Brittens vielleicht bekannteste Oper erzählt die Geschichte des Fischers Peter Grimes, in dessen Umfeld es gleich zu zwei Todesfällen von ihm als Helfer angeheuerte Jungen kommt. Die ihn umgebende Dorfgemeinschaft ist sich der Sache schnell sicher, dass es sich nicht um tragische Unfälle gehandelt haben kann, sondern das Grimes ein brutaler Kindsmörder ist. Dabei ist die Gesellschaft in ihrer Meinungsfindung und im Hang zur Selbstjustiz nicht zimperlich und gerade diese Brutalität, diese menschlichen Abgründe werden in der Inszenierung von Frederic Wake-Walker in starken Bildern gezeigt. (Rezension vom 26.11.2018)
Insgesamt ist dieser Abend ein Erlebnis, denn sowohl auf Seiten der Regie, als auch auf der musikalischen Seite stimmt einfach alles. Der junge Regisseur schafft es, die Geschichte um den Außenseiter Peter Grimes unglaublich spannend und eindrücklich zu erzählen. Fein differenzierte, bis ins letzte Detail hervorragend gearbeitete Figuren, eine Führung des Chors, die wahre Gänsehaut-Momente schafft und die die Schonungslosigkeit der Geschichte zeigt, sind einfach beachtlich. Bühnenbildnerin Anna Jones stellt einen Raum in den Saal 1 des Staatenhauses, der an ein verwittertes Kirchenschiff erinnert, dessen hölzerne Außenwand von Wind und Wetter schon stark in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Mit wenigen Griffen wird dieser Raum zum Pub oder zur Hütte von Grimes. „Live an let live and keep your hands by yourself“ oder zu Deutsch: „Leben und leben lassen und die Hände bei sich behalten“ ist als verwitterte Inschrift lesen und wird zum omnipräsenten Wahlspruch einer bigotten Gesellschaft. Denn auch wenn Wake-Walker Peter Grimes als brutalen Menschen zeichnet, so schafft er es ihn auch als Wesen voller Zerrissenheit, voller Angst vor sich selbst zu präsentieren und das berührt ungemein. Ihm gegenüber steht aber eine Gesellschaft, die sich bei leichten Mädchen und viel Alkohol immer wieder aufs Neue zusammenrottet und gegen den Außenseiter hetzt – und ist es nicht der berauschende Alkohol, so ist es der religiöse Eifer, der die Maschinerie gegen Grimes schmiert.
Diese Gesellschaft tut alles, aber die Hände behält sie sicherlich nicht bei sich. Sie fummelt und grabscht, sie wertet ab und schlägt zu. Kleine, aber unglaublich effektvolle Choreographien des Chores unterstreichen das. Und in genau dieser Gesellschaft tun sich immer wieder Typen hervor, denen man es schon ansieht, dass sie den moralischen Zeigefinger nicht heben sollten, es aber dennoch tun. Dieses Spannungsfeld nutzt die Regie stets aufs Neue, um Fallhöhen zu erzeugen: So vergnügt man sich während des Sturms mit den bei Auntie lebenden Damen, die sie als ihre Nichten bezeichnet, aber Grimes lässt man trotz Sturms nicht ein. Wie frivol und wild es zugeht zeigt eine so alptraumhaft überspitzt gezeichnete Sequenz zu Beginn des dritten Aktes, die den Zuschauer direkt mitnimmt in die Opiumschwangere Gedankenwelt der Mrs. Sedley, die – zwar geistig komplett neben der Spur – es dennoch schafft den Anfang vom Ende des Peter Grimes zu initiieren. So gelingt es der Regie den Zuschauer mit auf eine spannende Reise zu nehmen, die sich immer wieder nach der Frage einer Moral ausrichtet, nach der Frage ist Grimes schlecht, oder sind es die höllischen Menschen um ihn herum, die ihn schlecht machen?
Unter den durch die Bank weg exzellenten Sängern ist allen voran Marco Jentzsch zu nennen, der ein beachtliches Rollendebüt als Peter Grimes präsentiert. Er lotet alle Höhen und Tiefen seiner Figur szenisch und musikalisch aufs Beste aus. In den Pianissimi zart, mitfühlend, im forte mit großer Strahlkraft gestaltet er die knifflige Partie vortrefflich. Sein von der ihn umgebenden Gesellschaft erzwungene Selbstmord am Schluss spielt Jentzsch herzzerreißend berührend. Im zur Seite als Ellen Orford steht Ivana Rusko, die als mal hoffende und dann doch wieder zutiefst verzweifelte Weggefährtin von Grimes ein beeindruckendes und musikalisch vortreffliches Rollenporträt zeichnet. Robert Bork als Balstrode überzeugt mit klangschöner Ausgestaltung seiner Partie. Malgorzata Walewska gibt als Auntie eine spielerisch absolut überzeugende Puffmutter, die zum Glück aber doch so moralisch ist, dass sie ihre „Nichten“ sonntags mit dem Rohrstock in die Kirche prügelt.
Die zahlreichen kleineren Rollen sind hervorragend besetzt und fügen sich in ein erstklassiges musikalisches und szenisches Gesamtbild. Stellvertretend sei hier aber Rebecca de Pont Davies genannt, die eine phänomenale Figur auf der Bühne macht. Als Mrs. Sedley ist sie eine der so vielen tragischen Gestalten der Dorfgesellschaft und spielt dies Mal verrückt skurril, mal abgrundtief bösartig aus.
Der von Rustam Samedov einstudierte Chor begeistert auf ganzer Linie. Eine exzellente Führung durch die Regie und immense Spielfreude sorgen für beklemmende und gleichermaßen beeindruckende Momente und zeigen eine wahrhaft höllische Dorfgemeinschaft, einen Mob, der lyncht und sich im nächsten Moment ob seiner Moral selbst auf die Schulter klopft. Musikalisch meistert der Chor den großen und anspruchsvollen Part vortrefflich – auch in den fungierenden, schwer zu koordinierenden Momenten sind die Einsätze akkurat und wohl austariert. In den forte Passagen erdrückt der Chor fast mit monumentaler Klanggewalt.
Der junge Dirigent Nicholas Collon setzt diesem Abend die musikalische Krone auf. Er lenkt ein exakt und wohltönendes Gürzenich-Orchester durch die Partitur Brittens. Mit feinem Esprit werden die kammermusikalischen Momente musiziert um dann von der Wuchtigkeit der groß instrumentierten Passagen, wie von einer großen Welle, überrollt zu werden. Trotz der nicht idealen Platzierung des Orchesters neben der Bühne klappert hier nichts und Collon hält Szene und Orchester stets perfekt zusammen. Die Tempi sind ausgewogen und die Musiker schaffen es einen unglaublich farben- und facettenreichen Klang zu entfalten.
Am Ende des Abends schlägt allen Beteiligten langanhaltender und einhelliger Jubel entgegen. Bravo-Salven für alle Solisten bis in die kleinsten Rollen, entfesseltes Trampeln für den Chor und nicht weniger Zustimmung für den Dirigenten und sein Orchester, sowie für Regie und Ausstattung. Dieser Abend ist wirklich großes Musiktheater, das begeistert.
- Artikelübernahme von unseren Freunden von DER OPERNFREUND – Rezensent: Sebastian Jacobs 26.11.2018
- Homepage der Oper Köln mit weiteren Infos zu PETER GRIMES
- Titelfoto: Oper Köln/Peter Grimes/ Ensemble, Chor und Extrachor der Oper Köln/ Foto © Bernd Uhlig
Peter Grimes/Oper von Benjamin Britten/Oper Köln
Oper in drei Akten und einem Prolog
Libretto von Montague Slater
nach dem Gedicht »The Borough« von George Crabbe
Musik von Benjamin Britten (1913 – 1976)
Musikalische Leitung: Nicholas Collon | Inszenierung: Frederic Wake-Walker | Bühne & Kostüme: Anna Jones | Co-Kostümbild: Linda Tiebel | Licht: Andreas Grüter | Chorleitung: Rustam Samedov | Dramaturgie: Georg Kehren
I was also at the premiere and it is truly a great production. However, it is worth saying that the English diction from the two main roles especially leaves something to be desired. I went long stretches without understanding a thing! But still great singing and great production.