Scheidung ist auch eine gute Versöhnung – „Die Frau ohne Schatten“ an der Deutschen Oper Berlin

Deutsche Oper Berlin/FRAU OHNE SCHATTEN/Foto: Matthias Baus

Jetzt hat’s ausgestrausst! Tobias Kratzer inszeniert mit der Frau ohne Schatten die letzte Oper seines dreiteiligen Strauss-Zyklus an der Deutschen Oper Berlin – mit Kinderklau und Keikobad am Klavier. Eine einfache Geburt gelingt der detailreichen Inszenierung rund um zwei kinderlose Paare nicht. Dennoch: ausharren lohnt sich.(Rezension der Premiere v. 26. Januar 2025)

 

 

Zu Beginn allen Übels kommt die Post. Der Geisterbote in UPS-Uniform hätte gern die Unterschrift der Amme für einige klobige Pakete, und tja, ein Problem wäre noch zu lösen: wenn die Kaiserin nicht binnen der nächsten drei Tage einen Schatten wirft, muss der Kaiser leider versteinen, danke und tschüss. Der Amme kommt das gar nicht zupass. Der unerfüllte Kinderwunsch der Kaiserin hängt hier ohnehin schon in den vier Wänden: süße Plüschtiere wurden geliefert, ein Hase und ein Falke, dessen Stimme die Drohung des UPS-Boten wiederholt, und auch an diesem Morgen zeigt der Schwangerschaftstest der Kaiserin nicht das von Herzen ersehnte Ergebnis. Wie gut, dass die Amme da eine Idee hat: na, wir kaufen jemandem anderen einfach den Schatten ab! Was soll daran schon unmoralisch sein, wenn man anständig zahlt und sich eine willige Verkäuferin findet?

Deutsche Oper Berlin/FRAU OHNE SCHATTEN/Foto: Matthias Baus

So schneien die Amme und die Kaiserin in die Wäscherei der Färberfamilie, bestehend aus dem Färber Barak, Gattin und drei quatschköpfigen Brüdern in Joggingklamotte, hinein. Letztere drei haben sich gleich zu Beginn mal an der Kasse um bunte Scheine bedient und sind dreist genug, sich an Ort und Stelle darüber zu zoffen. Zwischen Waschmaschinen und Wäschebergen benimmt sich die Amme wie auf dem Markt: pfriemelt an der käuflichen Ware – nämlich der Färberin – herum, an ihrem Kittel, zieht ihn von ihrem Bauch weg, um die zu mietende Gebärmutter für eine Leihmutterschaft anzudeuten. Überhaupt ist die Amme allergisch gegen Armut; die Fischstäbchenpackung fürs Abendessen fasst sie mit spitzen Fingern an und zur Verdeutlichung des Luxuslebens in Aussicht bestellt sie einen parodistischen Gänsemarsch etlicher Ankleiderinnen und eines Callboys ein. Barak, zunehmend verwirrt, schaut gegen Ende des ersten Aktes aufs Sofa verbannt dort einsam ein schmalziges Fernsehkonzert. Dieser insgesamt begrüßenswert deutlich formulierte Ansatz der Regie kostet dennoch sein Potenzial für einschlägige Bilder leider nicht ganz aus – neben dem Kratzer’schen Humor, der zwar nicht fehl am Platz ist, bräuchte es jedoch mehr effektvolle Illustration der Einsamkeit, die sämtliche Figuren plagt, wie eben Baraks Umsiedelung auf das Sofa. Abgesehen davon spielt das Bühnenbild (Kostüme und Bühnenbild: Rainer Sellmaier) nicht immer mit. Vom „Existenzminimum“ ist die Rede, an dem das Färberehepaar lebt, aber dafür ist die Wohnung des Paares dann doch etwas zu durchgestylt. Zudem müssen dank Drehbühne manche Möbel sowohl zum kaiserlichen Haushalt als auch zur Wäscherei gehören – dass das für die Lebensumstände weder der einen noch der anderen realistisch wirkt, ist selbstredend.

Im zweiten Akt geht es dann auch für den Kaiser bergab. Dieser, mehr Bürohengst als Herrscher, unternimmt im Freundeskreis ungeschickte Betrugsversuche und vergreift sich betrunken beinahe an seiner eigenen Ehefrau. Die Färberin macht ihrem Gatten derweil zunehmend Kampfansagen und ringt sich schließlich zur Leihmutterschaft durch. Diese wird in einem Video-Einspieler (Video: Jonas Dahl, Manuel Braun, Janic Bebi) von einem Arzt initiiert, dessen dicke silberne Uhr bisherige Anspielungen auf ungleiche Machtverhältnisse und ausgenutzte Klassenunterschiede in einer Leihmutterschaft vervollständigt. Als die Färberin nach der Behandlung wieder daheim aufkreuzt, in glitzerndem schwarzem Kleid, erreicht die Spannung im Haushalt endlich ihren Höhepunkt. Provoziert von den Worten der Färberin, wittert Barak eine Affäre und verdrischt den von den Brüdern herbeigezerrten Callboy. Im allgemeinen Chaos steht die Färberin plötzlich mit blutigen Beinen da – ob fehlgeschlagene künstliche Befruchtung oder aufgeschlagenes Knie lässt die Blutplatzierung zumindest bei der Premiere leider etwas zu offen, aber: „Barak, ich hab’ es nicht getan!“; es wird wohl doch nichts mit der Leihmutterschaft.

Was da zu Bruch ging, versucht das Färberehepaar schließlich im dritten Akt bei der Paartherapie zu kitten. Aber eine verheimlichte versuchte Leihmutterschaft, ein unerfüllter Kinderwunsch beziehungsweise die Verweigerung des Kinderkriegens sowie eine Schlägerei mit einem Callboy sind dann doch mindestens ein Problem zu viel. Von wegen „hoher Gatte!“! Da nützt auch der Schweigefuchs der Therapeutin nichts. Auf der Neugeborenenstation keimt derweil die kriminelle Energie der Amme, die sich am Kinderdiebstahl versuchen will. Für die Kaiserin bringt das ein Fass zum Überlaufen: sie überlässt die Vertraute der Krankenhaus-Security und begibt sich an den Ursprung des Übels. Und zwar in Keikobads Wohnzimmer. Der Geisterfürstenvater spielt Klavier und hat seiner nicht-schwangeren Tochter eine Babyparty organisiert. Diesem Druck widersetzt sich die tituläre Frau ohne Schatten schließlich in ihrem entschiedenen Ruf „ich will nicht!“. Endlich ist es gesagt: Glück auf Kosten anderer, erkauft durch den eigenen finanziellen Vorteil im Leben, ist kein Glück, dann lieber aller Erwartungen entledigt kinderlos glücklich. Unter diesen Umständen taut auch der „versteinte“ Kaiser auf Keikobads Sofa auf. Auch das Färberehepaar verpasst gesellschaftlichen Normen einen Fußtritt und lässt sich frohen Mutes scheiden. Zu verschieden sind doch die Lebenswünsche.

Diese neue Definition von Versöhnung entpuppt sich durchaus überraschend als zentrale Botschaft der Inszenierung: Versöhnung als Akzeptanz des Scheiterns und als Wohlwollen, einem anderen Menschen und sich selbst eine neue Chance auf Glück zu ermöglichen; Versöhnung als Zustand des Einklangs mit sich selbst und den Unabänderlichkeiten des (gemeinsamen) Daseins. Wobei – unabänderlich ist nicht alles. Während den letzten Akkorden blickt das Publikum in eine volle Kita. Dort darf, Jahre später, Barak endlich lächelnd seine kleine Tochter abholen. Das versöhnt die, die sich gern am vom Komponisten angedachten glücklichen Ende laben, doch ein wenig. Denn das Thema des „Müttermietens“ schwindet doch sehr plötzlich von der Bühne und erfährt daher keine rechte Auflösung. Auch die Neudeutung der Versöhnung ist weder platt noch falsch, und dennoch erscheint sie in der „Frau ohne Schatten“ (ein Stück, das explizit das Erlernen des Zusammenseins und der Zweisamkeit thematisiert) ein wenig, als würde man versuchen, ein besonders schönes Puzzlestück aus der Ecke unbedingt in die Mitte zu drücken, obwohl die Kante nicht ganz passt.

Im Graben sitzt derweil Sir Donald Runnicles, so geeignet wie weniger geeignet für diese Aufgabe. Runnicles, der ewige Kammermusiker, eröffnet mit abgehackten Akkorden und knarrigem Blech ohne großes Schwelgen. Die Art des schottischen Maestros, die akustischen Knallerbsen erst am Schluss zu zünden, ist bei der monumentalen Partitur zwar auch keinesfalls falsch, dennoch fehlt es im ersten Akt deutlich an Nachdruck. Einiges gelingt – ein feines Crescendo liebevoller Töne, eine unheilvolle Verkündung der nahenden kaiserlichen Versteinung – doch braucht der erste Akt unter der Oberfläche mehr Spannung, mehr kleine Zuckungen unter der Haut, Verzweiflungsausbrüche angesichts der Lage der Kaiserin, mehr Finsternis, wenn die Amme ihre zweifelhaften Ideen ausspricht. Im zweiten Akt findet das Dirigat besser zu einem Maß an Schwere, das ihm keine Lautstärke abverlangt, die ihm ohnehin nicht zu eigen gewesen wäre; im dritten Akt sind Runnicles’ Talente wie zu erwarten am besten aufgehoben: Passagen von Musik, die einen Anfang haben und kein Ende, ein langsames Atmen des ewigen Universums, das endlich zu sich selbst gefunden hat.

Deutsche Oper Berlin/FRAU OHNE SCHATTEN/Foto: Matthias Baus

Jordan Shanahan singt Barak buttrig-weich, rund und bassbaritonal, lieb und bauernschlau mit seinen Weisheiten, ein armer Tropf vor dem Herrgott mit nicht einer Unze Bosheit, der erst am Küchentisch und dann auf dem Fußboden schluchzt, ohne je zur Karikatur eines Waschlappens zu verkommen. Catherine Fosters Stimme gestaltet für die Färberin einen fast dünnhäutigen Klang, wie gespannt über ein seelisches Brodeln, schmucklos in der Höhe, großartig auch ihr Schauspiel im Stummfilm der Arztszene. In anderen Worten: eine starke Präsenz, genau zuhause in dieser Wäscherei und in diesem Waschkittel von grellem Mittelblau. Die Amme (Marina Prudenskaya, bis zur Unkenntlichkeit verkleidet) tönt trotz grauer Turmfrisur ganz und gar nicht großmütterlich, hingegen agil und gut geölt. Daniela Köhler als Kaiserin bewahrt sich in ihren leiseren Einsätzen einen mädchenhaft-hellen Ton bei, ohne später an Volumen einzubüßen, und offenbart stimmlich einen wachsenden Zorn gegenüber der Party in Keikobads Wohnzimmer. Die anstrengende Partie des Kaisers ist bei Clay Hilley zumeist sicher aufgehoben, einzig in den ungnädigen „o weh!“-Rufen des zweiten Aktes erscheint etwas Erschöpfung. Patrick Guetti als geisterhafter UPS-Bote überzeugt in seinem ersten Auftritt zunächst mit den Höhen und legt im zweiten auch noch vollere Tiefen nach. Auch die kleineren Partien (Stephanie Wake-Edwards als Stimme von oben alias Paartherapeutin, Nina Solodovnikova als Falke/Affäre, Callboy/Jüngling: Chance Jonas-O’Toole, Baraks Brüder Philipp Jekal, Padraic Rowen und Thomas Cilluffo sowie Hye-Young Moon als Hüterin der Tempelschwelle) sowie der Chor der Deutschen Oper Berlin erfreuen das Ohr.

Am Ende gibt es für diese Regieleistung doch mehr Bravo als Buh. Ob es diese „Entzauberung“ eines Märchens, wie im Programmheft steht, notwendig ist, ist eine andere Frage – mit oder ohne Zauber kommen den nicht gerade unkomplizierten Ideen immerhin eine meist verständliche Aufbereitung und ein Sinn für das Menschliche zugute. Pech denen, die in einer Pause bereits gingen. Kommt Zeit, kommt Rat, kommt der dritte Akt, auch in der Oper.

 

Teile diesen Beitrag:

Ein Gedanke zu „Scheidung ist auch eine gute Versöhnung – „Die Frau ohne Schatten“ an der Deutschen Oper Berlin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert