Mit der Schweizerischen Erstaufführung der Oper „Amerika“ hat sich das Opernhaus einer ganz außerordentlichen Herausforderung gestellt und keinen Aufwand gescheut, dieses erst dreimal aufgeführte Werk von Roman Haubenstock-Ramati auf die Bühne zu bringen. Bereits vor drei Jahren war diese Aufführung geplant gewesen, aber das Projekt konnte wegen der Corona-Pandemie nicht verwirklicht werden. Die lange Vorbereitungszeit ermöglichte es allen Beteiligten, sich noch intensiver mit diesem außergewöhnlichen Werk auseinanderzusetzen. (Besuchte Vorstellung: Premiere, 3. März 2024)
Die Uraufführung dieser Oper fand 1966 an der Deutschen Oper Berlin statt und war ein veritabler Skandal. Dies unter anderem auch deshalb, weil die technischen Voraussetzungen für die Umsetzung der sperrigen Partitur damals noch gar nicht vorhanden waren. Das Opernhaus Zürich verfügt über die technischen Möglichkeiten, um die gewünschten Effekte umsetzen zu können. Waren es bei der Uraufführung nur gerade 4 Lautsprecher, so sind es im Opernhaus fast deren 80, welche den Zuschauerraum von der Seite und von oben mit den Klängen in das Geschehen mit einbeziehen.
Die Partitur enthält kalligrafische Zeichnungen und ganz ungewöhnliche Spielanweisungen, welche an den Dirigenten und die Regie unglaubliche Anforderungen stellen. So werden neben dem Orchester im Graben noch zwei, einmal sogar drei weitere Orchester benötigt, welche jedoch vom Band eingespielt werden, genauso wie auch die Sprechchöre. Hier muss man die Klangregie von Oleg Surgutschow und das Sounddesign von Raphael Paciorek besonders erwähnen, welche sich zusammen mit dem Dirigenten Gabriel Feltz, mit Akribie dieser Aufgabe gestellt haben. Die Klangsequenzen und die optische Umsetzung sind durchaus faszinierend. Allerdings muss man bereit sein, offen und unvoreingenommen das Zusammenspiel von Klang, Licht und Raum auf sich einwirken zu lassen.
Nach dem unvollendeten Roman „Der Verschollene“ von Franz Kafka wurde das Romanfragment erst nach dessen Tod vom Verleger und Freund des Autors Max Brod unter dem Namen „Amerika“ veröffentlicht. Darin wird die Geschichte von Karl Rossmann erzählt, der von seinen Eltern verstoßen und nach Amerika geschickt wird und in immer skurrilere Situationen gerät. Die einzelnen Szenen zeigen oft in ganz kurzen Sequenzen seinen Weg in immer tiefere Abgründe.
Sebastian Baumgarten hat zusammen mit seiner Ausstatterin Christina Schmitt und der Lichtgestaltung von Elfried Roller, sowie Videos von Robi Voigt einen Bühnenraum geschaffen, welcher durch rasche Wechsel und raffinierte Gestaltung die Handlung zügig vorantreiben lässt und den Zuschauer in Bann hält. Die von Haubenstock-Ramati vorgesehene Ballettpantomime, choreografierte Takao Baba mit 12 Tänzer/innen und erzeugte damit eine eigenständige Wirkung durch den Gebrauch von Urban Dancing. So entstehen immer wieder überraschende Eindrücke.
Die Aufführung eines solch anspruchsvollen Werkes bedarf eines Ensembles, welches sich offen den schwierigen Partien stellt und die teilweise ganz kurzen Szenen-, Rollen- und Stimmungswechsel meistern kann.
Paul Curievici als Karl Rossmann, Mojca Erdmann als Klara und Therese, Ruben Drole als Onkel Jakob, Der Oberportier, Der Direktor, Allison Cook als Brunelda, Robert Pomakov als Heizer, Pollunder, Robinson und Erster Landstreicher, Georg Festl als der Oberkellner, Delamarche Zweiter Landstreicher und Der Personalchef, Irène Friedli als Oberköchin, Benjamin Mathis und Sebastian Zuber in weiteren Rollen, boten eine sehr beeindruckende Ensembleleistung.
Gabriel Feltz, welcher sich in aufwändigster Feinarbeit mit dieser zweifellos einmaligen Partitur auseinandergesetzt und die Philharmonia Zürich durch diese Klangwelten geführt hat, konnte sich über den Erfolg dieses Abends freuen.
Hier hat das Opernhaus einmal mehr gezeigt, was durch ein Zusammenspiel aller Mitwirkenden, auf der Bühne und hinter den Kulissen geleistet werden kann.
- Rezension von Marco Stücklin / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Opernhaus Zürich / Stückeseite
- Titelfoto: Opernhaus Zürich/AMERIKA/ Foto: Herwig Prammer