli in dieser Aufführung lässt sie eine kraftvolle Frau erkennen,
welche alle Facetten und Emotionen mit unglaublicher Präsenz dazustellen vermag. Eine grosse, absolut überzeugende Stimme.
Gespannt war man auf die junge Südafrikanische Sopranistin Masabene Cecilia Rangwanasha, welche bereits einige wichtige Preise bei Gesangwettbewerben gewonnen hatte und nun ihr Hausdebut in Bern, in der Rolle der Élisabeth de Valois gab. Was für eine großartige Stimme, welche alle Herausforderungen dieser Partie mühelos meistert und mit einer starken Bühnenpräsenz verbindet. Man kann nur in den Jubel des Publikums einstimmen und dem Stadttheater Bern zu diesem Engagement gratulieren. Gewiss wird man noch ganz viel von dieser Sängerin hören.

Der von Zsolt Czetner bestens einstudierte Chor der Bühnen Bern war mit dieser Oper herausgefordert und bot einen sehr ansprechenden Auftritt. Zwar beeinträchtigten die Mund- und Nasenmasken etwas die Textverständlichkeit. Trotzdem gelang es dem Chor, bewegende Momente zu schaffen.
Auch am Pult des Berner Symphonieorchesters stand ein neuer Name. Dem australischen Dirigenten Nicholas Carter, seit dieser Saison Chefdirigent und Co-Operndirektor am Haus, gelang ebenfalls ein erfolgreiches Debut. Er leitete das Orchester energisch und auch gefühlvoll und ließ das Publikum die vielen Schönheiten dieses Werkes genießen. Das Orchester war sehr gut disponiert und bot eine überzeugende Leistung.
Das Publikum bedankte sich mit zahlreichem Zwischenapplaus und vielen Bravos für diesen Opernabend. Dem Stadttheater Bern ist ein wirklich beeindruckender Saisonstart gelungen und man kann den Besuch dieser Aufführungen sehr empfehlen.
- Rezension von Marco Stücklin / Red. DAS OPERNMAGAZIN – CH
- Theater Bern / Stückeseite
- Titelfoto: Oper Bern/Don Carlos/Premiere/Foto @ Marco Stücklin