Theater Magdeburg: Musical „Rebecca“ auf dem Domplatz

Theater Magdeburg/REBECCA/ P. Stanke, S. Lambrich/Foto © Andreas Lander

Es ist um die zwanzig Jahre her, da versprühte Patrick Stanke als Heizer Frederick Barrett seinen schönen Musicaltenor und jugendlichen Charme in dem Musical Titanic in der Neuen Flora in Hamburg. Die Jugendlichkeit ist in Reife umgeschlagen, Stimme und Charme sind geblieben, wie er  gestern als Maxim de Winter in Michael Kunze und Sylvester Levays Rebecca, der diesjährigen Musicalproduktion auf dem Domplatz des Theaters  Magdeburg, bewies. Doch natürlich gehörte die meiste Aufmerksamkeit Sybille Lambrich als Ich und Kerstin Ibald als Mrs. Danvers. Die Atmosphäre mit dem angeleuchteten Dom, der viertelstündlich seine Glocken erklingen lässt  und nie ganz in der einsetzenden Dunkelheit versinkt, ist etwas ganz Besonderes. Die Produktion von Erik Petersen (Regie), Kristopher Kempf (Kostüme), Dirk Hofacker (Bühne) und Choreografin Sabine Arthold jedoch beweist dann endgültig:  Phantasie und geschickt umgesetzte Ideen  sind zusammen mit einer  ausgezeichneten Besetzung – mindestens – ebenso Jubel und Standing Ovations wert wie eine technikstarke Inszenierung in einem Theater in  irgendeiner großen Stadt.

 

Das Stück basiert auf dem gleichnamigen Roman von Daphne du Maurier. Allerdings erlangte die Geschichte um den reichen Witwer und dessen junger Frau,  die sich gegen den namensgebenden Geist der ersten Gattin behaupten muss, sicherlich die meiste Aufmerksamkeit durch Alfred Hitchcocks  psychologisch – dramatische, unheimliche Verfilmung mit Joan Fontaine (Mrs. De Winter II), Sir Lawrence Olivier (Maxim) und Judith Anderson (Mrs. Danvers). Es ist eine Geschichte  vom Erwachsenwerden, von Besessenheit und vertrauender Liebe, in Retrospektive, aus der Sicht der weiblichen Hauptrolle Ich (Ich hab geträumt von Manderley).

Zu Beginn der Erzählung  ist sie auf kindliche Art unsicher und so ein leichtes Opfer für Mrs. Danvers, die ihr bei jeder Gelegenheit vor Augen führt, wie unzulänglich sie im Vergleich zu  der  verstorbenen Rebecca ist. Danvers schreckt auch vor Lügen, die zur Eskalation führen, nicht zurück um immer wieder zu erklären:  Sie ergibt sich nicht/Rebecca. Doch eben diese Eskalation ist es,  durch die Ich endlich die Wahrheit über Maxims Gefühle zu Rebecca erfährt: Kein Lächeln war je so kalt und an der sie reift, sagen kann: Mrs. de Winter bin ich und in der Lage ist, auch zu ihrem Mann zu halten als dieser des Mordes an Rebecca angeklagt wird weil deren Leiche auf ihrem Segelboot gefunden wurde. (Die Stärke einer liebenden Frau).  Auch wenn Maxim letztendlich freigesprochen wird bleibt unklar, warum er damals, als Rebecca starb, eine falsche Leiche identifizierte, ob es ein Unfall, Selbstmord oder doch Mord war. Doch als Mrs. Danvers Manderley in Brand steckt und der Chor verkündet Manderley in Flammen,  ist eine Wahrheit  nicht zu verleugnen: Etwas Altes ging zu Ende, damit ein neues Leben, eine neue Liebe richtig beginnen kann.

So wie jeder Liebhaber  von Verdi, Puccini, Mozart, Bach oder Wagner „seinen“ Komponisten sofort am Stil der Musik erkennt, erinnert auch die Musik von Rebecca an andere Werke von Sylvester Levay, zum Beispiel Elisabeth. Viel wichtiger aber, zusammen  mit der Interpretation der Künstler, macht sie die Emotionen und Situationen oben erwähnter und alle anderen Melodie für die Ohren „sichtbar“. So sagte ein junger Mann: „Durch die Art des Gesangs und die Musik konnte ich das kalte Lächeln direkt vor mir sehen.“

Theater Magdeburg/REBECCA/ Ensemble/Foto © Andreas Lander

Doch auch Regisseur Erik Petersen und Team sorgten dafür, dass man alles sehen und spüren konnte was zwischen den Zeilen, innerhalb der eigentlichen Handlung, steht. Es gab unendliche Kleinigkeiten zu entdecken, deren „Meta“- oder eher hintergründige Bedeutung sich erst nach und nach erschlossen. Wie zum Beispiel jene Gerüste mit einer Plattform, die mal auf jeder Bühnenseite standen, aber  in gewissen Situationen zusammengeschoben wurden. Sie dienten als Berge in Monte-Carlo oder auch als Klippen und immer wenn sie zusammenstanden bildeten sie einen Schiffsrumpf. Machten so eine Anspielung auf die Art von Rebeccas Tod.  Auch die Kostüme auf dem Ball von Manderley  waren  in ihrer Vielfältigkeit gar nicht wirklich alle zu erfassen, doch jedes hatte einen direkten Bezug zur Schifffahrt, zum Meer und  zu den Wesen, die sich auch den Sagen nach darin tummeln. Auf nur vier Plattformen,  auf denen sich  je eine, teilweise verspiegelte, Tür befand, entstanden die verschiedenen Räume. Immer spiegelte sich irgendwo das Meer bzw. der Bühnenpool. In einer Szene war die Beleuchtung so geschickt, dass man glaubte, hinter Ich /Mrs. de Winter II stünde Rebeccas übergroßer Schatten. Das Strandhaus war nur angedeutet und auch der  nicht sehr erleuchtete Hintergrund, jenes Gerüst vor dem Dom, wurde mit in die Handlung einbezogen, nicht nur für die das Meer und seine Mächte symbolisierenden Tänzer. Es gab noch viele szenische Highlights und Details, auch in der Personenführung. Immer spielte der Pool eine tragende und auch bedeutungsvolle Rolle, wenn zum Beispiel Maxim bei einer gerichtlichen Anhörung auf einem Stuhl im Wasser sitzt oder vorher beim Ball  Ich/Mrs de Winter II in dem Unglückskleid, das Mrs Danvers ihr aufdrängte um sie zu demütigen und das einen langen, gespenstisch weißen Schleier hat, verzweifelt im Wasser liegt.  Faszinierend und in den Bann ziehend auch der Moment wenn die beiden Frauen sich auf den beiden hohen Plattformen gegenüberstehen. Einfach schön auch, dass  Jenseits der Nacht, das Lied, mit dem sich Maxim und seine Frau endgültig finden, oben  rechts und links auf den Stufen der Zuschauertribüne beginnt und die beiden sich unten direkt vor der Bühne und zum Finale des Liedes begegnen.

Aber auch die pyrotechnischen Effekte, wie echte  Seenotleuchtkugeln, brennendes Wasser, brennende Gerüste, die plötzlich an den Seiten hervorschießenden Feuerbälle, gehören zu den Dingen, die diesen Abend unvergesslich machen.

Ja, die  fantasie-effektvolle Produktion, die einfach verzaubernde Open air – Atmosphäre, die Effekte erlauben wie echtes Feuer, das in geschlossenen Räumen unmöglich wäre, sind  irgendwie  die wahren Stars hier. Doch wenn zum Beispiel Robert David Marx, mit schönem Bariton als Rebeccas Liebhaber Jack Farrell, herrlich schleimig widerlich  und überheblich agiert  oder den behinderten Ben (wunderbar authentisch Christian Miebach) mit Worten und Taten traktiert, möchte man ihm  schon die eine oder andere Unflätigkeit zurufen. Es geht nicht anders, als in das enervierende, gekonnt  eingesetzte Lachen von Amani Robinson als überdrehte Mrs. Van Hopper einzustimmen. Robinson schafft es, eine Art „Fast-Sympathie“ für ihre Figur zu entfachen und man kann nicht anders als sie bei I am an american Woman für ihre Geschicklichkeit, Gesang, fast akrobatischen Tanz und herben Charme zu verbinden, zu bewundern. Marc Clear als Maxims Faktotum Frank Crawley spielt zurückhaltend und strahlt genau das richtige Maß an Seriosität und Ruhe aus, die Ich benötigt um sich nicht ganz ausgesetzt zu fühlen.

Theater Magdeburg/REBECCA/S. Lambrich, Ballett, Opernchor/ Foto © Andreas Lander

Sybille Lambrich betritt die Bühne in einem stilvoll auffälligen geblümten Kleid mit passendem Hut, souverän und selbstsicher, um dann nahtlos  in  die frühere Persönlichkeit ihrer Figur zu schlüpfen. Nun blass gekleidet, fahl, verhuscht und schüchtern in der Ausstrahlung. Man fühlt mit, wenn sie sich von Mrs. van Hopper herumkommandieren lässt, sich anfangs vor Maxims Schwester Beatrice und deren Mann Giles versteckt, denen Jeanett Neumeister und Lutz Standop wunderbare buffoneske Züge verleihen. Auch die Veränderung des Verhältnisses Ich/Mrs. Danvers zeigt, welch erfahrene Darstellerin Lambrich ist. Die Entwicklung zeigt sich einmal durch die geschickt für sie ausgewählten Kostümfarben: Denn nach  dem sie sich fängt trägt sie auffälliges Rot, das geradezu schreit: Schaut mich an! Ich weiß wer ich bin!, und dann gesetzteres Burgunder. Lambrich selbst scheint durch stimmliche Modulation und Körpersprache eine ganz andere  zu werden.

Da Patrick Stanke der einzige Künstler ist, den ich vor einigen Jahren in Rollen wie Frank Barett (Titanic), Radames (Aida-Musical) und Jesus (Jesus Christ Superstar) kenne, schlug ihm eine Mischung von Skepsis, hoher Erwartung und Vorfreude entgegen. Die letzten beiden Punkte wurden, wie es so schön heißt, zur „voll(st)en Zufriedenheit“ erfüllt und die Skepsis verflog. Noch immer versteht er es, auch mit seiner Sprechstimme, den Worten mehr Bedeutung zu geben, sein Tenor hat immer noch jenes besondere, einnehmende Timbre und auch sein Spiel überzeugt auf ganzer Linie.  In dem Moment, wenn er mit Ich im Wasser steht und von seinem wahren Verhältnis zu Rebecca erzählt, erzeugen seine Darbietung, wie auch die Darstellung im Hintergrund, einen wahren Gänsehautmoment. Denn wenn er beginnt, nähert sich in Person einer Tänzerin Rebeccas tropfnasser Geist. Passend zu Maxims Worten spielt sich dort zwischen dem Geist und einem Schwarz/Silber gewandeten Meerwesen die letzte Begegnung des Ehepaares ab. Eine weitere Idee, die das Geschick von Petersen und Team für besondere Effekte zeigt, die sich nicht in den Vordergrund drängen, sondern der  intensiven Darstellung Stankes einen die Wirkung verstärkenden Rahmen gibt.

Theater Magdeburg/REBECCA/S. Lambrich, K. Ibald/ Foto © Andreas Lander

Doch sie ist die „gehasst-liebte“  Antagonistin des Stückes. Kerstin Ibald als Mrs. Danvers. Bei der deutschsprachigen Uraufführung in Wien 2007 stand Ibald noch als Beatrice neben Pia Dowes auf der Bühne, die diese Rolle durch ihre starke Persönlichkeit ebenso prägte wie es  Judith Anderson im Film tat. Tritt Ibald damit auch in recht große Fußstapfen so füllt sie diese jedoch auf jeden Fall, auf ihre ganz persönliche Art und Weise, aus. Man spürt in jedem Ton, jedem Lied, die wahnhafte Verehrung, die Danvers für Rebecca fühlt, ihre Haltung flößt auch aus der Ferne eine wenig Furcht ein, strahlt sie doch stets verachtende Überlegenheit aus. Auch wenn sie auf einer Nebenbühne spielt, zum Beispiel wenn sie den von Mrs. de Winter II zerbrochenen Amor zärtlich in ein Tuch wickelt oder wenn sie wie mit Besitzerstolz Rebeccas Schlafzimmer präsentiert, besticht sie durch ihre Überzeugungskraft. Kurz: eine tolle Rolle, ebenso umgesetzt.

Dier Musiker unter Leitung von David Levi, sowie das weitere Ensemble, der Chor und das vielseitig eingesetzte Ballett, von Tanzpaaren, über schmucke junge Herren in roten Paillettenanzügen bis hin zu den auch auf einem Gerüst vor dem Dom agierenden Meeresgeistern: alle haben den Jubel, das Trampeln, die Standing Ovations vollkommen verdient. Mag das Thema des nächsten Domplatz Open air mit Catch me if you can auch weniger dramatisch sein, Magdeburg hat sich auf jeden Fall für einen weiteren Besuch seiner Sommerfestspiele empfohlen.

 

 

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