Premiere Krefeld am 1.3.2014 (Aufführungsdauer 2 h 40 / eine Pause)
Was für ein grandioses Ensemble !
Endlich endlich endlich eine glaubwürdige Manon! Darauf haben wir über 100 Jahre gewartet 😉 Die gerade einmal 29-Jährige Sophie Witte bot nicht nur eine mehr als superbe Sangesleistung in der Titelpartie als Manon, die allerdings noch von ihrem geradezu herzzerreißendem Darstellungsvermögen überboten wurde – sondern sie war genau diese, am Anfang der Oper, noch (lt. Libretto) 16-jährige Manon Lescaut.
Da kommt eine weibliche Opern-Figur endlich einmal glaubwürdig herüber. Frau Witte verfügt über einen wirklich lyrischen, wunderschönen, auch im Fortissimo höhensicheren Sopran, wie wir ihn selten erleben; ein Glücksfall für Massenets „Manon“, die wir ja auch heute noch meist (ähnlich wie die eigentlich noch jüngere Butterfly) an den Top-Häusern dieser Welt mit bejahrten Sopranistinnen besetzt sehen, die dem Altersdurchschnitt (*) ihres Publikums entsprechen oder ihn schon überschritten haben. Das reißt dann meist keinen vom Hocker oder erzeugt irgendeine Form von Gänsehaut, wie ich sie am Samstag ständig hatte. Ich würde Sophie Witte eine große Zukunft prophezeien, wenn sie sorgsam mit ihrer Stimme umgeht. Da wächst ein Weltstar heran. Selten habe ich mich in den letzten 40 Jahren mit solchen Spekulationen geirrt.
Noch etwas sehr Erfreuliches: Die Vereinigten Bühnen Krefeld & Mönchengladbach beweisen sich endlich erneut wieder als respektables Sprungbrett in die große Internationale Opernwelt. Die umsichtige und erfolgreiche Intendanz von Michael Grosse bringt das Gemeinschaftstheater qualitativ vorwärts und die umtriebig stetige Talentsuche von Operndirektor Andreas Wendholz zeitigt Erfolge. Nur mit solcher Qualität bringt man eine (Verzeiht mir Niederrheiner ! 😉 ) „Provinzbühne“ endlich wieder überregional ins Gespräch. Ein toller, überzeugender Abend! Bravi per tutti!
Dabei sollte man aber auch die wunderbare Leistung des restlichen Ensembles, welches dieses schwierige Werk komplett aus den eigenen Reihen besetzen konnte, nicht übersehen: Was boten Walter Planté (Guillot), der Grandseigneur des Hauses, zusammen mit Andrew Nolen (Bretigny) für ein köstlich spätsonnenköniglich dekadentes Adelspaar. Und selten hörte man einen dermaßen markanten Vater wie Matthias Wippich, sowie einen Lescaut (Rafael Bruck) von solcher Präsenz und zielsicherer Intonation.
Für diese französische Oper einen sowohl in Statur und Alter, als auch stimmlicher Prägnanz passenden Sänger zu finden, gleicht sicherlich einer schon fast sisyphalen Suche in der globalen Opernwelt. Auch hier wurde man – welch weiterer Glücksgriff – fündig und hat zurecht Michael Siemon, ein blutjunges Tenortalent, sofort am Haus beschäftigt. Was ist dieser junge Sänger mit solch optimalen Veranlagungen für eine Erwartung an die Zukunft? Auch er wird, davon bin ich überzeugt, gut beraten und geführt, seinen großen Weg auf die Weltopernbühne finden. Bravo!
Die Comprimarii: Debra Hays (Poussette), Gabriela Kuhn (Javotte) und Charlotte Reese (Rosette) krönen stimmlich, wie auch tänzerisch, dieses echte Gold-Ensemble. Mal wieder war auch der Chor (Ltg. Maria Benyumova) überzeugend präsent und sowohl stimmlich, als auch darstellerisch erfrischend gut disponiert; ein Opernchor von überregionalem Format – ein zu bewahrendes Kleinod.
Die Niederrheinischen Sinfoniker spielten nach der Pause wirklich traumhaft schön und GMD Mihkel Kütson führte sein Orchester stets umsichtig, sicher, sängerfreundlich und einfühlsam. Ein großes Massenetsches beseeltes Klangbild konnte sich, trotz karger Streicherbesetzung, besonders im Finale – wer hatte bei diesem ergreifenden Schluss keine Tränen in den Augen – einstellen. Nur eine kleine kritische Anmerkung sei erlaubt: Bitte verehrte Musici! Die sogenannte „akademische Viertelstunde“ kann für ein gutes Orchester nicht in Anspruch genommen werden. Über dreißig Minuten quasi Einspielzeit (!) bis sich die Gruppen vernünftig zusammengefunden haben, sind zu viel des Schlechten.
Nicht zuletzt die die Regie: François de Carpentries gehört zu den ganz wenigen Regisseuren, die mich noch nie enttäuscht haben. Wenn ich in der Vorankündigung seinen Namen lese, dann freut man sich als Kritiker auf diesen Abend. Und auch diesmal zeigte er sich mit seinem Team (Bühne Siegfried E. Mayer & Kostüme Karine Van Hercke) als meisterhafter Regisseur zeitgemäßen Musiktheaters, obwohl man das ganze Szenario mit traumhaften Rokoko-Perücken und zeitgemäßer Kostümierung zur Entstehungszeit, wie im Libretto vorgeschrieben (1850) spielen ließ. Eine Rarität in der heutigen zeit. Werktreuer geht nicht! Und noch etwas sticht ins Auge: werktreu in barocken Originalkostümen muss nicht gleich schlecht oder langweilig sein. Quod erat demonstrandum. Alles klappt, alles ist sinnfällig, überzeugende Chor- und Personenführung – kein Leerlauf dank gefühlvoller Kürzungen. Fazit: so muss, so sollte eine intelligente Regie sein. Was für eine Wohltat im deprimierenden Umfeld der szenischen Katastrophen- oder Langweilerabende der großen Konkurrenzhäuser im Umfeld.
Hallo Niederrheiner! Hallo NRW-Opernfreunde! Es gibt einen wirklich großen Opernabend zu vermelden: die vorbildliche Realisierung einer schwierig zu inszenierenden „Grande Opera“; noch dazu mit fabelhaften, unverbrauchten Sängern, die fast Unmögliches leisten. Ein hinreißender Musiktheaterabend – jede noch so weite Anreise wert.
* P.S.
der Alterdurchschnitt des Opernpublikums unserer Tage in den deutschsprachigen Ländern der EU liegt bei rund 60 Jahren; in manchen Häuser sogar darüber.
* Vielen Dank an Peter Bilsing von Der Opernfreund für diese Kritik!
* Alle Fotos (c) @ Matthias Stutte
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