
Giorgos Kanaris verkörpert in dieser oriatorienhaften reich bebilderten Oper von Werner Egk den Abenteurer und Seefahrer Christoph Columbus, der heutzutage als umstrittene Figur gilt. Das Schicksal teilt Columbus mit dem Komponisten des Werks, der nach einem sehr polemischen Artikel von Konrad Boehmer im „Spiegel“ aus dem Jahr 1968 kaum noch aufgeführt wird. Die Oper Bonn bringt das am 13. Juli 1933 uraufgeführte Stück im Rahmen seiner Reihe Focus |´33| als letztes Beispiel verfemter Musik. Jakob Peters-Messer inszeniert die beeindruckende ursprüngliche Radiooper mit beeindruckendem Raumklang und mit allen Mitteln der Videotechnik. (Gesehene Vorstellung am 20.6.2024)
Werner Egk, der auch das Libretto verfasste, komponierte seine Columbus-Oper bewusst als Gegensatz zur Oper „Christophe Colombe“ von Darius Milhaud, die 1930 in Berlin uraufgeführt wurde und den Seefahrer Columbus als Held verherrlichte. Egk bewegte sich damals im Umkreis von Brecht und Weill und war mit dem Dirigenten Helmut Scherchen, einem bekennenden Sozialisten, eng befreundet.
Als Beitrag zur Post-Kolonialismus-Debatte, die 2020 nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis am 25. Mai 2020, nicht nur in den USA, erst richtig Fahrt aufgenommen hat, hätte man kein aktuelleres Stück Musiktheater finden können. Dazu trägt allerdings auch die zeitgemäße Umsetzung durch den Regisseur Jakob Peters-Messer und seines Bühnenbildners Sebastian Hannak bei. In drei Teilen, die alle in einem Einheitsbühnenbild mit indigenen Skulpturen und Monitoren im Vordergrund auf dem abgedeckten Orchestergraben und in goldausgeschlagenen Wänden mit dem Orchester im Hintergrund bewegen sich Chor und Solisten in zeitloser heller Tropenkleidung und wirken zunächst wie Archäologen, die die indigene Kultur erforschen.
Kolumbus mutiert vom Wissenschaftler im Tropenanzug zum fanatischen Glücksritter Columbus mit einer Lederweste (Kostüme: Sven Bindseil), der von seiner Idee besessen ist, den Seeweg nach Indien zu entdecken und dort neue Reichtümer für die spanische Krone zu erwerben. Die Ablehnung dieser Idee durch die Kirche wird ausdrucksstark vom Chor und den Kardinälen zum Ausdruck gebracht. Weil Columbus ihr Macht, Ruhm und Reichtum verspricht, genehmigt ihm Königin Isabella schließlich die Reise und stattet ihm drei Karavellen aus.
Die Überfahrt, die länger dauert als berechnet, wird sehr anschaulich durch das Orchester geschildert, und der Ausruf „Land“ von Chor und Extrachor aus dem ersten Rang erschüttert das Haus.

Aber die Ankunft der spanischen Seefahrer wird zum Fiasko für die indigene Bevölkerung, die Erwartungen der Goldgräber werden enttäuscht, und Columbus endet als verfemter Narr, der in einer letzten Traumszene mit der Königin Isabella im blutbefleckten Mantel erkennt, dass seine Entdeckung nur Leid und Versklavung gebracht hat. Sein Schlusswort: „Wohl dem Menschen, der Weisheit findet, und dem Menschen, der Verstand bekommt. Denn es ist besser, sie zu besitzen, als Silber, und ihr Ertrag ist besser als Gold,“ bringt die Erkenntnis seines Scheiterns auf den Punkt.
Der oratorienhafte Charakter des Werks wird durch das Einheitsbühnenbild von Sebastian Hannak unterstrichen, bei dem das Beethoven-Orchester unter der souveränen Leitung von Hermes Helfricht im Hintergrund platziert ist, was zu einem satten Raumklang führt. Der Chor steht vor dem Orchester, mitunter aber auch im 1. Rang und singt die aus der katholischen Liturgie zitierten lateinischen Gesänge sowie die reflektierenden Kommentare im Stil des Chors im griechischen des Theaters rhythmisch absolut präzise und durchschlagend. Streckenweise erinnern die Chöre sehr an Carl Orff, Egks Lehrer, aber auch an Kurt Weill und Igor Stravinsky.
Regisseur Jakob Peters-Messer fasst „Columbus“ als episches Theater auf und verzichtet darauf, die Handlung konkret zu bebildern. Vor allem im zweiten Teil werden die Grausamkeiten, die man der indigenen Bevölkerung angetan hat, durch optische Verfremdungen der indigenen Skulpturen und durch Blutflecken auf der Statue „Columbus´ letzter Abschied“, die Requisite der Statue nachgebildet hat, die man 2020 aus dem Kapitol in Kalifornien entfernt hat, ausgedrückt. Auch die Dopplung der Columbus-Figur durch zwei Sprecher, die seine Gedanken zitieren und so Distanz zu dieser Figur aufbauen, spricht für den Ansatz als episches Theater. Die Sprecher treten zunächst nur als Bilder auf Monitoren auf, greifen aber auch live in die Handlung ein.
Viele Video-Effekte von Robi Vogt und Yannick Böhmer in der Lichtregie von Max Karbe, wie die Verfremdung der Skulpturen der indigenen Figuren und die Einblendung von Großaufnahmen des Columbus, steigern die optische Faszination.
Beeindruckend ist, dass die Oper Bonn alle Rollen aus dem Ensemble typgerecht besetzt hat. Publikumsliebling Girorgos Kanaris bleibt der fordernden Partie des Columbus mit extremen Intervallsprüngen und Stimmungen zwischen tiefer Resignation und euphorischem Triumph nichts schuldig. Anna Princeva gibt eine mädchenhafte Königin Isabella mit wundervollen Lyrismen, Santiago Sánchez einen jungen König Ferdinand, Carl Rumstadt, Christopher Jähnig und Mark Morouse die der Bibel verhafteten Kardinäle, Tae Hwan Yun den Vorsänger, und die Schauspieler Bernd Braun und Christoph Gummert, Mitglieder des Bonner Schauspielensembles, tragen zusätzliche Facetten des Columbus bei. Besonderes Lob verdienen Chor und Extrachor unter der Leitung von Marco Medved.
Die zweite Vorstellung am 20. Juni 2024 war recht lückenhaft besucht, allerdings blieben viele noch zur Podiumsdiskussion mit Generalintendant Dr. Bernd Helmich, Chefdramaturgin Polina Sandler und Regisseur Jakob Peters-Messer. Diese zeigten sich über die positive Resonanz, die „Columbus“ in der Presse gefunden hat, sehr erfreut und warfen die Frage auf: „Richard Strauss- ja, Werner Egk-nein?“. Damit schlugen sie den Bogen zur ersten Produktion von Fokus |´33|, „Arabella“ von Richard Strauss, die die Reihe am 2. Oktober 2021 eröffnete. „Arabella“, wie „Columbus“ im Jahr 1933 uraufgeführt, konnte sich seitdem bis heute im Repertoire halten, im Gegensatz zu „Columbus“, dessen Aufführungsgeschichte praktisch 1968 endete. Es stellte sich die Frage, wie man mit Komponisten umgeht, die ihre Kunst in den Dienst eines verfemten Regimes gestellt haben. „Wir haben uns das Werk Werner Egks ausgesucht, das wir für am interessantesten halten, die anderen hätten Sie gequält. Der Blick auf bestimmte Werke wechselt ständig, er hat mit Politik, mit Qualität und mit Lebensgefühl zu tun,“ so Helmich. Ein Teilnehmer nannte als entscheidendes Kriterium die Qualität der Musik. Das sei einer der Gründe, warum man Strauss auch heute immer noch spielt, so Helmich.

Mit „Columbus“ von Werner Egk schließt die Oper Bonn ihre Reihe Focus |´33|, ein Forschungsprojekt über Gründe für das Verschwinden von Werken aus dem Repertoire des Opernbetriebs, ab. Werner Egk, der in der Zeit des Nationalsozialismus als Komponist, Dirigent und Leiter der Fachschaft für Musikkomposition in der Reichsmusikkammer eine große Karriere machte und im Nachkriegsdeutschland seine Laufbahn nach erfolgreicher Entnazifizierung fortsetzen konnte, starb 1983, aber bereits ab 1968, mit der Aufarbeitung seiner Verstrickungen mit dem NS-Regime, wurden seine Werke immer seltener aufgeführt.
Es bleibt der Eindruck, dass die Eingriffe des nationalsozialistischen Regimes in die Kunstfreiheit einen großen Schaden angerichtet haben, der erst seit den 70-er Jahren durch die Rehabilitation der damals emigrierten Komponisten und Künstler durch Aufführungen von in der NS-Zeit verbotenen Opern von Meyerbeer, Schreker, Schönberg, Zemlinsky, Korngold und anderen ausgeglichen wird.
Die Aktualität von „Columbus“ als Beitrag zur Kolonialismuskritik ist jedenfalls unübersehbar. Einige Zuschauer waren zum zweiten Mal da, denn das Thema und die Umsetzung durch das Ensemble der Oper Bonn mit der Inszenierung als episches Theater beeindruckt auf der ganzen Linie.
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Theater Bonn / Stückeseite
- Titelfoto: Theater Bonn/COLUMBUS/Santiago Sánchez, Giorgos Kanaris, Chor und Extrachor des Theater Bonn/Foto: © Bettina Stöß