
Fast drei Jahre nach der erfolgreichen Bielefelder Premiere der „La Bohème“ (Regie: Julia Burbach) am 29. Januar 2022, setzt das Theater Bielefeld diese Inszenierung wieder auf den Spielplan. Die damalige Premiere stand unter keinem guten Stern. Beide Hauptpartien mussten mit Gästen kurzfristig ersetzt werden. Wir waren damals mitten in der Coronapandemie, die auch viele Theater und Opernhäuser betroffen hatte und immer wieder zu Besetzungsänderungen und organisatorischen Problemen führte. Jetzt, die Coronazeit gefühlsmäßig lange hinter uns gelassen, bringt das Theater Bielefeld in teils neuer Besetzung seine gefeierte Inszenierung als Wiederaufnahme auf die Bühne. Zur Inszenierung habe ich nach der Premiere im Jahre 2022 ausführlich auf dem DAS OPERNMAGAZIN geschrieben. Lediglich der folgende Absatz ist ein Zitat daraus und soll als Einführung in die Inszenierung von Julia Burbach dienen. Ich werde mich daher in dieser Rezension vorwiegend auf die musikalische und gesangliche Umsetzung der Bielefelder „La Bohème“ – Wiederaufnahme konzentrieren. Und, so viel sei schon gesagt, sie war überzeugend! (Rezension der Aufführung v. 25. 01. 2025 / Wiederaufnahme: 11. 01.2025)
Regisseurin Julia Burbach erzählt die Geschichte der Oper La Bohème aus der Sichtweise der Mimi. Was zur Folge hat, dass die Sängerin der Mimi vom ersten bis zum letzten Moment der Bielefelder Inszenierung auf der Bühne präsent ist. Noch bevor die Oper beginnt, sitzt Mimi am rechten Bühnenrand auf einem Schneehügel und sieht sich die Szenerie um sie herum an. Es ist Winter, aber Mimi trägt ein weißes, ärmelloses, sommerliches Kleid. Scheinbar friert sie nicht. Die Musik setzt ein, die vier Bohèmiens kommen auf der Bühne zusammen und Mimi umkreist und beobachtet sie einfach nur. Das gibt den Zuschauern einen zweifachen Blick frei: zum einen den direkten auf das Geschehen auf der Bühne – und mittelbar den aus Mimis Augen. Erst als der Vermieter Benoit gegangen ist und die Freunde beschließen den Abend feierlich ausklingen zu lassen, worauf Rodolfo seinen Freunden mitteilt, dass er Ihnen erst später ins Cafe Momus folgen wolle, taucht die lebendige Mimi auf und bittet ihren Nachbarn um Feuer für ihre gelöschte Kerze. Der eigentliche Beginn dieser tragischen Liebensgeschichte. Im weiteren Verlauf der Oper wird Mimi immer wieder als Beobachterin ihrer eigenen Geschichte, aber eben auch als Handelnde im tatsächlichen Spiel, gezeigt. Am Ende wird sie auch ihren Tod als Beobachterin (mit-)erleben. An ihrer Stelle liegt auf dem Totenbett der händewärmende Muff, den Musetta zuvor der frierenden und im Sterben liegenden Mimi gekauft hat. Die beobachtende Mimi aus Julia Burbachs Inszenierung aber steht abseits dabei. Im weißen Sommerkleid und friert auch nun nicht. Nicht körperlich…. Obgleich das letzte Bild dieser Inszenierung in einer Winter- und Schneelandschaft spielt und dadurch frostige Kälte vermittelt. Eine durchaus poetische Sichtweise auf diese großartige und so emotionale Puccinioper, die Burbach dem Publikum präsentiert. (Zitat aus meiner Rezension v. 30. Januar 2022).
Im Mittelpunkt von Puccinis Oper in vier Bildern steht das Liebespaar Mimi (Sopran) und Rodolfo (Tenor). Zwei anspruchsvolle Partien, denen Puccini Arien und Duette komponiert hat, die zu den schönsten und emotionalsten musikalischen Momenten der italienischen Oper überhaupt gehören.

Dušica Bijelić war als Mimi in dieser Inszenierung besonders gefordert. Gesanglich, aber auch, darstellerisch. Vom ersten bis zum letzten Moment war sie auf der Bühne präsent und gab ihrer Mimi viel Format. Sie war die scheue, die kecke, die verliebte, aber auch die leidende und sterbende Mimi. Und das wusste sie auch gesanglich sehr überzeugend umzusetzen. Ihre Arie im ersten Bild der Oper -„Si. Mi chiamano Mimi“ – begann sie in zartem Ton und Ausdruck, um dann im weiteren Verlauf der Arie kraftvoll und mit viel Gefühl ihren Sopran aufblühen und strahlen zu lassen. Sehr berührend auch ihr „Donde lieta uscì“ im dritten Bild mit dem sich anschließenden berührenden Abschiedsduett mit Rodolfo. Ihre Mimi wurde vom Publikum im fast ausverkauften Bielefelder Theater mit viel Applaus und Bravorufen gefeiert.
Begeisterung des Publikums auch für den Tenor Nenad Čiča, den Rodolfo des Abends. Er verlieh seiner Partie sehr viel schauspielerischen Ausdruck. Wie er die erste Verliebtheit des Rodolfo darstellte, aber auch im weiteren Verlauf der Oper, dessen Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, war durchaus beachtlich. Und auch gesanglich konnte er überzeugen. Nicht nur seine verzweifelten „Mimi“, Mimi!„-Schreie im Finale der Oper gingen unter die Haut! Schon bereits in seine Arie „Che gelida manina“ legte er sehr viel Gefühl und krönte die Worte dieser Arie „La speranza!“ mit einem kraftvollen, die klanglichen Wogen des Orchesters überstrahlenden, Spitzenton. Diese Leistung setzte er über den gesamten Abend fort. Eine wirklich großartige Darbietung des serbischen Tenors. Bravo für diesen Rodolfo!

Frank Dolphin Wong war als Marcello zu erleben. Mit seinem kraftvollen Bariton verlieh er seiner Partie ein überzeugendes Profil. Er hatte mit dieser Partie bereits in der Premiere im Januar 2022 glänzen können. Ebenfalls schon in 2022 zu erleben war die Musetta des gestrigen Abends, Cornelie Isenbürger. Wie schon in der Premiere war sie eine ideale Musetta, die ihre Rolle facettenreich darstellte. Von aufreizend bis menschlich mitfühlend. Dem Bielefelder Publikum gefiel es. Am Ende auch viel Applaus für Frank Dolphin Wong und Cornelie Isenbürger.
Jarret Porter als Schaunard und Moon Soo Park als Colline rundeten mit ihren Rollenportraits das Quartett der Bohèmiens adäquat ab. Yoshiaki Kimura als Vermieter Benoit und Tae-Woin Jung spielten ihre Partien mit viel komödiantischem Talent und fügten sich bestens in die Inszenierung ein. Als Parpignol war Dumitru-Bogdan Sandu zu erleben.
Großes Lob auch für den Bielefelder Opernchor und den Extrachor des Theater Bielefeld, die bestens einstudiert von Hangen Enke, besonders im zweiten Bild der Oper in die Inszenierung eingebunden waren. Dies gilt auch für den Kinder-/Jugendchor JunOs, unter der Leitung von Felicitas Jacobsen und Anna Janiszewska. Die Statisterie des Theater Bielefeld rundete den Gesamteindruck auf der Bühne ab.
Mit Anne Hinrichsen stand eine Dirigentin am Pult der Bielefelder Philharmoniker, die Puccinis Partitur mit sehr viel Gefühl, aber auch mit besonderem Gespür für kraftvolle Dramatik spielen liess. Insbesondere in den emotionsgeladenen Momenten der Oper gab sie dem musikalischen Ausdruck besonderen, großen, Raum und klangliche Kraft. So aufwühlend kann Puccini klingen. Bravo für Dirigentin und ihr Orchester!
- Rezension von Detlef Obens / DAS OPERNMAGAZIN
- Theater Bielefeld / Stückeseite
- Titelfoto: Theater Bielefeld/La Bohème/Nenad Čiča, Dušica Bijelić/Foto: Bettina Stöß