Staatsoper Budapest: „Siegfried“ – Einnehmende Poesie

Staatsoper Budapest/SIEGFRIED/Foto: ©Valter Berecz / Hungarian State Opera

Am Tag nach der „Walküre“ folgte an der Budapester Staatsoper die Generalprobe der Wiederaufnahme des „Siegfried“ aus dem Jahre 2019, also keine normale Aufführung. Da aber nicht markiert wurde und die GP wie eine normale Aufführung ablief, nur vor weniger Publikum, erteilte der Int. Kommunikations-Manager der Staatsoper die Freistellung zur Rezension. Dieser „Siegfried“ ist also Teil des neuen „Ring des Nibelungen“ in der Regie und mit dem visuellen Konzept von Géza M. Tóth sowie dem Bühnenbild von Gergely Z Zöldy. Ibolya Bárdosi schuf die meist farbig poppigen Kostüme, die Assoziationen an eine moderne Zeitlosigkeit hervorrufen, in jedem Falle aber stets mit den Charakteren ihrer Figuren harmonieren. Und deshalb wirken sie ebenso wie die extravaganten Frisuren samt ihrer noch verrückteren Haarfarben recht eindrucksvoll. Das trifft insbesondere auf das elegant geschnittene weiß-blaue Gewand des Wanderers zu, welches wie ein Vorgriff auf eine Design-Revolution wirkt und der Figur große Wirkung verleiht, abgesehen von der ohnehin beeindruckenden Souveränität des Wanderers in der Person von Krisztián Cser. Wunderbar auch, dass Siegfried und Mime endlich einmal nicht mit ebenso lästigen wie spießigen Rucksäcken herumlaufen müssen! (Rezension der GP der Wiederaufnahme v. 17.11.2022)

 

 

Gleich zu Beginn beeindrucken die Video-Bebilderungen des Kedd Animation Studio (Projected scenery) mit ihren genau zur Musik des schlafenden Fafner passenden Schatz- und Wald-Assoziationen in Goldgrün. Immer wenn diese projected sceneries einen Bezug zur jeweiligen Szene haben, wirken sie viel stärker als bei der häufig wahrnehmbaren Beliebigkeit der Bildfolgen – mal ein schemenhaft angedeutetes Gradnetz der Erde, immer wieder Schneegestöber, dann ein Knäuel, das aussieht wie im Ozean entsorgte Fischernetze, oder ein wildes Durcheinander von bunten Plättchen, die kommen, verschwinden, wiederkommen….

Allerdings arbeitet das Bühnenbild neben der Video-Bespielung diesmal auch mit mehr physischen Aufbauten. So ist Siegfrieds Lager ausgerechnet im angedeutet weit aufgerissenen Maul eines Drachen angesiedelt, obwohl der tatsächliche Fafner, den er später mit seinem Schwert erledigen soll, ein bräsig auf seinen Goldkisten und -schätzen sitzender fauler Großkapitalist ist. Wir erleben wie schon in der „Walküre“ phantasievolles und immer wieder interessant angereichertes story telling. Mime hat seine Esse und seinen Herd, auf dem er auch das Gesöff für Siegfried braut. Wotan hat stets den in elegantem Design geschnitzten braunen Holzspeer in der Hand. Das Schwert wird geschmiedet, ein orientalisch unkonventionell aussehender goldener Ring und ein ebenso wirkender Tarnhelm sind zu sehen sowie einiges mehr, was sich nicht weit von Wagners Vorstellungen von seiner Tetralogie bewegt.

Staatsoper Budapest/SIEGFRIED/Foto: ©Valter Berecz / Hungarian State Opera

Was aber in diesem „Siegfried“ besonders auffällt, ist die Poesie, mit der das leading team die Szenen immer wieder positiv und emotional auflädt und damit auch die so oft zitierte Rolle des Scherzos des 2. Abends der Tetralogie unterstreicht. Einerseits gibt es eine interessante Choreographie von Marianna Venekei mit einer Gruppe von bunt gestalteten Fabelwesen, die immer dann tänzerisch-akrobatisch aktiv werden – natürlich durch videobespielte Vorhänge leicht verklärt – wenn es auf der Bühne romantisch wird – also insbesondere beim Zusammenkommen von Siegfried und Brünnhilde im Finale. An dieser Poesie hatte andererseits der – und es soll ganz betont so formuliert werden – Sängergestalter Zoltán Nyári als Siegfried ganz entscheidenden Anteil. Was er an Energie in die Titelrolle einbrachte, ohne jeden Abstrich bis zum Finale mit Brünnhilde, und wie emphatisch er sie mit seiner ganzen Person und einer bestechenden Mimik über alle drei Aufzüge gestaltete, war etwas ganz Besonderes und ließ die Spannung an diesem Abend nie abfallen. Hinzu kommt sein kraftvoller Heldentenor mit ausgezeichneter Diktion, den er bei durchaus guter Technik nur noch etwas besser kultivieren oder fokussieren müsste. Dann könnte er ein ganz Großer werden!

Staatsoper Budapest/SIEGFRIED/Foto: ©Valter Berecz / Hungarian State Opera

Sein Ziehvater Mime, verkörpert durch Tivadar Kiss, war das genau zu ihm passende Gegenstück. Er gestaltete die Rolle fast depressiv. Man merkte ihm die jahrelangen Zumutungen Siegfrieds an, und es schien sich auch etwas in der Stimme widerzuspiegeln. Eine charaktervolle Interpretation des Zwergs, der er hier wohl sein sollte und in der Tat auch war. Krisztián Cser – es wurde schon erwähnt – gab einen ganz ausgezeichneten Wanderer. Ein besonderes Gustostückchen war die Wissenswette mit Mime, bei der man seine verschmitzte Mimik angesichts dessen irrelevanter Fragen beobachten konnte. Cser ist ein Sänger, der genau weiß, was er singt. Zoltán Kelemen war ein klangvoller Alberich mit einem sehr schönen Timbre. Allein, er konnte der Figur nicht die Boshaftigkeit einhauchen, die sie doch gerade im „Siegfried“ auszeichnet. Hier wäre mit intensivem Rollenstudium und besserer Personenregie einiges zu machen. István Rácz orgelte als fest auf seinem Goldschatz in einer Art Zisterne sitzender Fafner mit einem starken Bass und wunderte sich, dass ihm der junge Knabe von hinten das Schwert in den Rücken stoßen konnte. Ein skurrile Szene! Atala Schöck war die stimmlich wie immer bestechende Erda und mit dem Wanderer in einem auch optisch großartigen Zwiegespräch engagiert. Die Erda-Szene wurde viel besser dramatisiert als man es an einigen großen Häusern erleben kann! Ein Lob geht an die hier einmal mehr offenbar werdende ausgezeichnete Lichtregie in diesem „Ring“. Zita Szemere unterstrich mit ihrem bunten Vogelkostüm, mit dem sie auch fleißig flatterte, ebenfalls die schon hervorgehobene Poesie. Stimmlich sang die den Waldvogel ausgezeichnet mit einem klangvollen Sopran.

Staatsoper Budapest/SIEGFRIED/Foto: ©Valter Berecz / Hungarian State Opera

Last but not least kommen wir zu Tünde Szabóki, die die Brünnhilde gab. Stimmlich machte sie das sehr gut mit beeindruckenden Spitzentönen und guter Gestaltung in der vokalen und schauspielerischen Interpretation. Allein, Szabóki wirkte in der Tat wie die etwa 20 Jahre ältere Tante des jungen Heißsporns Zoltán Nyári als Siegfried, die sie nach Wagners „Ring“-Chronologie ja auch ist. Wenn man das aber verwirklicht sieht, wirkt es doch etwas befremdlich – wie an diesem Abend. Nur dafür kann Tünde Szabóki nichts. Sie hat ihre Sache gut gemacht, sodass das lange Zwiegespräch mit Siegfried im Finale noch einmal zu einem Höhepunkt der Aufführung geriet.

Balázs Kocsar dirigierte das Ungarische Staatsopernorchester an diesem Abend mit noch mehr Verve und Engagement. Wieder begeisterten die guten Bläser. Die Hornrufe Siegfrieds gelangen perfekt, was man so nicht immer an großen Häusern erlebt. Schade, dass der Hornist nicht in der Liste der Künstler erwähnt wurde. Die Streicher sorgten wieder für einen homogenen Klangteppich, auf dem sich alle anderen Musiker perfekt trafen. Kocsar stellte auch wieder eine gute Koordination zwischen Graben und Bühne her. Ein herausragender Höhepunkt war das Vorspiel und die Erda-Rufe des Wanderers zu Beginn des 3. Aufzugs. Kocsar dirigierte es so intensiv, als wollte er zeigen, dass Wagner sich hier nach 15 Jahren Pause wieder an den „Ring“ gesetzt hatte, nun aber mit ganz anderen musikalischen Qualitäten.

 

Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert