Oper Bonn: „Asrael“ – vergessene Oper von Alberto Franchetti beeindruckt auf der ganzen Linie

Oper Bonn/ASRAEL/Pavel Kudinov (Il Padre), Svetlana Kasyan (Nefta)/© Hans Jörg Michel

Die Oper Bonn setzt mit Alberto Franchettis Legende in vier Akten im Rahmen des Projekts Focus´33 ihre Serie von Opern fort, die nach 1945 nicht mehr aufgeführt wurden. Es ist eine große Choroper mit vollem Orchester und drei Sängerinnen und zwei Sängern der Spitzenklasse: „Asrael“, Uraufführung 1888 in Reggio Emilia, erstmalig seit 1926 in Bonn am 16.10.2022 wiederaufgeführt. Musikalisch opulent, in der Regie von Christopher Alden und im Bühnenbild von Charles Edwards mit Kostümen von Sue Wilmington faszinierend bebildert, erlebt man einen süffigen Opernabend mit Höllenfeuer auf der Bühne und Fanfaren von der Intendantenloge. (Rezension der Premiere v. 22.10.2022)

 

Der im Kampf gegen Luzifer gefangene Engel Asrael (Peter Auty) wird von Luzifer (Pavel Kudinov) in die Hölle verschleppt und hat sich durch Überredungskunst ein Jahr auf der Erde verschafft, in dem er hofft, seine Geliebte Nefta wieder zu finden. Nefta (Svetlana Kasyan) ihrerseits ist als Engel im Himmel und darf auf die Erde, um ihren Geliebten Asrael zu suchen. Nach Werbung um die blaustrümpfige Lidoria und die Künstlerin Loretta findet sich der entkräftete Asrael im Klosterhospital bei Schwester Clothilde, die in Wirklichkeit Nefta ist. Dadurch, dass Asrael mit ihr das „Ave Maria“ betet und bereut besiegt er den Teufel und darf mit Nefta als Engel in die himmlische Glückseligkeit einkehren. Engel und Teufel als Handlungsträger werden von modernen Menschen, die eher an Interessenkonflikte als an teuflische Bosheit glauben, allerdings gar nicht mehr verstanden.

Oper Bonn/ASRAEL/Peter Auty (Asrael), Pavel Kudinov (Il Padre)/© Thilo Beu

Der Regisseur Christopher Alden hat diese Problematik erkannt und lässt die Handlung in einer dysfunktionalen Familie spielen. Der Chor singt vom Hochparkett, denn er singt Stimmen in den Köpfen der handelnden Personen und ist nur in der Schlussszene auf der Bühne. Asrael ist einfach ein junger Mann, der sich nacheinander in Lidoria, Loretta und Clothilde verliebt, wobei auch noch Lidoria und Loretta eifersüchtig aufeinander sind. Beide lässt er im Stich, um sich Clothide alias Nefta, dem Engel, zuzuwenden. Charles Edwards verwendet ein Einheitsbühnenbild, das durch Heraufziehen der Wände ein Schlachtfeld als „die Hölle“ und durch Herabsenken des Dachstuhls das Dachgeschoss als „Himmel“ darstellt. „Die Hölle“ wird durch eine Grabenkriegsszene verdeutlicht, bei der der junge Asrael reihenweise feindliche Soldaten abschießt, und schließlich traumatisiert von Luzifers Soldaten gefangen genommen wird. Der verwundete Asrael bittet Luzifer um ein Jahr auf der Erde. Der Himmel ist dementsprechend im Dachgeschoss, wo sich Nefta alias Clothilde auf ihren Einsatz als Krankenschwester auf der Erde vorbereitet.

Pavel Kudinov, wagnererfahrener Bass und Ensemblemitglied, ist der autoritäre und übergriffige Vater, der seinen Sohn mit militärischem Drill quält, seine Töchter bedrängt und seine musikbegeisterte Frau in den Selbstmord treibt. Kudinov ist fast die ganze Zeit auf der Bühne, denn er verkörpert auch Luzifer mit sonorem Bass.

Oper Bonn/ASRAEL/Tamara Gura (Lidoria), Khatuna Mikaberidze (Loretta)/
© Thilo Beu

Nach der Werbung um die intellektuelle Lidoria (Tamara Gura, Mezzosopran) und die Künstlerin Loretta (Khatuna Mikaberidze, Mezzosopran) landet der entkräftete Asrael am Ende des Jahres im Kloster bei Schwester Clothilde (Svetlana Kasyan, Sopran). Die drei Frauenpartien sind hochkarätig mit Sängerinnen mit großen Stimmen besetzt, die auf internationalen Bühnen in Hauptrollen reüssieren. Khatuna Mikaberidze habe ich in Wiesbaden als phantastische Brangäne erlebt, die sich neben Andreas Schager und Catherine Foster gut behaupten konnte, Svetlana Kasyan kann auch das opulente Orchester mit Spitzentönen überstrahlen. Gegen sie hat auch der Teufel keine Chance!

In der Schlussszene komponiert Franchetti die Erlösung des sündigen Mannes durch eine Frau, ein Sujet, das auch Wagner unter anderem im „Tannhäuser“ mit dem gewaltigen Chor: „Der Gnade Heil ward dem Sünder beschieden“ beschreibt.

Der wunderbar phrasierende britische Tenor Peter Auty mit sowohl lyrischen als auch heldischen Tönen als zwischen drei Frauen hingerissener Asrael vervollkommnet das Solistenensemble der Spitzenklasse, das die Gesangslinien mit großem Ausdruck zelebriert und zusammen mit dem gut einstudierten Chor und Extrachor unter Marco Medved zu einem spannenden Stück Musiktheater mit enormen Steigerungen macht. So mündet ein Quintett am Ende des zweiten Akts in eine gewaltige Chorszene, und auch der vierte Akt endet mit einem vielstimmigen Chor von Nonnen, Dämonen und Engeln. Hermes Helfricht hält die großen Linien zusammen und dirigiert das Beethovenorchester mit sicherer Hand.

Nach Bayreuther Vorbild rufen Fanfaren zum Beginn der Oper und nach der Pause die Besucher wieder in den Zuschauerraum.

Alberto Franchetti war ein großer Verehrer Richard Wagners. Zu einem Treffen der beiden ist es nicht gekommen, denn Franchetti traf den Meister in Venedig nicht mehr an, der war am 19. Februar 1883 verstorben. Aber Franchetti geleitete Wagners Leichnam im Zug nach Deutschland. Franchetti hat den ersten Richard-Wagner-Verband Italiens in Bologna gegründet. Eine Meisterschaft wie Wagner hat Franchetti nie erreicht, aber das Handwerk der Komposition und Instrumentierung beherrschte er perfekt. Er hat zwar – wie Wagner – 16 Leitmotive verwendet, diese aber nicht in den symphonischen Zusammenhang eingebettet, wie Wagner das konnte. Mehr dazu findet man im hervorragenden Programmheft in dem Artikel von Anselm Gerhard: „Eine frappante Mischung italienischer Melodik und Wagnerschen Geistes“.

Oper Bonn/ASRAEL/Tamara Gura (Lidoria), Khatuna Mikaberidze (Loretta), Peter Auty (Asrael), Svetlana Kasyan (Nefta)/© Hans Jörg Michel

„Asrael“ traf den Geschmack der Zeit: der Teufel als Inkarnation des Bösen, bei dem man an die Grenzen der Tonalität gehen konnte, und Nefta als rettender Engel, mit dem himmlische Chöre jubilieren. Das Libretto enthält zwei komplett auf Latein gebetete „Ave Maria“! Seit Gounods „Faust“ (1859), Berlioz´ „Damnation de Faust“ (1846) und Arrigo Boitos „Mefistofele“ (1868) müssen sich alle Opern, die mit dem Teufel zu tun haben, an diesen Vorbildern messen lassen, und da fehlt es bei Franchettis Libretto von Ferdinando Fontana an einem echten dramatischen Konflikt wie der Gretchentragödie und an populären Arien, Chören oder auch Orchesterstücken, die im Gedächtnis geblieben sind, wie sie die drei anderen Opern auszeichnen. Franchetti bleibt dramatisch weit hinter Boitos „Mefistofele“ zurück, den man mit dieser opulenten Besetzung ohne weiteres hätte auf die Bühne bringen können.

Wäre die Musik nicht so wunderschön und vor allem auch von den hochkarätigen Solisten und vom Chor und vom Orchester so ausdrucksstark interpretiert gewesen, es hätte es langweilig werden können. So aber schwelgt man in dämonischen und himmlischen Melodien und genießt Spezialeffekte wie echtes Feuer auf der Bühne und von der Intendantenloge spielende Trompetenfanfaren. Aldens intelligente Inszenierung sorgt dafür, dass unbedarfte Zuschauer in dieser dünnen Handlung einfach die Geschichte eines Mannes zwischen drei Frauen erleben.

Eine wahre Entdeckung und in dieser Inszenierung eine echte Bereicherung des Spielplans, die dokumentiert, wie sehr Menschen des 19. Jahrhunderts an Engel und Teufel, an Reue und Erlösung geglaubt haben! „Es lohnt sich, diese Oper kennen zu lernen,“ so Hermes Helfricht, der Dirigent.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Bonn / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Bonn/ASRAEL/Tamara Gura (Lidoria), Khatuna Mikaberidze (Loretta), Pavel Kudinov (Il Padre), Statisterie/Foto @ Hans Jörg Michel
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2 Gedanken zu „Oper Bonn: „Asrael“ – vergessene Oper von Alberto Franchetti beeindruckt auf der ganzen Linie&8220;

  1. Guten Tag,

    Vielen Dank für den schönen Artikel. Ich möchte kurz darauf hinweisen, dass die Inszenierung nicht von Robert Carson, sondern von Christopher Alden ist.

    Mit freundlichen Grüßen

    1. Liebe Frau Gentile, im obigen Text steht Christopher Alden als Regisseur. Allerdings ist bei einem Schlusssatz tatsächlich eine Verwechslung unterlaufen, die ich entsprechend korrigiert habe. Vielen Dank für Ihren Hinweis. Herzliche Grüße, Detlef Obens

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