
Christian Thielemann gilt in unseren Tagen als versiertester Dirigent für die Opern von Richard Wagner. Er ist seit über zwei Jahrzehnten die Konstante für fortwährende orchestrale Glanzstunden bei den Bayreuther Festspielen. Und obgleich Thielemann sämtliche zehn Musikdramen aus dem Kanon Wagners auf dem grünen Hügel dirigiert hat, ist er dem „Parsifal“, eben jenem für Bayreuth so charakteristischen Werk, zunehmend aus dem Weg gegangen. Wagner komponierte seine letzte Oper eigens für die besondere Akustik des Festspielhauses mit dem verdeckelten Orchestergraben, dem „mystischen Abgrund“. Lediglich einen einzigen Sommer, in seinen früheren Jahren, hat Thielemann die Wiederaufnahme einer alten Inszenierung von Wolfgang Wagner musikalisch geleitet. Zuletzt konzentrierte sich der Dirigent ganz auf den „Lohengrin“ sowie „Tristan und Isolde“. In konzertanter Fassung, es sollte sein einziger Auftritt in diesem Festspielsommer in Bayreuth sein, nahm sich Thielemann nun noch einmal dem „Parsifal“ – diesem Bühnenweihfestspiel für Musik – an und ließ hierbei wahrlich den „Raum zur Zeit“ werden. Eine einzigartige Aufführung, die selbst in der ruhmreichen Festspielgeschichte von Bayreuth als musikalisch unerreicht eingehen wird! (Rezension der Vorstellung v. 10. August 2021)
Vieles deutete daraufhin, dass an diesem Abend, ein ansonsten ganz regulärer Dienstag inmitten der Festspielzeit, alles anders werden sollte, als zu den üblichen Aufführungen der Bayreuther Festspiele. Das ansonsten so bunt gemischte und exzentrische Wagnerpublikum war in Diskretion und Zurückhaltung geprobt. Demütig und still verharrte die Gemeinschaft schon eine Viertelstunde vor Aufführungsbeginn im Festspielhaus, niemand sprach oder nahm noch ein Instagram-Selfie auf, die Zuschauerinnen und Zuschauer zollten gebührenden Respekt vor Richard Wagner, seinem Dirigenten Christian Thielemann und dem zu erwartenden Bühnenweihfestspiel. Augenscheinlich wurden unwissende Lokalpolitiker und so mancher B-Promi von einem Vorstellungsbesuch abgeschreckt, denn „Parsifal“ in konzertanter Fassung unter Verzicht auf jegliche szenische Bühnenausstattung fordert enorme Konzentration und eine umfassende Kenntnis von Werk und Partitur Richard Wagners. So war es selbstverständlich, dass das Publikum in alter Tradition auch auf Applaus nach dem ersten Aufzug verzichtete.

Sein Solistenensemble stellte Christian Thielemann aus langjährigen Weggefährten zusammen. Mit ausgeglichener Gelassenheit und in unnachahmlicher Natürlichkeit gestaltete Georg Zeppenfeld die Rolle des Gurnemanz. Seine langen Worte der Erzählung von Gral und dem geraubten Speer flossen authentisch und ausgeglichen als kämen sie direkt von seinem Herzen. Auch der Tenor Stephen Gould ist ein treuer Partner Thielemanns. Mit seiner verlässlichen, an Perfektion grenzenden Gesangstechnik hat sich Gould zum mitunter versiertesten Heldentenor der Gegenwart etabliert. Auch an diesem Abend bewies er eine hohe sängerische Qualität und strotzte mit seiner kraftvollen und voluminösen, stets kontrollierten Tenorstimme bei deutlicher Aussprache.
Im Festspielhaus hat wohl niemand vor ihm solche Qualen gelitten wie der Bassbariton Michael Volle in der Rolle des Amfortas. Er verband die textliche Silbengestaltung eines Liedsängers mit dem Ausdruck und der Vehemenz seines Sachs oder Wotans und schuf damit ein in der Rezeptionsgeschichte des „Parsifals“ unerreichtes Rollenporträt.

Die sich zuletzt im Sopranfach als Isolde und Brünnhilde weiterentwickelte Petra Lang übernahm nun mit der Kundry wieder eine Mezzo-Partie. Sie bewies in den mittleren Registern ihre Stärken mit gefestigter, etwas im Halse steckender Stimme als komplexes und widersprüchliches Kundry-Wesen. In den höheren Phrasen brach ihre Stimme jedoch etwas ab, verlor an Gleichmäßigkeit und dadurch auch an Wortdeutlichkeit. Ergänzt wurde das Ensemble durch Günther Groissböcks intensive Stimme aus dem Off. Er gab der kurzen Partie des alternden, sterbenden König Titurels die ihm gebührende Autorität.
Und das Dirigat Christian Thielemanns sowie die musikalische Leistung des Festspielorchesters? Zugegeben, es ist schwer in Worte zu fassen, was tief bewegt und berührt.
Einige Punkt seien dennoch erwähnt: Es war auffallend, wie straff, geradezu aufwühlend und erregt Thielemann das Vorspiel und den ersten Aufzug nahm, jedoch im folgenden zweiten Aufzug, der ja mit den Klingsor-Kundry-Parsifal Szenen den eigentlichen dramatischen Höhepunkt bildet, das Tempo merklich eindämmte. In der Blumenmädchen-Szene schien die Zeit stillzustehen, geradezu zeitlupenmäßig webte Thielemann die mesmerisierenden weiblichen Stimmen in das zurückgenommene Orchester. Dass Christian Thielemann an die legendären Parsifal-Dirigate der Nachkriegszeit von Hans Knappertsbusch anknüpfen vermochte, war zu erwarten. Dass er selbst diese in den Schatten stellen konnte, war jedoch das unvorhersehbare Ereignis des Abends.
Am Ende des ersten Aufzugs fragt Gurnemanz „Weißt du, was du sahst?“ – Unser Redakteur antwortet hierauf einmal ganz persönlich „Nur das größte musikalische Ereignis in meinem Leben – Danke Christian Thielemann!“.
Christian Thielemann lässt den Raum zur Zeit werden – Ein einzigartiger, allwährender „Parsifal“ bei den Bayreuther Festspielen.
Besetzung:
Musikalische Leitung | Christian Thielemann |
Bühnengestaltung | Philipp Fürhofer |
Amfortas | Michael Volle |
Titurel | Günther Groissböck |
Gurnemanz | Georg Zeppenfeld |
Parsifal | Stephen Gould |
Klingsor | Derek Welton |
Kundry | Petra Lang |
1. Gralsritter | Tansel Akzeybek |
2. Gralsritter | Timo Riihonen |
1. Knappe | Alexandra Steiner |
2. Knappe | Simone Schröder |
3. Knappe | Martin Homrich |
4. Knappe | Attilio Glaser |
Klingsors Zaubermädchen | Tuuli Takala |
Katja Stuber | |
Simone Schröder | |
Alexandra Steiner | |
Bele Kumberger | |
Marie Henriette Reinhold | |
Eine Altstimme | Simone Schröder |
- Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Bayreuther Festspiele 2021
- Titelfoto: Parsifal; Bayreuther Festspiele 2021; Foto ©Enrico Nawrath