Romantische Seelenmusik mit Herzblut

Mirko Roschkowski mit dem BoArts Quartett

Mirko Roschkowski singt „Die Winterreise“ von Franz Schubert mit Streichquartett am 16.2.2019 im Kammermusiksaal des Beethovenhauses in Bonn

 

Der Kammermusiksaal des Beethovenhauses ist ausverkauft. Mirko Roschkowski, „Lohengrin“ in der Bonner Oper, singt Franz Schuberts Liederzyklus „Die Winterreise“, und das nicht zum ersten Mal. Nachdem er sie zunächst unter anderem mit Thorsten Fabrizi am Klavier aufgeführt hatte, kam Ismene Ten-Bergh, die Konzertmeisterin der Bochumer Symphoniker, auf ihn zu und fragte, ob „man nicht was zusammen machen könnte“.

Die Wahl fiel auf die Bearbeitung der „Winterreise“ von Jens Josef für Tenor und Streichquartett, die 2005 von Peter Schreier eingespielt wurde. Nach einer Aufführung in Bochum mit Mirko Roschkowski (Tenor) und dem BoArts Quartett mit Ismene Then-Bergh und Iwona Gadzala (Violinen), Marko Genero (Viola) und Christof Kepser (Violoncello) am 16. Dezember 2018 in Bochum folgt jetzt die Aufführung im Kammermusiksaal des Beethovenhauses.

Ein Liederabend ist für das Publikum eine wunderbare Gelegenheit, einen Künstler, den man als Opernheld erlebt hat, auch als Lied-Gestalter kennen zu lernen. Den Sänger und sein Ensemble reizt es, „die emotionalen Grenzen auszuloten“, wie Mirko Roschkowski sagt. „Gerade das Düstere, Sphärische bringen die Streicher herrlich zur Geltung. Mit diesen Vieren ist es traumhaft“, so der Sänger im Interview.

Vordergründig geht es um unglückliche Liebe, aber auch um Heimatlosigkeit und um die Phantasien eines Todgeweihten. Die Lieder sind durch musikalische Mittel eng verbunden und stellen Facetten einer emotionalen Verarbeitung dieser Zustände dar.

Caspar David Friedrich: Hünengrab im Schnee

Warum hört man sich das an? Weil es ganz große Kunst ist! Jeder Zuhörer kann sich seine Gedanken zu den romantischen Liedern machen, man hört die Klagen des abservierten Liebhabers oder die Reflektion über den Weg des Lebens je nach Assoziationslage.

Es gibt wohl kaum einen Liederzyklus, der häufiger aufgeführt und eingespielt wurde als Schuberts „Winterreise“, die er kurz vor seinem Tod im Alter von 31 Jahren am 19. November 1828 fertig stellte.

Die zu Grunde liegende Gedichtsammlung des ein Jahr jüngeren Gymnasiallehrers Wilhelm Müller kann als Prototyp romantischer Gedichte gelten, sie wurde allerdings erst durch Schuberts Musik unsterblich.

Joachim Kaiser schreibt 1968 im fono forum anlässlich einer Bewertung von neun der damals vorliegenden Einspielungen auf Langspielplatte: „Die Winterreise ist Schuberts letzte, reinste und kostbarste Liedfrucht, entstanden 1827, in einer Zeit also, da Krankheit und das verzehrende Feuer seinen Geist und Körper längst gezeichnet hatten. … In dieser Stimmung schlugen die Verse Wilhelm Müllers mit ihrer Resignation und romantischen Todessehnsucht, mit ihrer Auswegslosigkeit in Schubert verwandte Saiten an. … Müller starb 1827, Schubert ein Jahr danach. Daraus aber erklärt sich jener seltsame Zwiespalt zwischen Jugendlichkeit und Resignation des Alters, welcher „Die Winterreise“ prägt. Die Stimmungen und emotionellen Ergüsse der ‚Winterreise‘ sind ohne Zweifel die eines noch jungen Menschen; die ausweglose Qual, die hier gestaltet ist, gehört dem Ende des Lebens zu. Diese Spannweite nachzuvollziehen ist vielleicht das größte Problem, vor dem der Interpret der ‚Winterreise‘ steht.

Mittlerweile sind allein auf „spotify“ mehr als 180 Einspielungen des Liederzyklus in allen Stimmlagen verfügbar, begleitet von Klavier, Hammerklavier, arrangiert für Streichquartett, Klaviertrio, großes Orchester und sonstige Ensembles. Einige Lieder sind zu Volksliedern geworden, wie „Gute Nacht“ oder „Der Lindenbaum“, was daran liegt, dass auch Amateure im 19. Jahrhundert diese Lieder mit Klavierbegleitung sangen und sie so in bürgerlichen Haushalten präsent waren.

Kammermusiksaal

Der 1989 eröffnete Kammermusiksaal des Bonner Beethovenhauses ist mit seiner herausragenden Akustik der ideale Ort für einen Liederabend und für Kammermusik jeder Art.

Die filigrane Begleitung durch die vier Streicher kommt hier besonders gut zur Geltung, wobei sie oft erstaunlich laut sein können. Die musikalischen Linien der Klavierbegleitung werden vom Streichquartett abgebildet, der Charakter der Komposition verändert sich dadurch deutlich, weil der Anschlag der Tasten, der als Schritte interpretiert werden kann, fehlt. Die Musik ist fließender, rhythmisch weniger stark akzentuiert als mit Klavierbegleitung, ermöglicht aber durch zarte Kantilenen oder delikates Pizzicato ganz andere Ausdrucksformen.

Mirko Roschkowski gestaltet die 24 Lieder als großes Wechselbad der Gefühle, nachdenklich, ergreifend, mit großer Gefühlstiefe unfassbar schön phrasiert und gesungen. Mitgestalter sind die vier Streicher des BoArts Quartetts, Angehörige der Bochumer Symphoniker, die die über die Begleitung des Gesangs hinaus gehende Komponente kongenial musizieren.

Hier erzählt jemand dem Zuhörer in den ersten zwölf Liedern zunächst sehr lebhaft seine Geschichte einer verlorenen Liebe als sei es gerade erst passiert. Von: „Die Liebe liebt das Wandern, Gott hat sie so gemacht“, über: „Ich such im Schnee vergebens nach ihrer Tritte Spur“, und: „Möcht ich zurücke wieder wanken, vor ihrem Hause stille stehn“, zu: „So zieh ich meine Straße dahin mit trägem Fluß durch helles frohes Leben einsam und ohne Gruß“. Die zweite Hälfte des Liederzyklus ist dagegen die Auseinandersetzung mit dem nahen Tod: „Eine Straße muss ich gehen, die noch keiner ging zurück.“ Hier kann der Sänger mit seinem Streicherensemble in Resignation: „Bin matt zum Niedersinken, bin tödlich schwer verletzt“, in Traumbildern: „Ich träumte von bunten Blumen …“, sowie in Auflehnung gegen sein Schicksal: „Will kein Gott auf Erden sein, sind wir selber Götter!“ bis hin zur Resignation: „Im Dunkel wird mir wohler sein“, seine Phantasien eines Todgeweihten gestalten. Dabei sind die vier Streicher des BoArts Quartetts kongeniale Partner, die die Stimmungen der Musik voll ausloten.

Beim „Leiermann“ zeigt sich die gestalterische Kraft des Opernsängers: er legt das Sakko ab, krempelt die Ärmel hoch und umrundet sein Ensemble im Takt der Musik. Die Stimme wird fahl: „Wunderlicher Alter, soll ich mit dir geh´n? Willst zu meinen Liedern Deine Leier dreh´n?“

Atemlose Stille, man traut sich nicht zu klatschen. Aber dann brandet Applaus auf, es gibt Bravo-Rufe und lange Standing Ovations.

Ein Zauber liegt über dem Kammermusiksaal, wenn Mirko Roschkowski Schuberts ‚Winterreise‘ intoniert. Beim ‚Lindenbaum‘ flossen meine Tränen, im ‚Mut‘ drang wie bei Prometheus das Göttliche aus jedem Ton und im ‚Leiermann‘, the hurdy-gurdy man, offenbarte dieser begnadete Sänger seine Künstlerseele. Danke an Mirko und die kongenialen Streicher des BoArts Quartetts für diesen unvergesslichen Liederabend“, so Mechthild Tillmann, Opernbloggerin aus Bonn auf facebook.

Nächste Projekte des Sängers sind am 10. März 2019 die „Rusalka“-Premiere im Kölner Staatenhaus, wo er den Prinzen singt, und die Doppelpremiere „Idomeneo“ am 30. April 2019 und „La Clemenza di Tito“, wo er jeweils die Titelpartie gestaltet, am 1. Mai 2019 bei den Maifestspielen in Wiesbaden.

 

  • Rezension des Abends von Ursula Hartlapp-Lindemeyer
  • Titelfoto: Werbeflyer für die „Winterreise“ am 16.2.2019 im Kammermusiksaal des Beethovenhauses
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