
Musikalisch war es eine perfekte Aufführung der „Schöpfung“ von Josef Haydn. Das Kölner Gürzenichorchester unter der Leitung von Marc Minkowski, einem international ausgewiesenen Experten für Musik des 18. und 19. Jahrhunderts, der präzise Chor der Kölner Oper und ein hochkarätiges Solistenensemble in Festspielqualität wurden ergänzt durch ein Ensemble von acht Tänzerinnen und Tänzern und mit dem Text, der als Übertitel in den Bühnenhintergrund eingeblendet war. Dadurch entstand ein Gesamtkunstwerk, das eine ganz eigene Vorstellung von heiler Welt erzeugte, in der „das Böse“, wenn überhaupt, dann nur am Rande vorkommt, und das Lob Gottes, des Schöpfers, im Vordergrund steht. Haydn schuf eine Musik, die von den belebten Bildern noch verstärkt wurde. (Rezension der Vorstellung v. 20.10.2024)
Eigentlich war die Doppelpremiere „Die Schöpfung“ von Josef Haydn am 5.10.2024 und „Elektra“ von Richard Strauss am 6.10.2024, dazu gedacht, das sanierte Opernhaus am Offenbachplatz ins rechte Licht zu rücken. Zu Beginn der vergangenen Spielzeit ging man von einer Übergabe am 24.3.2024 an die Intendanz aus. Man hätte am 5. Oktober mit der Stadtgesellschaft die Eröffnung des sanierten Riphan-Baus gefeiert. Der Sieg des Schöpfergotts über Chaos und Finsternis „über der Fläche der Tiefe“, von Haydn mit „Es werde Licht“, einem der überwältigendsten Momente der Oratorienliteratur ausgedrückt, sollte der Freude über den Sieg der Bautechnik über das Chaos der Dauerbaustelle Ausdruck verleihen. Leider kam es anders, die Freigabe der Häuser musste in das nächste Jahr verschoben werden, und man entschied sich, die szenische Umsetzung der „Schöpfung“ im Staatenhaus, dem Dauerprovisorium seit 2015, zu präsentieren.
Haydn, die Wiener Klassik generell, zeichnet sich aus durch eine absolut tonale, sehr harmonische Kompositionstechnik, die ihre Spannung aus Modulationen zwischen Dur und Moll bezieht und unbedarfte Hörer*innen allenfalls durch ausufernde Polyphonie in gewaltigen Chören überfordert. Im Kontrast dazu steht „Elektra“, wo die Moderne zur Geltung kommt.

Die Ausstattung der Bühne von Merle Hensel teilte den Hintergrund in drei strukturierte Flächen, auf die in großer, leicht lesbarer Schrift der Text eingeblendet wurde. Schlicht entzückend naiv war die Bebilderung durch das Ballett, vor allem der Regen aus Gießkannen und die Tiere, die mit wenigen Accessoires charakterisiert wurden: der Hirsch mit Geweih, das Pferd mit einer langen (Haar)-Mähne und vor allem mit der entsprechenden Körpersprache. Regisseurin Melly Still ließ keine Hilfe aus, den Oratorientext in illustrierende suggestive Bildsprache umzusetzen und erfasste intuitiv die auch von Haydn beabsichtigte Naivität und Zuversicht im Glauben an eine ordnende Hand, die den pastoralen Charakter betonte. Abweichend vom Text des Oratoriums gab es die Figur des Satan, die temperamentvolle Tänzerin Francesca Merolla, die immer wieder die Szene störte und zuerst Adam, dann Eva den Apfel anbot. Die Umsetzung beeindruckte auf der ganzen Linie, im Publikum waren alle Altersgruppen vertreten, und der Beifall war gewaltig. Teresa Renelt am Hammerflügel ergänzte die Secco-Rezitative mit pfiffigen Zitaten, und das Gürzenich-Orchester als groß besetztes klassisches Sinfonieorchester bebilderte lautmalerisch die Texte, zum Beispiel mit einem komponierten Sonnenaufgang, während der von Rustam Samedov einstudierte Chor in vierstimmigen Fugen Gott pries.
Erzähler sind die drei Erzengel Gabriel (Kathrin Zukowski, Sopran, im strengen schwarzen Anzug), Uriel (Sebastian Kohlhepp, Tenor) und Raphael (Alex Rosen, Bass) in stilisierten Priesterkostümen, der Chor kommentiert und reflektiert wie im griechischen Theater, Handlungsträger ist das Ballett, wobei die Solisten hin und wieder szenisch eingriffen und mit den Tänzerinnen und Tänzern interagierten. Es gibt keinen Konflikt, alles läuft auf das Lob Gottes und die Verherrlichung der Natur hinaus.
Sie erzählen zusammen mit dem kommentierenden Chor die Schöpfungsgeschichte aus der Genesis, nach einer Pause gefolgt von der Idylle der Zweisamkeit Adams und Evas vor dem Sündenfall aus John Miltons „Paradise Lost“. Dass durch den Text im dritten Teil ein Verständnis der Geschlechterrollen vermittelt wird, das mit der Wirklichkeit im Europa des 21. Jahrhunderts nicht vereinbar ist, mag einige irritiert haben, aber das Duett von Adam und Eva besingt in ergreifender Weise die Gattenliebe, beliebtes Thema der Wiener Klassik: „Mit dir erhöht sich jede Freude, mit dir genieß ich doppelt sie, mit dir ist Seligkeit im Leben, Dir sei es ganz geweiht.“
Stilistisch war der zweite Teil dadurch abgegrenzt, dass der Chor in farbenprächtigen Kostümen vieler Jahrhunderte, von Merle Hensel und Judith Peter aus Wohlstandsmüll gemacht, über die Bühne und zum Schluss vor die erste Reihe defilierten, und die Titel philosophischer Werke von Autoren wie Kant, Hannah Arendt, Simone de Beauvoir eingeblendet wurden. Der Schluss lag nahe, dass durch den Menschen die Idylle der heilen Natur gestört wurde. Eigentlich wird „Die Schöpfung“ in der Regel konzertant entweder in Kirchen oder im Konzertsaal aufgeführt, und es gibt keine Anweisungen für eine szenische Umsetzung, aber an hat auch bei Oratorien von Händel gute Erfahrungen damit gemacht.

Der amerikanische Bass Alex Rosen gab mit absolut stilsicher geführtem wohlklingendem Bassbariton und großer Bühnenpräsenz als Erzengel Raphael sein Hausdebut an der Oper Köln. Sebastian Kohlhepp, bereits als Idomeneo in Köln gefeierter Mozart-Tenor, überzeugte jetzt auch als Oratoriensänger mit perfekter Gestaltung der Partie. Strahlender Mittelpunkt war jedoch Kathrin Zukowski, im Kölner Opernstudio entdeckt und längst in der Spitzenliga des Lyrischen Koloratursoprans angekommen, die dem Erzengel Gabriel Gestalt verlieh. Ihre perlenden Koloraturen in der Arie Nr. 15: „Auf starkem Fittiche“, bei dem sie Lerche und Nachtigall nachempfand, waren ein Wunder des Ausdrucks. Die drei Solisten harmonierten in den Terzetten perfekt und glänzten mit erlesener Gesangskultur.
Ensemblemitglied Giulia Montanari stellte mit gut geführtem lyischem Sopran Eva im dritten Teil dar, Alex Rosen sprang für den ursprünglich vorgesehenen Sänger André Morsch als Adam ein, und auch hier überzeugten Solisten und Chor mit dem Orchester auf der ganzen Linie. Der Schlusschor: „Vollendet ist das große Werk,“ sollte eigentlich die Fertigstellung des sanierten Riphan-Baus preisen.
Ein Oratorium hat per se keinen dramatischen Konflikt und hier auch keine Handlung im engeren Sinn. Haydn wollte dem „guten Gott“ des aufgeklärten Christentums huldigen, und sein Erfolg beim Publikum war seit der Uraufführung am 19. März 1879 im Wiener Burgtheater durchschlagend. Mit der szenischen Umsetzung durch ein Ballett holt man Publikum ins Haus, das eine rein konzertante Aufführung zu abstrakt findet oder sehr tanzaffin ist, und mit dem eingeblendeten Text holt man die ab, die den doch sehr konzentrierten Text des Librettos nicht kennen.
Es stellt sich jedoch die Frage, ob man Oratorien grundsätzlich bebildern soll. Sie handeln von biblischen Themen und waren eigentlich dem Kirchenraum oder konzertant dem Konzertsaal vorbehalten. Ein Besucher meinte, dieses Orchester mit diesem Chor und den erlesenen Solist*innen hätte auch ohne szenische Bebilderung gereicht, ihn zu beeindrucken. Ich bin der Meinung, dass man mit der Bebilderung heutigen Rezeptionsgewohnheiten eher entgegenkommt und Besucherinnen und Besucher in die Oper lockt, die mit einer „richtigen“ Oper mit einer Handlung, der man folgen soll und einem Konflikt, der tragisch endet, überfordert sind. Der Vergleich mit einer abgefilmten konzertanten Aufführung in einer Kirche (Simon Rattle in der Basilka Ottobeuren, BR 2023) zeigt, dass abgesehen von der Totalen auf Chor und Orchester, Nahaufnahmen einzelner Solisten und Instrumentalisten auch religiöse Darstellungen aus dem Innenraum der Kirche gezeigt werden, die einen Bezug zum Text haben. Da hat mir die Kölner Realisation erheblich besser gefallen.
Dabei spricht für Haydns Oratorium, dass alle Buchreligionen (Judentum, Christentum und Islam) sich auf diesen Schöpfungsmythos und auf Adam und Eva als erste Menschen beziehen. Für mich war es eine glückliche Erfahrung, es gerade noch in die letzte von sechs Vorstellungen geschafft zu haben, denn Haydn ist, so gut aufgeführt, einfach nur schön.
Kleine Anmerkung am Rande: Ursprünglich wollte Francois Xavier Roth als Kölner GMD sowohl „Die Schöpfung“ als auch „Elektra“ dirigieren. Er wurde durch Felix Bender („Elektra“) und Marc Minkowski (Die Schöpfung) ersetzt.
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Oper Köln / Stückeseite
- Titelfoto: Oper Köln/DIE SCHÖPFUNG/Chor der Oper Köln, Sebastian Kohlhepp (Uriel), Francesca Merolla (Satan), Alex Rosen (Rafael), Kathrin Zukowski (Gabriel)/Foto: © Sandra Then