Die Grundlage zur Salome-Handlung findet sich im Markus-Evangelium 6, 14-29. Gustave Flaubert (1821-1880) nimmt den Stoff in seinem Roman „Herodias“ von 1877 auf und ergänzt ihn um die Sinnlichkeit der Salome. Oscar Wilde übernimmt Flauberts Version 1891 in seinem Stück „Salome“ und sorgt damit besonders in England für einen Skandal. Es wurde zensiert und als Bearbeitung eines biblischen Stoffs verboten. Die sexuelle Begierde der Salome war wohl untragbar. (Besuchte Vorstellung: Premiere der „Salome“ am Staatstheater Wiesbaden am 16. Februar 2019)
Richard Strauss sah Oscar Wildes „Salome“ in der Übersetzung von Hedwig Lachmann 1903 in Berlin in Max Reinhardts „Kleinem Theater“. Er „reinigte das Stück so weit von schönster Literatur, dass es nun ein recht schönes Libretto geworden ist“. Richard Strauss (1864-1949) war ein Spätromantiker in der Nachfolge der Hochromantiker Wagner, Brahms, Bruckner. In seiner „Salome“ von 1905 (UA in Dresden unter der Leitung von Ernst von Schuch) macht er sich seine Erfahrung mit großen Orchesterwerken zunutze, das einaktige Drama ist aus einem Guss, wie eine sinfonische Dichtung.
In Anlehnung an Wagnersche Tonsprache schuf Strauss einen neuen dramaturgischen Ausdruck, verließ die tonale Basis jedoch nicht trotz aller harmonischen Veränderungen. Er geht in den von den Singstimmen geforderten extremen Lagen, Intervallsprüngen und in den Klangfarben weit über das bewunderte Vorbild hinaus. Die Premiere in Dresden war ein großer Erfolg, aber an einen nachhaltigen Erfolg glaubten viele nicht. „Nun begannen Presseblödsinn, Widerstände des Klerus, der Puritaner in New York“. Hier wurde das Stück nach der Premiere abgesetzt. Richard Strauss dirigierte 1907 selbst. Gustav Mahler, Direktor an der Wiener Hofoper, will die „Salome“ 1905 herausbringen, die Zensurbehörde verbot die Aufführung. Und auch Mahler wurde der Rücktritt verboten. Erst 1918 kam die „Salome“ an der Wiener Hofoper zur Aufführung. Wilhelm II. sagte „Es tut mir leid, dass Strauss diese Salome komponiert hat, ich habe ihn sonst sehr gern, aber er wird sich damit furchtbar schaden“.
Von diesem Schaden konnte sich Strauss seine Villa in Garmisch bauen.
Inszeniert von Le Lab, einem Künstlerkollektiv aus Bordeaux, hatte die „Salome“ am 16. Februar 2019 Premiere am Staatstheater Wiesbaden. Le Lab, 2009 gegründet, erarbeitet interdisziplinäre Kunstereignisse von der Oper bis zu performativen Aktionen. Sein Deutschland-Debüt gab Le Lab mit Hoffmanns Erzählungen in Freiburg.
Inszenierung, Bühne, Kostüme: Le Lab – Jean-Philippe Clarac, Oliver Deloeuil
Licht: Christophe Pitoiset, Oliver Porst
Video: Jean-Baptiste Beis
Künstlerische Mitarbeit: Lodie Kardouss
Dramaturgie: Luc Bourrousse, Regine Palmai
Wir befinden uns auf einer Terrasse im Palast des Herodes Antipas (Tetrarch von Galilea) in Jerusalem zu Beginn der christlichen Zeitrechnung. Das Geburtstagsbankett für den Tetrarchen ist in vollem Gange. Der junge Hauptmann Narraboth beobachtet verliebt die schöne Prinzessin Salome aus der Ferne.
In einem Kerker, von Le Lab als Kubus dargestellt, der sich auf einer Drehscheibe langsam durch den Bühnenraum bewegt, wird der Prediger Jochanaan gefangen gehalten. Er wird ständig beobachtet, Kameras auf der Bühne projizieren Bilder an die Bühnenrückwand. Aus diesem Verließ heraus klagt Jochanaan Herodias, die Frau des Herodes Antipas wegen ihres Lebenswandels an. Doppelter Ehebruch war der Verbindung der beiden vorausgegangen. Herodias verließ ihren Mann, den Vater Salomes, Herodes verstieß seine erste Frau.
Salome betritt die Terrasse, angewidert von den lüsternen Blicken ihres Stiefvaters hat sie das Bankett verlassen. Wieder ertönt Jochanaans Stimme und zieht die Prinzessin in Bann. Sie will den Mann sehen, der ihre Mutter beschimpft.
Ganz der Teenager, der sich seiner sexuellen Anziehungskraft bewusst ist und gewohnt ist, alles zu bekommen, bringt sie Narraboth dazu, Jochanaan entgegen des Willens des Herodes aus seinem Kerker zu holen. Le Lab und die Sängerin Sera Gösch ergänzen sich hier auf perfekte Weise.
Jochanaan, diese seltsame Erscheinung, seine Sprache, sein Körper, sein Haar, sein Mund. Salomes Begehren ist geweckt, sie will ihn berühren, seine schroffe Abwehr steigert dieses Begehren noch mehr. Der fanatische Mahner weigert sich, sie überhaupt anzusehen, bleibt seinem unsichtbaren Gott zugewandt. Als Salome, willensstark wie sie ist, auch noch verlangt, Jochanaans Mund zu küssen, erträgt Narraboth das Spiel – für Salome ist das längst keine Spiel mehr- der Prinzessin nicht länger und ersticht sich. Le Lab lässt ihn sich erschießen. Salome nimmt das völlig gleichgültig hin.
Auf der Suche nach Salome betritt Herodes die Terrasse. Wieder ertönen Jochanaans Flüche und Herodias fordert seine Auslieferung an die Juden, die ihn für einen falschen Propheten halten. Herodes weigert sich, er sei ein heiliger Mann. Ein wilder Disput der Juden folgt, Nazarener halten ihnen Wundertaten entgegen, die der von Jochanaan besungene Gott getan hat. Le Lab lässt die Juden wie eine Klezmer-Combo aussehen.
Zitat Richard Strauss: „Ich wollte in Salome den braven Jochanaan mehr oder minder als Hanswursten komponieren. Für mich hat so ein Prediger in der Wüste, der sich noch dazu von Heuschrecken nährt, etwas unbeschreiblich Komisches. Und nur weil ich die fünf Juden schon persifliert und auch Vater Herodes reichlich karikiert habe, musste ich mich nach den Geboten des Gegensatzes bei Jochanaan auf den 4-Hörner-Schulmeister-Philisterton beschränken ….“.
Herodes ignoriert den Streit und bittet Salome, für ihn zu tanzen. Er schwört, ihr jeden Wusch zu erfüllen, schwört einen Eid.
Salome tanzt. In Wiesbaden tut sie dies nicht auf der Bühne sondern im Foyer des Opernhauses. Herodes schaut auf einem Tablett zu, wir Zuschauer sehen eine Videoeinspielung. Dass es sich um einen Schleiertanz handelt, macht der über Herodes wie ein Baldachin aufgespannte Schleier deutlich. Salome tanzt auch nicht wirklich, in einem glänzenden silbernen Ganzkörperanzug posiert sie, sie macht das sehr erwachsen, ist sich ihres Körpers, ihrer Wirkung sehr bewusst.
Und dann verlangt Salome den Kopf des Jochanaan in einer silbernen Schüssel. Herodes ist entsetzt, versucht, ihr den schrecklichen Wunsch mit Gold, Edelsteinen, einem halben Königreich abzukaufen. Salome will den Kopf des Jochanaan, nichts wiegt ihr obsessives Verlangen auf. Unterstützt von ihrer Mutter Herodias will Salome den Kopf des Jochanaan.
Herodes gibt auf, er gibt auch sich auf und wirkt völlig apathisch, während er am Rand der Bühne sitzend seine Juwelen auspackt. Der Henker schreitet zur Tat, Salome lauscht gespannt den Geräuschen der Hinrichtung. Sie hört nichts. Jochanaan scheint sich nicht zu wehren, er schreit nicht.
Le Lab entscheidet sich dafür, Jochanaan nicht zu köpfen sondern seinen Kopf mit einer silbernen Flüssigkeit zu übergießen, eine unblutige Variante. Salome kann sich also mit dem kompletten Jochanaan beschäftigen, sie verliert sich vollkommen im Spiel mit seinem Körper, seinem Kopf. Sie hält ekstatisch Zwiesprache über die Liebe und den Tod. „Warum hast du mich nicht angesehen, Jochanaan? Hättest du mich angesehen, du hättest mich geliebt.“ „Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes.“
Herodes erwacht aus seiner Apathie als er sieht, wie Salome den Mund des Jochanaan küsst. Sein Befehl an die Soldaten lautet „man töte dieses Weib“.
Die musikalische Leitung dieser Salome-Premiere hatte GMD Patrick Lange. Er führt sein Hessisches Staatsorchester Wiesbaden mit kleinen Gesten und ist der Meinung, dass übermäßige Präsenz dem Orchester ein Korsett überstülpen würde. Die Spielfreude muss erhalten bleiben. Wie kann sie das bei einer Salome nicht? Ein groß besetztes Orchester mit zusätzlichen Holz- und Blechbläsern, Celesta, Glockenspiel, Xylophon, Orgel, Hamonium erzeugte eine technisch perfekte Klangwoge. Manchmal sogar war es mir zu viel, zu laut.
Sera Gösch, die Salome des Abends, war in den tiefen Lagen einige Male nicht zu verstehen bzw. zu hören. Ihr jugendlich-dramatischer Koloratursopran und ihre großartigen schauspielerischen Fähigkeiten machten das aber allemal wett.
Andrea Baker als Herodias war mal die zugewandte Mutter, meistens aber die oberflächlich wirkende Party-Gastgeberin mit schönem Mezzo. Die Rolle des Herodes sang Frank van Aken. Richard Strauss besetzte diese Partie entgegen der Tradition „älteste Person auf der Bühne, tiefste Stimme“ mit einem Tenor.
Thomas de Vries ist Jochanaan, in dieser Inszenierung darstellerisch ein recht statischer Bariton. Simon Bode, seine Tenorstimme wie immer makellos, als Narraboth.
In weiteren Rollen:
Page: Silvia Hauer
Juden: Rouwen Huther, Erik Biegel, Christian Rathgeber, Ralf Rachbauer, PhilippMayer
Nazarener: Young Doo Park, Daniel Carison
Soldaten: Daniel Carison, Doheon Kim
Ein Capadocier: Nicolas Ries
Ein Sklave: Maike Menningen
Insgesamt eine gelungene Premiere mit einer für mich in ihrer Schlichtheit und Stimmigkeit sehr gelungenen Bühne, ebenso die Kostüme. Und mit sehr gutem Einsatz der Video-Einspielungen.
- Rezension der Premiere v. 16.2.2019 von Angelika Matthäus
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- Titelfoto: Staatstheater Wiesbaden/Foto: Karl & Monika Forster