Oper Bonn: Verdis „Macht des Schicksals“ beeindruckt als Melodram auf dem Hintergrund des Krieges

Theater Bonn/Macht des Schicksals/George Oniani, Yannick-Muriel Noah, Franco Vassallo, Pavel Kudinov/Foto © Bettina Stöß

Die 1869 ergänzte Ouvertüre der Oper „La forza del destino“ hat längst als Konzertstück ein Eigenleben entwickelt, und Will Humburg schlug mit dem hervorragend aufspielenden Beethoven Orchester Funken aus der Partitur. Regisseur Sir David Pountney komplettierte mit dieser Produktion in Kooperation mit der Welsh National Opera seine „Verdi-Maschine“ aus „Les Vèpres Siciliennes“, und „Un Ballo in Mascera“. Als Solisten glänzten Yannick-Muriel Noah als Leonora, Franco Vassallo als Don Carlo di Vargas, George Oniani als Alvaro, Pavel Kudinov als Padre Guardiano und Dshamilja Kaiser als Preziosilla. (Rezension der Premiere v. 2. Februar 2025)

 

Vorlage des Librettos von Francesco Maris Piave ist das Drama „Don Alvaro o la forza del sino“ des spanischen Romantikers Ángel de Saavedera, Duque di Rivas, dem noch Elemente aus Schillers „Wallensteins Lager“ hinzugefügt wurden. Die Premiere am 10. November 1862 in Sankt Petersburg war trotz einer exzellenten Besetzung kein Erfolg, weil das Stück so düster war und mit dem Tod aller drei Protagonisten endete. Verdi hat unverzüglich damit begonnen, das Werk mit Änderungen durch Ghislanzoni umzuschreiben. Das kurze Vorspiel ergänzte er zu einer „Sinfonia“, einer echten Ouvertüre, mit dem Schicksalsmotiv, das sich durch das Werk zieht und dem Motiv aus Leonoras Gebet. Am 25. Januar 1869 konnte Verdi „La forza del destino“ in der Mailänder Scala zum durchschlagenden Erfolg führen.

Theater Bonn/Macht des Schicksals/Chor und Extrachor des Theater Bonn/Foto © Bettina Stöß

Es ist ein großes Melodram auf dem Hintergrund des spanischen Erbfolgekrieges und spielt in Spanien und Oberitalien. Schon während der Ouvertüre rotiert in einer Video-Projektion eine große Pistole, die sich auf das Publikum richtet und aus der sich ein Projektil löst, das immer größer wird. Die ersten beiden Akte stehen unter dem Titel „Frieden“, groß auf die Wände projiziert, es ist aber nur die Abwesenheit von Krieg, denn rassistische Vorurteile spielen eine große Rolle. Don Alvaro, Sohn eines spanischen Adeligen mit einer Inka-Tochter, wird als „Halbblut“ von Leonoras Vater, Marchese di Calatrava, abgelehnt. Alvaro und Leonora, Calatravas Tochter, wollen fliehen, werden aber vom Marchese überrascht, weil sie trotz gepackter Koffer und Leonoras Verkleidung als Mann über ihre Liebe lamentieren. Bei der Konfrontation des Vaters mit Alvaro löst sich aus dessen Pistole, die er von sich wirft, ein Schuss, der den Vater tötet.

Don Carlo di Vargas, Leonoras Bruder, der den toten Vater findet, schwört Blutrache. Mit seinem Hass verfolgt er Alvaro und seine Schwester, die Hals über Kopf fliehen und auf der Flucht getrennt werden. Leonora flüchtet als Mann verkleidet in die Einsiedelei eines Klosters. Leonoras große Szene: „Son giunta“, bei der sie ihre Schuldgefühle gesteht und um göttliche Gnade fleht, endet nach einem Beichtduett mit der Absolution durch Pater Guardian. Die Franziskanermönche gewähren der entkräfteten Schutzsuchenden Asyl in ihrer Einsiedelei um den Preis, dass sie das Kloster niemals wieder verlässt. Der Akt endet mit einem großen Chor der Mönche – ein absolutes Meisterwerk von Verdis dramatischer Kompositionskunst.

Der dritte und vierte Akt stehen unter dem Motto „Krieg“. Carlo und Alvaro schließen sich beide unter falschen Namen der Kriegstruppe an, wo sie Freunde werden. Alvaro rettet sogar Carlos Leben, wird dann selbst schwer verwundet. Als Carlo durch Zufall entdeckt, wer der wieder genesene Alvaro ist, schwört er erneut Rache. Alvaro verlässt rechtzeitig die Truppe und wird zu Bruder Raffaele im selben Kloster, in dessen Einsiedelei Leonora unerkannt lebt. Dort wird er von Carlo gestellt, der auch Leonora tödlich verletzt hat, und tötet Carlo in Notwehr im Kampf. Pater Guardiano verkündet, Alvaro sei nun erlöst.

Theater Bonn/Macht des Schicksals/Dshamilja Kaiser(Foto © Bettina Stöß

Regisseur Sir David Pountney erzählt die Geschichte aus dem frühen 18. Jahrhundert mit wenigen Requisiten wie einer Kassette mit zwei Degen und zwei riesigen meterdicken rollbaren Bühnenelementen, Wänden, die von Statisten präzise bewegt werden und einen übergangslosen Szenenwechsel ermöglichen. Im dritten Akt wird ein mobiles Fronttheater ausgeklappt, in dem zu einer grotesken Tarantella die Gräuel des Krieges beschworen werden. Die zeitlosen Kostüme von Marie-Jeanne Lecca charakterisieren die soziale Stellung der Personen und ermöglichen Preziosilla, die als Inkarnation des Schicksals in vielfältiger Verkleidung auftritt, rasche Kostümwechsel. Chor und Extrachor der Bonner Oper unter der Leitung von André Kellinghaus wuchsen über sich selbst hinaus, denn sie haben nicht nur die anspruchsvollen Chöre mit großer Dynamik gesungen, sondern auch in der Choreografie von Michael Spenceley synchron szenisch, zum Beispiel als marschierende Soldaten oder schreitende Mönche agiert. Masken und Kostüme anonymisierten die Chormitglieder als Masse. Im 18. Jahrhundert gab es noch Söldnerheere, die mit rosigen Versprechungen wie Preziosillas „Viva la guerra“ vom lustigen Soldatenleben gescheiterte Existenzen wie Alvaro und Carlo und chancenlose jüngere Söhne anzogen, die keine gesicherte gesellschaftliche Stellung hatten. Umso beeindruckender der Chor „Pane, per carita“, das Betteln der der verarmten Landbevölkerung um Brot bei den Mönchen des Klosters.

In dieser Inszenierung kann man die Handlung des einem Roman wie „Krieg und Frieden“ nachempfundenen Stücks verstehen, das Preziosillas Reklame für den Militärdienst mit der Darstellung des Todes wahlloser Opfer, schwerer Verwundung Alvaros und Hunger und Not der Zivilbevölkerung kontrastiert. Mit dem Fronttheater bezieht er eindeutig Stellung gegen den Krieg.

Theater Bonn/Macht des Schicksals/George Oniani, Yannick-Muriel Noah/Foto © Bettina Stöß

Verdi zeichnet die Charaktere der Protagonisten sehr eindimensional, so ist Don Carlo nur von seiner Rachsucht getrieben. Einer der dramatischen Höhepunkte der Oper ist seine große Szene „Morir, tremenda cosa“ mit ihren Affektumschwüngen, bei der er seine Rache über die Freundschaft zu Alvaro stellt. Sie wurde schon durch Szenenapplaus für Franco Vassallo unterbrochen. Don Alvaro dagegen ist der „edle Wilde“, der in reiner Liebe mit Leonora verbunden ist. Der georgische Tenor George Oniani, seit der Spielzeit 2008/09 Ensemblemitglied der Oper Bonn und als Spinto-Tenor, zuletzt noch als Ernani und Duca di Mantua zu sehen, verlieh dem Halbblut Don Alvaro, der schuldlos diskriminiert und durch einen schicksalhaften Unfall zum Ausgestoßenen wird, heldenhafte Kontur mit strahlenden Spitzentönen.

Nach heutigen Maßstäben nicht schuldig ist auch Leonora. Die Rolle ist eine dankbare Steilvorlage für hochdramatische lyrische Soprane. Yannick-Muriel Noah, im Ensemble seit 2013, blieb dieser anspruchsvollen Partie nichts schuldig. Mit dramatischer Intensität und delikaten Piani profilierte sie sich in der Szene mit Pater Guardiano als von ihrem Bruder bedrohte entkräftete Geflüchtete, die mit letzter Kraft das rettende Kloster erreicht. Ihr Gebet „Pace, pace, mio dio“ im vierten Akt rührte zu Tränen.

Dshamilja Kaiser fiel als Preziosilla in vielfältiger Verkleidung die Rolle des Schicksals zu: als Kammerzofe Curra, die Leonora zur Flucht ermuntert, als Zigeunerin, die Männer zum Kriegsdienst lockt, und als Entertainerin im Fronttheater „Piccolo teatro della Guerra“. Im gleichen Barockkleid wie die Wahrsagerin Ulrica im „Maskenball“ trat sie bei jedem Erklingen des Schicksalsmotivs auf und akzentuierte die drei Akkorde mit dem Aufstampfen eines Stabs.

Unter dem delikaten Dirigat von Will Humburg mit dem bestens aufgelegten Beethoven Orchester, der die Sängerinnen und Sänger auf Händen trug, wurde „La forza del destino“ zu einem musikalischen Genuss. Aufgrund der bildstarken Inszenierung wurde die Oper zum dramatischen Plädoyer gegen Hass und Krieg.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Theater Bonn / Stückeseite
  • Titelfoto: Theater Bonn/Macht des Schicksals/Yannick-Muriel Noah/Foto © Bettina Stöß
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