Rising stars in einer intelligenten Inszenierung: „L´elisir d´amore“ von Donizetti im Theater Hagen

Theater Hagen/Liebestrank/ Dan K. Kurland, Penny Sofroniadou/Foto@ Klaus Lefebvre

Einige Opernhäuser und Theater haben die Spielzeit 2020/21 bereits abgesagt, der Intendant Francis Hüsers öffnet sein Haus in Hagen mit einer Corona-tauglichen Produktion von „L´elisir d´ amore“ mit sehr jungen Stars, die das Zeug zu einer großen Karriere haben. Anton Kuzenok mit seinem jugendlich-strahlenden lyrischen Tenor überzeugt auf der ganzen Linie als Nemorino, Penny Sofroniadou als Adina bleibt mit ihrem koloraturstarken lyrischen Sopran der Partie nichts schuldig, und Insu Hwang als Dulcamara lässt aufhorchen. Kenneth Mattice als Belcore wird um einen fulminanten Auftritt gebracht, denn Orchester und Chor sind, bedingt durch Corona, deutlich reduziert.

 

Intendant und Regisseur Francis Hüsers begrüßte das Premierenpublikum persönlich und bekannte sich zu seinem Konzept, so früh wie möglich wieder zu spielen. Die Innengastronomie musste zwar noch auf den Hof ausweichen, aber Dirigent Rodrigo Tomillo hatte eine Bearbeitung vorgelegt, mit der alle Corona-Abstandsregeln auf der Bühne und im Orchestergraben eingehalten werden konnten.

Foto: Foto Kühle, Rechte: theaterhagen
Theaterhagen/Foto: Foto Kühle, Rechte: theaterhagen

So endete am 12. Juni 2021 die Premiere im coronakonform lückenhaft besetzten Theater Hagen mit begeistertem und langanhaltendem Applaus der nach Live-Aufführungen ausgehungerten Zuschauer*innen.

„L elisir dámore“ – „Opera comica“ von Gaetano Donizetti , am 12. Mai 1832 im Teatro della Conobbiana in Mailand uraufgeführt – ist wohl Donizettis erfolgreichstes Bühnenwerk, das zu den zwölf meistgespielten Opern überhaupt gehört. Inszenierungen dieser Oper halten sich erstaunlich lange auf dem Spielplan der großen Häuser und werden immer wieder mit neuer Starbesetzung aufgelegt. Es ist mehr als eine Komödie, es ist eine Parabel über die Liebe.

Regisseur Francis Hüsers umgeht mit sicherem Griff die Problematik dieses Werks: er verlegt die Handlung in eine Musikhochschule, in der eine Opernklasse Donizettis „Liebestrank“ probt. Dadurch gewinnt er Distanz zu den Figuren und zur Handlung: Adina ist die reiche junge Grundbesitzerin, gleichzeitig die Hauptdarstellerin, Nemorino (übersetzt: kleiner Niemand) ein armer Schlucker, der noch nicht einmal lesen und schreiben kann. Vergeblich betet er Adina an und schwärmt von ihren Reizen, sie nimmt ihn einfach nicht wahr. Die Geschichte von Tristan und Isolde, die Adina den Dorfleuten vorliest, inspiriert ihn zu seinem Wunsch nach einem Liebestrank.

In den Kostümen stellt Katharina Weissenborn den Bezug zur Commedia dell´arte her, und die von Alfred Peter konzipierte Bühne von wird beherrscht von einem Podest mit einem schlichten Theateraufbau, der aus Shakespeares Zeit stammen könnte.

Da das Ganze als Theater im Theater in einer Musikhochschule spielt ist plausibel, dass der Chor auf 12 Sänger*innen reduziert ist, und dass auch das Orchester kleiner besetzt ist als üblich. Es liegt in Wirklichkeit daran, dass man sonst die vorgeschriebenen Abstände nicht einhalten kann.

Der erste Akt beginnt mit Proben, die Korrepetitor Dan K. Kurland in seiner Rolle als einstudierender Professor am Klavier leitet. Es agieren Student*innen einer Opernklasse, die „L elisir d´amore“ proben. Im Mittelpunkt stehen die Liebesnöte der Figuren aus der Oper, die gedoppelt sind in der Beziehung zwischen den beiden Hauptdarstellern. Dazu kommt eine angedeutete Affinität zwischen den Darstellern des Dulcamara und des Belcore und zwischen der Sängerin der Giannetta (Nina Andreeva) und dem Regisseur.

Theater Hagen/Liebestrank/ Dan K. Kurland, Kenneth Mattice/Foto@ Klaus Lefebvre

Durch die Rahmenhandlung wird der Blick fokussiert auf die privaten Liebesverwicklungen zwischen den Figuren.

Der zweite Akt setzt die Oper als Premiere fort: Adina (im Kostüm der Colombina), Nemorino als Arlecchino, Belcore als Capitano und Dulcamara als Dottore zeigen, dass der „Liebestrank“ die Tradition der Commedia dell´arte fortsetzt, aber mit echten Gefühlen ergänzt ist. Folgerichtig singt Nemorino seine Arie: „Una furtiva Lagrima“ abseits der Theaterbühne, und auch Adina tritt beim Duett: „Prendi, per me sei libero“ aus der Theatersituation heraus.

Sehr originell löst man die Annäherung Adinas an Nemorino: sie legt ihr aufwendiges Theaterkostüm mit Reifrock und Unterkleid ab und steht ihm im weißen Hemdchen gegenüber, denn Küssen und Umarmen sind aufgrund von Corona Tabu.

Die passende Choreographie von Francesco Vecchione trägt Commedia-dell´arte-gerechte Tanzschritte bei, die dafür sorgen, dass die Darsteller einender nicht zu nahe kommen.

Theater Hagen/Liebestrank/ Penny Sofroniadou, Kenneth Mattice, Chor des
Theaters Hagen/Foto@ Klaus Lefebvre

Alle Darstellerinnen und Darsteller wirken so jung und schlank, dass sie als Studierende an einer Hochschule durchgehen können. Ich habe tatsächlich an der Hochschule für Musik und Tanz Köln eine Studierendenproduktion des „Liebestrank“ gesehen, die zeigte, dass dieses Werk so stark ist, dass man dafür keine großen Namen braucht. 

Als Belcore, Kenneth Mattice in einem Don-Giovanni-Kostüm, mit Trommelbegleitung einmarschiert fällt allerdings das Fehlen eines großen Chors und Orchesters besonders auf. Hier können große Häuser zu normalen Zeiten mit militärischem Pomp und viel Volk punkten.

Anton Kuzenok überzeugt in seinem Rollendebut als Nemorino auf der ganzen Linie. Als Preisträger zahlreicher internationaler Wettbewerbe wurde er 2017 bis 2019 im Opernstudio der Oper Köln engagiert. Er hatte bis 2016 im staatlichen Operntheater Samara (Russland) Rollen wie Tamino in der „Zauberflöte“, Lenski in „Eugen Onegin“, Alfredo in „La Traviata“ und dem Herzog in „Rigoletto“ gesungen. Sein perfekt geschulter und besonders schön timbrierter lyrischer Tenor mit bombensicheren Höhen prädestiniert ihn für die Rolle des Nemorino ebenso wie seine jugendliche Ausstrahlung. Nicht nur seine Arien: „Quanto e bella“ und:  „Una furtiva Lagrima“ rissen die Zuschauer*innen zu Beifallsstürmen hin. Nemorino ist die Triebfeder der Handlung, indem er die Schwärmerei des Verliebten, die Verzweiflung des Enttäuschten und den Jubel des Erhörten eindrucksvoll gestaltet.

Theater Hagen/Liebestrank/ Penny Sofroniadou, Anton Kuzenok, Chor des Th
eaters Hagen/Foto@ Klaus Lefebvre

Penny Sofroniadou, die bereits 2016  in der Oper Bonn eine der Nichten in „Peter Grimes“ gesungen hatte, war von 2017 bis 2019 Mitglied des Opernstudio Niederrhein. In zwei Produktionen, 2017 in Aachen und 2019 in Mönchengladbach, gestaltete sie in der Monooper von Grigori Frid die Titelpartie der Anne Frank. Link zu unserer Rezension:  https://opernmagazin.de/aufruettelndes-erlebnis-das-tagebuch-der-anne-frank-im-bunker-guedderath/.

Ihr Rollendebut als Adina zeigt, dass sie nicht nur perfekte Koloraturen und Verzierungen gestalten kann, sondern auch die psychische Entwicklung von einer gedankenlosen Flirterin, die auf einen Belcore hereinfällt, zu einer wahrhaft liebenden Frau, die Nemorinos Liebe ehrlich erwidert, meistert.

Ihre Arie „Prendi, per me sei libero“ kann als Schlüsselstelle des Werks gesehen werden: als Adina erkennt, dass Nemorino sein Leben wegwirft, indem er sich bei Belcore als Soldat verpflichtet, weil er sie nicht von sich überzeugen kann, ist ihr Herz erobert, was sie in überbordenden Koloraturen, die sich im Duett mit Nemorino noch steigern, äußert. Hier offenbart sich der Höhenflug einer glücklichen Liebe.

Theater Hagen/Liebestrank/ Insu Wang/Foto@ Klaus Lefebvre

Schon mit der ersten Phrase „Udite, o rustici“ zeigt Insu Hwang eine enorme Bühnenpräsenz mit seiner Auftrittsarie als Dulcamara. Er war fünf Jahre in Detmold und hat mit seiner jugendlichen Erscheinung die besten Jahre als Spielbass noch vor sich. Absolut perfekt in der Deklamation glänzt er in Duetten neben Adina und Nemorino.

Die Rahmenhandlung knüpft in besonderer Weise an die Lebenswirklichkeit junger Menschen an und ermöglicht einen unverstellten Zugang zur wunderschönen Musik Donizettis.

Es war das absolut perfekte Stück, das Ende der Pandemie zu begehen. Man kann Francis Hüsers zu dieser Produktion nur beglückwünschen.

Hier der Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=c-L5p4clQSM&t=5s

Gesehene Vorstellung: Premiere am 12. Juni 2021

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Theater Hagen / Stückeseite
  • Titelfoto: Theater Hagen/Liebestrank/ Anton Kuzenok, Penny Sofroniadou/Foto@ Klaus Lefebvre

 

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