
Schön sind sie, die Momente, wenn man den Besuch einer Opernpremiere mit einer ebenso scheinbaren Leichtigkeit beschreiben kann, wie man sie selbst auch zuvor erleben durfte. Wenn man noch Stunden später das Gefühl hat, aufs allerbeste unterhalten worden zu sein und nun den Wunsch verspürt, dies möglichst vielen Menschen mitzuteilen, verbunden mit der Empfehlung, sie mögen sich diese Operninszenierung auch ansehen. Die Dortmunder Inszenierung vom BARBIER VON SEVILLA (Il barbiere di Siviglia) ist das, was im allgemeinen, und auch im besonderen, als ein großer Wurf bezeichnet wird. Noch runder kann eine runde Sache gar nicht sein. Nach Verdis AIDA am vergangenen Freitag nun am gestrigen Sonntag mit Rossinis populärstem Bühnenwerk die zweite Opernpremiere im Dortmunder Opernhaus. Zwei gefeierte Neuinszenierungen in nur 72 Stunden – Dortmunds neuer Opernchef Heribert Germeshausen machts möglich! – Rezension der Premiere v. 7.10.2018 –
Sicher waren auch bei mir, wie bei vielen anderen Opernfreunden, im Vorfeld die kritischen Fragen aufgekommen, wie man zum einen auf die Idee kommen kann Rossinis „Barbier“ als eine Art von Augsburger Puppenkiste aufzuführen, Sänger und Sängerinnen Marionetten gleich an Strippen über die Bühne zu führen und auch dann noch eine gewisse Form der erklärenden Moderation durch einen Erzähler einzubauen. Aber schon nach den ersten Minuten waren alle diese Fragen vergessen und das Staunen, die Freude und der Spaß waren sodann die Begleiter durch den ganzen Abend. Und am Ende dann das traurig-schöne Gefühl, mal wieder absolut großartig unterhalten worden zu sein und das Bedauern, dass die Oper schon vorbei ist. Und mal ganz ehrlich: wie schön ist es doch, so viel Lob verteilen zu dürfen!
Wenn alles so leicht, so spielerisch rüber kommt, ist dies auch immer verbunden mit viel Vorarbeit, vielen Proben und dem Überwinden von Schwierigkeiten, die gerade dann vermehrt auftreten, wenn den Sängern neben dem Gesang auch körperlich einiges abverlangt wird. Dem Dortmunder Barbiere-Ensemble gelang dies auf ganzer Linie. Mit absoluter Spielfreude, großem körperlichen Einsatz, viel Action und Tempo – und dabei niemals überzogen – lieferten sie ihre Lesart von Rossinis viel gespieltem Opernklassiker ab und die war einfach großartig!
Martin G. Berger hatte bereits vor einigen Jahren unter der Intendanz von Christine Mielitz am Opernhaus Dortmund als Regieassistent Erfahrungen machen können. Haus und Bühne, und auch sicher Teile der Technik, waren dem jetzigen Regisseur Berger somit noch bekannt. Die Idee den Barbier von Sevilla als Marionettentheater aufzuführen ist natürlich auch nur dann realisierbar, wenn ein Theater über die notwendigen Einrichtungen und auch über eine in alle Richtungen große Bühne verfügt. Das Dortmunder Opernhaus bietet dies alles und so konnte Martin G. Berger sein Regiekonzept auch technisch umsetzen. Für Berger sind Komödien erst dann gut, wenn sie wie geölte Maschinen laufen, wie er im Programmheft erklärt. Und zudem sei die Handlung dieser Oper bestes Commedia dell’Arte und somit geradezu prädestiniert für eine Umsetzung als Puppentheater. Berger lässt alle Protagonisten an sie fest haltende Fäden auftreten, wodurch sie nahezu schwerelos auf der Bühne hin und her schwingen und agieren können. Wenn sie laufen, dann erinnern sie an wirklich gutes Augsburger Puppentheater, eben an diese Art von stelzigem Gang, die uns allen sofort vor Augen ist. Ein wenig wie die berühmte Blechbüchsenarmee. Durch diese Form der Umsetzung wird der Blick auf die handelnden Personen eine völlig andere. Wo sie in herkömmlichen Inszenierungen selbstbestimmt und autonom in ihren Handlungen erscheinen, werden sie bei Berger zu Puppen eines Spiels, das nach guten alten Regeln gespielt wird, bis am Ende die Prinzessin ihren Prinz ergattert. Oder wie in diesem Fall das (gar nicht so arme) Mündel Rosina ihren Grafen Almaviva.

© Anke Sundermeier, Stage Picture
Die Vielzahl der Gags, der überraschenden Bewegungen und Situationen von Bergers Regie würden zu viel Platz einnehmen um sie alle hier zu erwähnen. Zu Beginn sieht der Zuschauer auf ein überdimensionales Puppentheater mit diesen bekannt roten Vorhängen, die nach beiden Seiten geöffnet werden können. Die deutschen Untertitel sind daher diesmal auf den Seitenwänden des Opernhauses eingeblendet und spielen sogar am Ende ein wenig im Takt der Musik mit. Mit dem Ende der bekannten Ouvertüre öffnen sich die Vorhänge des Puppentheaters und das Spiel kann beginnen. Doch nicht ganz: denn vor jedem wichtigen und entscheidenden Handlungsverlauf, sofern man der Handlung Wichtigkeit unterstellen mag, tritt der Erzähler auf und erklärt dem staunenden Publikum, was es sogleich erleben wird. Glänzend gespielt von Dortmunds Kammersänger Hannes Brock, der mit äußerst angenehmer Sprechstimme und sehr humorig diese speziell für diese Inszenierung neu erschaffene Rolle kreiert.
Und so leben und lieben sie nun alle an Strippen und am Ende des ersten Teils werden sie mit einer übergroßen Schere von ihnen befreit und das Spiel geht danach in die zweite Runde. Ohne Strippen, aber weiterhin temporeich und witzig dann der weitere Verlauf der Oper. Die Ränke, das Spinnen von Intrigen und Verleumdungen, die Trickserei des Grafen um endlich seiner Rosina näherzukommen und am Ende dann das ersehnte Happy-End und die langen Gesichter von Dr. Bartolo und Don Basilio. Aber so ganz fadenlos geht es dann doch nicht. Einer behält die Strippen bis zum Ende in der Hand. Figaro, der Barbier von Sevilla. Seine Finger hat er überall drin und die Fäden hält er sowieso in seinen Händen. Aber nicht so ganz…..aber schauen Sie einfach selbst!
Für das Bühnenbild hat sich Sarah-Katharina Karl an die bunte und facettenreiche Welt des Puppentheaters orientiert. Sie spielte mit der Größe der Dortmunder Bühne und auch mit deren technischen Möglichkeiten. Sie liess das Bühnenbild mal verkleinern, dann wieder vergrößern und öffnete den Blick auf die Bühne auch mal ganz, je nach Spielfluss und Gegebenheit, aber immer auch auf eine überraschende Weise. Viele kleinere und auch größere Einfälle, wie die erstaunlich gut funktionierende Kettenreaktion im „Verleumdungs-Labor“ des Don Basilio, gestaltete sie zu echten Hinguckern. Die phantasievolle Kostümierung von Alexander Djurkov Hotter rundete den Gesamteindruck hervorragend ab und liess Puppenträume wahr werden. Hier muss auch unbedingt noch Rachel Pattison erwähnt werden, die für den anspruchsvollen Puppenbau verantwortlich zeichnete. Und ebenso die beiden auf der Bühne stumm agierenden Puppenspielerinnen Julia Giesbert und Veronika Thieme und der entzückende Schoßhund von Don Basilio. Teamarbeit vom feinsten! Kompliment an alle!
Aber was wäre das denn alles, und wenn es noch so wundervoll gemacht ist, ohne die Musik Rossinis?! Die oft so leicht und perlend wie bester Champagner daherkommt, mit ihrem Melodienreigen, den Bravourarien und den rasanten Ensembles am Schluss der jeweiligen Akte. Und auch von musikalischer Seite gibt es hier weiterhin nur lobenswertes zu lesen:

Die Dortmunder Philharmoniker hatten ihn, diesen Champagner-Klang, dieses typisch „Rossinische“, was den Opernfreund erfreut. Auch bei ihnen wurde die Spielfreude und der eigene Spaß an der Aufführung geradezu hörbar und selbstverständlich erhielten sie den höchst verdienten Applaus vom Publikum für diese musikalische Leistung. Montonori Kobayashi, Dortmunds stellvertretender Generalmuskdirektor, leitete den Abend auf seine eigene, sehr besondere, sehr feine und höchst musikalische Weise. Kobayashi, seit Jahren einer der größten und bekanntesten Sympathieträger der Oper Dortmund, war an diesem Abend einmal mehr der Garant für bestes Opernvergnügen und erhielt zu recht Ovationen vom Premierenpublikum.
Die Sängerinnen und Sänger, an Strippen hängend, teils frei schwebend und stets auf stimmliche und körperliche Balance gleichzeitig bedacht, leisteten ganz Besonderes. Für sie alle hier noch einmal ein kollektives BRAVO! Aber im einzelnen:
Berta, die Gouvernante der Rosina, wurde vom Dortmunder Opernchormitglied Vera Fischer als Hausschnecke mit Hang zu Schnupftabak vorzüglich gespielt und gesungen.
Der Bass Denis Velev, der bereits am vergangenen Freitag schon sehr mit seiner Leistung als König in AIDA aufhorchen liess, setzte als Don Basilio noch einen drauf! Ein wahrhaft komödiantisches Talent mit einer großen Stimme und somit ein ganz besonderer Sängerdarsteller, den Intendant Germeshausen für Dortmund verpflichten konnte. Die Verleumdungsarie („La calunnia è un venticello“) machte er zu einem echten Ohrwurm.
Dr. Bartolo, der Vormund seines Mündels Rosina, jenes ebenso schönen wie reichen Mädchens, dass er doch so gern selbst geehelicht hätte, ist stets eine Paraderolle für einen spielfreudigen Bass-Bariton. Und den hat die Oper Dortmund seit Jahren mit Morgan Moody. Es machte einfach Spaß ihm bei seinen vielen komischen Situationen und Aktionen zuzusehen und zuzuhören. Eine Partie, die scheinbar maßgeschneidert ist für den sympathischen Sänger aus Santa Monica.
Dem intriganten, aber doch immer dabei liebenswerten, Figaro gab Petr Sokolov großes Profil. Dies dürfte seine derzeitige Paraderolle sein, mit der er nicht nur in Dortmund die Zuschauer begeistern würde. Kraftvoll, nahezu mühelos wirkend, ist er der Mittelpunkt dieser Oper und stimmlich von erster Güte. Seine Auftrittsarie, das berühmte „Figaro…Figaro…Figaro!“ („Largo al factotum„) war seine höchst gelungene Ouvertüre in die dann folgende Partie, die er glänzend gestaltete. Das Publikum bejubelte die Leistung des russischen Baritons einhellig.

Rosina, das reiche Mündel, wird in der Dortmunder Inszenierung von einer Mezzosopranistin, wie es auch üblich ist, gesungen. Mit Aytaj Shikhalizada hat Dortmund einen Glücksgriff getan. Scheinbar leicht und ohne besondere Anstrengung sang sie ihre Partie, glänzte in der bekannten Bravourarie „Una voce poco fa„, und dies auch unter erschwerten körperlichen Bedingungen als ansteigende Schlange, und setzte vokale Glanzpunkte in den temporeichen und mitreißenden Ensembles der Oper. Frau Shikhalizada verfügt über eine warme und auch in tiefen Lagen kräftige und äußerst angenehme Stimme, die speziell bei Rossini zur besonderen Entfaltung kommt. Ein toller Einstieg der jungen Mezzosopranistin aus Baku. Bravorufe und Ovationen auch für sie!
Sunnyboy Dladla, der Tenor aus Südafrika und auch einer der Neuzugänge der Dortmunder Oper, sang und spielte den verwöhnten und (selbst-)verliebten Grafen Almaviva. Schon mit dem ersten Gesangston seiner Auftrittscavatine „Ecco ridente in cielo“ wurde klar, dass dort auf der Bühne ein ganz besonderes Talent steht. Seine Stimme scheint fast wie gemacht für diese Rossini-Partie und noch mehr: diese Stimme geht durchs Ohr direkt ins Herz. Er singt den Almaviva mit müheloser und klarer Höhe, gibt ihm sehr viel sängerisches, aber auch schauspielerisches Profil und machte seinen Auftritt zu einem Ereignis. Bravo Sunnyboy Dladla!
Last but not least waren die Herren des Dortmunder Opernchores (Einstudierung Fabio Mancini) ein fest integrierter und agierender Teil dieses Opernvergnügens!
Am Ende war der Jubel im gut besuchten Opernhaus groß. Alle an der Produktion beteiligten Künstler waren in die Ovationen eingeschlossen. Das ein Regieteam fast den größten Applaus nach einer Opernpremiere erhält, erlebt man auch nicht alle Tage. Aber hier und jetzt war es absolut berechtigt. Gratulation an die Oper Dortmund für einen BARBIERE von so hohem Unterhaltungswert!
- Rezension von Detlef Obens / DAS OPERNMAGAZIN ©10-2018
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- Titelfoto: Petr Sokolov (Figaro) © Anke Sundermeier, Stage Picture
Habe die Aufführung nicht zu letzt wegen obiger positiven Besprechung besucht. Der Kritiker scheint werder Beaumarchais` Roman, noch das Libretto von Sterbini, noch die Musik Rossinis in ausreichendem Maße für die Abfassung einer solchen Besprechung zu kennen. Es könnte sonst kaum eine solche überaus lobende Beurteilung von Inszenierung und musikalischer Präsentation verfasst worden sein. Wenn man Rossini als Autor des besprochenen Werkes vermerkt und bezeichnet, dann war angesichts dessen die Aufführung eine pure klamaukartige Verballhornisierung des Stückes.
Ich hoffe aber, Sie hatten trotz allem einen vergnüglichen Abend und konnten der Inszenierung, auch wenn der literarisch-intellektuelle Anspruch in Ihren Augen nicht ausreichend erfüllt worden war, ein wenig mit Schmunzeln und Freude folgen. Was wäre unser aller Leben ohne Spaß? In dem Sinne, Danke für Ihre Zuschrift und noch einen vergnüglichen Tag
Rossinis „Barbiere“ ist kein Kasperlstück, wie das bei der Paisiello-Fassung teilweise sein mag (siehe S. Lamacchia „Der wahre Figaro). Wenn man eine Parodie produzieren will und die Dortmunder Fassung war eine solche, dann erwarte ich aber einen entsprechenden Hinweis. Parodien zu schreiben ist legitim. J. Nestroy hat vergnügliche Stücke dieser Art geschrieben. Ansonsten führt man das Publikum unter Bezug auf die Bedeutung eines Welthits und unter Vorspiegelung falscher Voraussetzungen hinter die Fichte. Betrachtet man die Inszenierung losgelöst vom Inhalt und der Musik, dann fand ich die Arbeit in Dortmund durchaus als engagiert und fantasievoll.
Dieter Kalinka