Georges Bizet gilt vielen Opernfans als der Schöpfer der Oper CARMEN. Jener Oper über eine freiheitsliebende und für Emanzipation kämpfenden Frau in einer rauen Männerwelt, voll mit Musik, die schon fast zu den kollektiven Ohrwürmern dieser Welt gehören. Aber Bizet schuf auch eine Oper über die Freundschaft zweier Männer, die sich mal schworen, das keine Frau ihre Verbindung trennen kann und die sich aber dann in die gleiche Frau verlieben. Doch bevor diese Dreiecksgeschichte in einer Tragödie endet, nimmt die Handlung eine Entwicklung, die zwei der Beteiligten einen Ausweg in ein neues Leben bietet und einen zurücklässt. Verlassen von den beiden Menschen, die sein Leben waren. Bizet schuf dazu eine Musik, die zum schönsten der Opernliteratur zählt. Das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier brachte nun am gestrigen Abend dankenswerterweise diese eher selten gespielte Oper auf die Bühne und riss am Ende das Premierenpublikum zu Ovationen und minutenlangem Applaus hin. Regisseur Manuel Schmitt stellte in seiner Interpretation der „Perlenfischer“ starke Bezüge auf die leidende und ausgenutzte Umwelt und der in sie gefangenen Menschen dar und wählte mitunter drastische, aber durchaus beeindruckende, Bilder. (Rezension der Premiere vom 22.12.2018)
Die Perlenfischer / Les pêcheurs de perles (Orig.)
Die Handlung der Oper beschreibt eine Liebe zwischen drei Menschen. Zwei Männern, dem Perlenfischer Zurga und Nadir dem Jäger, die sich ewige Freundschaft – Liebe? – geschworen haben und einer Frau, Leïla, die diese Beziehung auf eine harte Probe stellt und letztlich die Freundschaft der beiden Männer zerbrechen lässt. Zurga, der Anführer der Perlenfischer auf Ceylon, und dessen Jugendfreund Nadir, treffen nach vielen Jahren wieder aufeinander. Sie waren einst in die selbe Frau verliebt. Um ihre Freundschaft nicht zu gefährden, schworen sie sich, ihrer Liebe zu der jungen Priesterin Leïla auf alle Zeiten zu entsagen. Aber Nadir entdeckt Leïla wieder und seine Gefühle für sie entflammen aufs Neue. Als das Paar wegen seiner Entdeckung und der verbotenen Liebe vor den Perlenfischern fliehen will, fordern diese, angeführt vom strengen Gemeindeälstesten Nourabad, den Tod der beiden Tempelschänder – bis sich Zurga einschaltet und beide begnadigt. Erkennt er doch in Leïla die Retterin aus früheren Tagen wieder, die ihm einst Unterschlupf gewährte. Zum Dank gab er ihr damals eine Kette. Jene Kette rettet sie nun vor dem Tode. Zusammen mit Nadir kann sie fliehen. Zurga bleibt allein zurück, ohne seinen Freund Nadir.
Die Gier der Menschen endet da wo die Welt die Grenzen setzt
In der Gelsenkirchener Inszenierung des Regisseurs Manuel Schmitt wird die Handlung der Oper in die aktuelle Zeit versetzt. In jene Zeit, die geprägt ist von Umweltschäden, dem Ausnutzen von Arbeitskräften zum „Wohle“ einiger weniger, dem Raub an den immer weniger vorhandenen Ressourcen dieser Welt und der sich aus alledem ergebenden Konsequenzen für die Menschen und für die Welt. Wenn am Anfang seiner Inszenierung die metallerne Weltkugel noch majestätisch auf dem höchsten Punkt der Bühnenaufbauten angebracht ist, so liegt sie am Ende auf der Bühne, fast wie im Dreck. Für mich eines der stärksten Symbole einer Inszenierung, die an manchen Stellen dem Zuschauer einiges abverlangte, aber von der ich behaupten darf, dass sie mich – nun am Tage nach der Premiere – immer noch anfasst und beschäftigt. Und das in besonderem Maße.
Denn über die Liebesgeschichte, um die es in den Perlenfischern vornehmlich geht, spinnt Schmitt ein Geflecht von Bezügen, Anspielungen und nachdenklich machenden Motiven, das mich stellenweise gefangengenommen hat. Die Perlenfischer haben unter teils großem gesundheitlichen Risiko auf dem Meeresgrund nach dem „Gold der Austern“ gesucht. Sie mussten dies zum eigenen Lebensunterhalt verrichten. Den Profit, damals wie heute, aber machen andere. Jene „andere“, die irgendwo sitzen und denen der Mensch, der alles erwirtschaftet, nahezu gleichgültig ist, wenn nur die Rendite stimmt. Immer mehr geht das zu Lasten der Umwelt, zu Lasten der Welt. Das Manuel Schmitt so viel mit Plastik arbeitet, sei es im Bühnenbild oder auch in den Kostümen, ist in diesem Zusammenhang kaum einer weiteren Erklärung nötig. Nicht nur, dass der Mensch die Welt ihrer Ressourcen beraubt, nein, er vergiftet sie auch noch mit seinem Wohlstandsmüll und seiner Gedankenlosigkeit und Ignoranz. Und am Ende liegt die Welt im Staub. Aber noch setzt die Welt, die Umwelt, dem Menschen Grenzen. Eine imaginäre Grenze, die schon sehr fragil und löcherig geworden ist.
Schmitt und sein Regieteam (Bühne: Bernhard Siegl/Kostüme: Sophie Reble/Licht: Patrick Fuchs) erschaffen eine Bühnenwelt voller Tristesse und gewollter Farblosigkeit. In dieser trostlosen Welt hat so Manches wenig Chancen. Das gilt auch für die tiefen menschlichen Bedürfnisse nach Freundschaft und Liebe. Denn auch sie werden in einer Welt voller Gier und Profitgeilheit auf eine harte Probe gestellt. Aber Liebe ist wie eine Pflanze: sie findet immer einen Weg, ein wenig Licht, um zu wachsen. Dann aber muss diese kleine Pflanze auch gepflegt werden, damit sie wächst. Umso schwerer die Zeiten, die Umstände, desto größer muss der Einsatz dafür sein. Und immer dann, wenn diese menschlichen Gefühle Bizets Musik überfluten lassen, füllt Schmitt die Bühne mit großen Emotionen. Manchmal sind es nur kleine Gesten der Protagonisten, aber in ihrer Wirkung sind sie doch berührend. Das Manuel Schmitt auch das Drastische dieser inhumanen Arbeitswelt herausarbeitet ist naheliegend. Verbindet er doch alles mit der Liebesgeschichte um Leïla, Nadir und Zurga. Deren Liebe und Freundschaft zueinander wird in dieser inhumanen Lebenssituation auf eine harte Probe gestellt und gelingt und scheitert gleichermaßen.
Sicher eine ungewöhnliche Form die Oper DIE PERLENFISCHER zu erzählen, aber ganz sicher eine, die packend ist, die berührt und die nachdenklich macht. Und die doch an die freudlose Lebenswirklichkeit der historischen Perlenfischer herankommt. Der inhaltliche Bezug auf das Fabrikunglück in Pakistan 2012, bei der 259 Menschen, – unter ihnen viele Heranwachsende -, ihr Leben verloren, wird in zwei emotionalen Video-Einspielern mit der Mutter (Saeeda Khatoon) eines damals 18-jährigen Opfers auch direkt spürbar.
Nimmt uns Regisseur Schmitt auch scheinbar ein wenig den Zauber der romantischen Perlenfischeratmosphäre, so gibt er uns auf der anderen Seite ein Stück von Lebenswirklichkeit, über die sich nachzudenken so sehr lohnt. Und wenn jemand wie ich am Ende der Oper mit Tränen in den Augen den Plastik-Bühnenvorhang fallen sieht, hat auch der Regisseur so manche Saite in mir zum Klingen gebracht.
Geht in diese Oper – hört diese Musik!
Bizet hat reichlich musikalische Ausdrücke erschaffen, die einerseits Lokalkolorit vermitteln aber auch tiefe Sehnsüchte und zwischenmenschliche Gefühle beschreiben. Neben dem berühmten Duett der beiden Freunde Nadir und Zurga „Au fond du temple saint„, ist es auch die wunderschöne Arie des Nadir „Je crois entendre encore„, die große Popularität erlangt haben. Eine herrliche lyrische Musik mit vielen Rhythmen und Melodien. Eine im besten Sinne schöne Oper!
An die Hauptdarsteller der Oper werden gesanglich hohe Ansprüche gestellt. Und sie wurden, um es hier schon vorwegzunehmen, durchweg erfüllt.
Dem Dorfältesten Nourabad verlieh Michael Heine in seinen Szenen stimmliche wie darstellerische Autorität.
Piotr Prochera sang und spielte den eifersüchtigen und verlassenen Zurga mit viel Gefühl und kraftvoller Stimme. Der Bariton, der schon in vielen Rollen seines Fachs in Gelsenkirchen zu bewundern war, kann mit dieser Partie eine weitere Glanzleistung zu seinem Repertoire hinzufügen. Großartig, neben seinem großen Moment im letzten Bild der Oper, auch sein Duett mit Nadir aus dem 1. Akt, für das es schon viel Szenenapplaus gab.
Nadir, der verträumt und ein wenig selbstverliebt in dieser Inszenierung daherkommt, wird vom lyrischen Tenor Stefan Cifolelli auf äußerst gefühlvolle Weise interpretiert. Emotional, mit viel Piano und stellenweise äußerst zart gesungen, sichere Höhen und sein zutiefst berührend interpretiertes „Je crois entendre encore„ haben das Publikum voll überzeugt und begeistert.
Mittelpunkt der Oper „Les pêcheurs de perles“ ist die Tempelpriesterin Leïla. Um sie herum läuft die gesamte tragisch-romantische Geschichte ab. Die Gelsenkirchener Sopranistin Dongmin Lee machte diese Partie zu der ihren! Wie sie die Unschuld, die Traurigkeit und die Resignation dieser Partie gesanglich und auch schauspielerisch meisterte und vermittelte, war hinreißend. Der Jubel und die Bravorufe des Publikums waren für sie in höchstem Maße angebracht und gerechtfertigt. Frau Lees Stimme ist als eher zart denn voluminös zu bezeichnen, aber absolut eine, die auch in den leisesten Tönen jeden Winkel des Opernhauses erreicht. Und das auf sehr hohem Niveau. Wie passend für diese Partie! Eine starke Leistung der jungen Südkoreanischen Sängerin. Bravo zu dieser ganz besonderen Leistung!
Den Chor hat Georges Bizet kompositorisch und Handlungstechnisch reichlich bedacht. Der Opernchor und Extrachor des MIR (unter der Leitung von Alexander Eberle) durfte hier sein Können mal wieder großartig unter Beweis stellen. Viele Jubel vom Publikum waren den Damen und Herren des Chores für Gesang und Darstellung sicher. Lob auch für die Statisterie des MIR und der Darstellerin der kindlichen Tempelpriesterin in ihrer stummen Rolle.
Giuliano Betta, der Dirigent und musikalische Leiter des Abends, legte großen Wert auf die gefühlvollen und emotionalen Momente der Partitur und gab den Sängerinnen und Sängern auf der Bühne viel Entfaltungsmöglichkeiten und ließ die Neue Philharmonie Westfalen in wahrstem musikalischen Sinne in Wohlklang schwelgen. Ein großer Erfolg auch für Orchester und Dirigent, der ebenfalls mit reichlich Applaus vom Premierenpublikum bedacht wurde.
Zu guter Letzt noch ein Lob für Michael Bittinger, der als akrobatischer Taucher zu Beginn und zum Ende der Oper das Gefühl vermittelte, als tauche dort ein Perlenfischer auf den Grund des Meeres und wieder zurück. Ein Bild, welches so viel Ruhe und Stille vermittelte. Und nebenbei auch eines dieser speziellen Regiemomente von Manuel Schmitt, die zutiefst berührten.
Fazit: Kein Perlenfischer von der Stange. Aber eine Operninszenierung die besonders, die speziell ist. Die nachdenklich macht, die berührt und die musikalisch glänzt. Das Premierenpublikum war ergriffen und begeistert. Und ich war ein Teil von ihnen.
- Rezension von Detlef Obens / DAS OPERNMAGAZIN ©-12/2018
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- Titelfoto: MiR/PERLENFISCHER/ Foto:(C)Karl+Monika Forster
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