Staatsoper Budapest: „DIE WALKÜRE“ (WA) – Überbordende Videophantasien, aber gut gelungen!

Ungar. Staatsoper Budapest/Foto @ Snóbli Iván, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Bereits im Jahre 2017 begann die Budapester Staatsoper einen neuen „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner in der Regie und mit dem visuellen Konzept von Géza M. Tóth und dem Bühnenbild von Gergely Z Zöldy und kam damit bis zum „Siegfried“ 2019. Dann musste sie aber den Abschluss der Tetralogie mit der „Götterdämmerung“ bis auf den Mai 2022 verschieben, weil einerseits die Corona-Pandemie dazwischen kam, andererseits aber auch die Staatsoper total renoviert wurde. Das geschah gerade mal in 4,5 Jahren, was man als außergewöhnlich bezeichnen kann, wenn man an die an kleine Ewigkeiten grenzenden Renovierungszeiten beispielsweise der Berliner Staatsoper, der Kölner Oper sowie der Oper Augsburg denkt. Das Budapester Haus erstrahlt nun in einem betörend erfrischten goldenen Glanz. Man kann sich gar nicht satt sehen an den feinen Goldziselierungen der Wände und Decken sowie den vielen aufgefrischten Wand- und Deckenmalereien. Wehmütig kommt der Gedanke auf, dass die Wiener Staatsoper vor ihrer Zerstörung Ende des II. Weltkriegs auch einmal so ausgesehen hat bzw. haben könnte. Dabei ist die Budapester Staatsoper wesentlich kleiner – gemäß eines ausdrücklichen Befehls von Kaiser Franz Joseph, dem Bauherrn beider Häuser. Aber die neue Parkett-Bestuhlung ist nun wohl die bequemste, ja fast gemütlichste aller europäischen Opernhäuser. Man kommt sich wie im eigenen Wohnzimmer vor, wenn man sich im Sessel niederlässt. Chapot also für diese phantasievolle gestalterische Meisterleistung! Und das in so kurzer Zeit, wo auch noch die Bühnenmaschinerie renoviert wurde… (Rezension der Wiederaufnahme (WA) vom 16.11.2022)

 

 

Phantasievoll geht es auch in der neuen „Walküre“ von Géza M. Toth zu. Und zwar die Optik, wenn man die ständig wechselnden, sich aber mindestens stetig langsam bewegenden Video-Bebilderungen des Kedd Animation Studio (Projected scenery nennen sie das) auf der Hinterbühne sieht, die sich immer wieder auch noch auf Zwischenvorhängen ausbreiten, dabei aber die Handlung dahinter mystisch verklären. Und das erweist sich oft als dramaturgisch gut und sinnvoll. Wie überhaupt es ein Genuss ist, in Budapest wieder einmal den Wagnerschen „Ring“-Mythos verwirklicht zu sehen, der im deutschen Regietheater so sträflich negiert wird. In diesem Budapester „Ring“ ist zu erleben, wie er der Musik zu viel stärkerer Entfaltung, Konsequenz und Ausdruckskraft verhilft. Es ist eine Darstellung des Wagnerschen Mythos‘ mit den modernsten Mitteln der visuellen und physischen Bühnentechnik unserer Tage – und das ist eine ernstzunehmende Lösung!

Hungarian State Opera Budapest/DIE WALKÜRE/©Edina Ligeti

Zu Beginn steht die Bühne noch ganz im Zeichen des Konsumterrors, der im „Rheingold“, beim Einzug der Götter in den Konsum-Tempel Walhall noch so intensiv akzentuiert wurde. Man sieht Siegmund dann aber allzu gemütlich durch eine Reihe von Hindernissen auf der später noch eine wichtige Rolle spielenden Oberbühne auf Hundings „Hütte“ zuschreiten. Diese ist hier eher ein kleiner, modern eingerichteter Konsumtempel, in poppigem Bunt gehalten. Sieglinde kommt gerade vom Lidl- oder Hofer/Aldi-Einkauf mit bunten Einkaufstaschen nach Hause und muss sich erstmal darum kümmern, dass ihr rüpelhafter Gatte Hunding, von Gábor Geza sängerisch gut aber wenig düster verkörpert, und seine beiden Buddies eine Dose eines Energy-Gesöffs nach der anderen öffnen und – nur teilweise – austrinken können. Die Bettwäsche ist ebenfalls in knalligem Bunt gehalten. Witzig, wenn Sieglinde und Siegmund später auf der Flucht noch die Bettdecke und ein Kopfkissen mitnehmen, nachdem sie Hunding so tief eingeschläfert hatte, dass er selbst im Ehebett auf der Bühne nichts vom „sträflichen“ Geschehen mitbekam. Ähnlich phantasievoll auch Sieglindes Kostüm von Ibolya Bárdosi, das sich ebenso wie jenes von Siegmund, der eine Laute wie ein mittelalterlicher Minnesinger bei sich trägt und die „Winterstürme“ mit ihr spielt, bestens zur allgemeinen Farbästhetik passt. Interessant ist der völlig gleiche und übergroße gecurlte Haarputz der beiden, der Hundings Verdacht auf ihre Verwandtschaft noch nachvollziehbarer macht, ja sie für jeden ersichtlich zum Wälsungenpaar abstempelt.

Hungarian State Opera Budapest/DIE WALKÜRE/©Edina Ligeti

Sehr wirkungsvoll sind die Abläufe auf der erhöhten Hinterbühne, wo zu den Erzählungen Siegmunds und später Sieglindes Statisten die entsprechenden Szenen spielen. Als eine von mehreren soll hier die Szene genannt sein, in der der junge Wotan in die Hochzeitsgesellschaft von Hunding und Sieglinde eindringt, das Schwert wie eine allen Männern sichtbar Angst einflößende Waffe vor sich herträgt und schließlich in den Stamm der Weltesche stößt. (Schade nur, dass es gleich umfällt. Warum macht man so etwas nicht mit einem Styropor-Block, der stets festen Sitz garantiert und übrigens auch das so störende vorzeitige Wackeln des Schwertes im Moment seiner Gewinnung durch Siegmund verhindert?!). Leider ist auch hier die Schwert-Gewinnung völlig unspektakulär und entspricht damit nicht den Klängen, die dazu aus dem Graben kommen, und zwar außerordentlich gut! Dazu trägt auch die etwas uncharismatisch schauspielerische Leistung von István Kovácsházi bei, der über einen recht schönen lyrisch-dramatischen Tenor verfügt, aber offenbar kaum Wert auf eine intensive Rollendarstellung legt. Seine Partnerin Eszter Sümegi hingegen spielt die Sieglinde mit enormer darstellerischer und somit einnehmender Empathie. Ihr dramatischer Sopran, dem es etwas an Wärme und bisweilen an vokaler Ausgeglichenheit fehlt, weist schon mehr in die Richtung der Brünnhilde.

Im 2. Aufzug wartet Tóth mit einer interessanten Neuerung für das Hojotoho der Brünnhilde auf. Sie kommt mit einem an sich schicken, aber allzu sehr an die deutsche Milka-Schokolade -Werbung von „glücklichen Kühen“ erinnernden lila Kleid mit acht schwarz maskierten hyperaktiven Tänzern in einer interessanten Choreographie von Marianna Venekei auf die Bühne und stellen offenbar die acht Pferde der Walküren dar. Sie bleiben fast den ganzen Aufzug und unterliegen später dem Willen Wotans. Für das folgende Zwiegespräch zwischen Wotan und Fricka wurden zwei moderne thronähnliche Sessel konzipiert, die sich bestens in die frische Farbästhetik einpassen und auch akustisch hilfreich sind.

Hungarian State Opera Budapest/DIE WALKÜRE/©Edina Ligeti

Nachdem Szilvia Rálik mit einem kraft- und ausdrucksvoll gesungenen Hojotoho auf sich aufmerksam gemacht hat, nimmt Erika Gál einmal mehr mit ihrem ebenso kultivierten wie klangschönen und wortdeutlichen Mezzo als Fricka für sich ein. Sie betont auch mit einer gewissen charmant-weiblichen Zurückhaltung die Richtigkeit ihrer Standpunkte, sodass diese umso intensiver auf Wotan wirken. Da der ungarische Sänger des Wotan indisponiert war, hatte man den bekannten Renatus Mészár eingeladen. Darstellerisch führt er überzeugend und mit hoher Souveränität seine profunde Kenntnis der Rolle vor. Stimmlich kommt er dem „Walküre“-Wotan auch weit entgegen, lässt es aber letztlich an bass-baritonalem Klangvolumen und -farbe missen. Eine große volle Wotan-Stimme hat er nicht. Eine gute Idee: Als Wotan auf dem Höhepunkt seiner Schwäche am Schluss des Monologs den Speer bei Brünnhilde vergisst, reißt er ihn ihr in der gut gestalteten Kampszene aus der Hand und zerschlägt damit Siegmunds Schwert! Endlich mal eine Bühne, auf der das funktioniert!

Hungarian State Opera Budapest/DIE WALKÜRE/©Edina Ligeti

Im 3. Aufzug erleben wir ein wild tanzendes, farbenprächtig kostümiertes Walküren-Oktett, das auch recht homogen und lautstark singt. Wotan kommt von oben und wischt die Tänzer, also ihre Pferde, mit einem Streich zu Boden. Am Ende gibt es einen mit viel Video-Animation optisch eindrucksvoll gestalteten Feuerzauber, in dem man Wotan verklärt wie ein ägyptischer Hohepriester von der auf einen Tisch gebetteten Brünnhilde Abschied nehmen sieht. Es war ein emotional starkes Finale, sowohl sängerisch vor allem wegen Szilvia Rálik mit ihrem kraftvollen und prägnanten Sopran, dem es allenfalls etwas an Breite und damit Wärme mangelt, sowie der Gestaltung von Renatus Mészár.

Balázs Kocsar dirigierte das Ungarische Staatsopernorchester mit sicherer und offenbar sehr Wagner-erfahrener Hand. Die Musiker spielten in Hochform. Immer wieder bestachen die guten Bläser, aber auch die Streicher sorgten für eine stets intensive Präsenz. Zudem gab es immer eine gute Koordination zwischen Graben und Bühne. Gedanken an den alten Nagy-„Ring“ an diesem Hause wurden wach, der schon damals die große Liebe des Orchesters zu Wagner offenbarte.

 

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