„Mazeltov, Rachel´e“ – Dalia Schaechter glänzt in der Doppelrolle einer Operettendiva und Opernsängerin

Oper Köln/ Mazeltov Rachel’e/Dalia Schaechter/Foto @ Paul Leclaire

Die Uraufführung der „musikalischen Farce“ von Christian von Götz in der Oper Köln ist ein Lehrstück zum Thema „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“

Lea Singer ist eine jüdische Opernsängerin an der Schwelle zum Tod, der in ihrer Wohnung in der Nacht zum Pessach-Fest, die sie allein verbringt, eine ganze Reihe ihrer Vorfahren erscheint, vor allem ihre Ururgroßmutter Rachel´e, eine gefeierte Operettensängerin aus der großen  Zeit der jiddischen Operette. Es ist verblüffend, wie sich Schaechter von Lea Singer, einer gebrochenen todkranken Frau, in die strahlende Revuediva mit der sehr direkten, fast schon anzüglichen Körpersprache verwandelt. Dazu trägt auch das phantastische Kostüm von Pascal Seibicke bei.

 

Die Mezzosopranistin Dalia Schaechter, seit langem Mitglied des Ensembles der Kölner Oper und mir in bester Erinnerung als Hexe in „Hänsel und Gretel“, als Preziosilla in „Die Macht des Schicksals“ und als Kundry in „Parsifal“, ist Jüdin und in Israel geboren und aufgewachsen. Sie hat schon öfter in Köln Liederabende mit jiddischen Liedern gegeben und pflegt als Künstlerin die jüdische Kultur, weil sie ihr wichtig ist.

Ein Portrait der Sängerin brachte der WDR am 5. Juni 2021 – LINK zum Portrait.

Das Stück, genannt „musikalische Farce“, kann man am ehesten mit einem Musical vergleichen, denn es wird gesprochen, gesungen, getanzt und vor allem eine Geschichte erzählt.

 

Oper Köln/ Mazeltov Rachele/Matthias Hoffmann, Dalia Schaechter, Verena Hierholzer/Foto @ Paul Leclaire

Es fällt überhaupt nicht auf, dass die Darsteller*innen konsequent den Abstand von mindestens zwei Metern einhalten, denn die Bühne von Pascal Seibicke, der auch die fantastischen Kostüme entworfen hat, stellt die verschiedenen Räume einer Wohnung auf einer Art Laufsteg dar, wo rechts und links Zuschauerreihen aufgebaut sind. Die Kostüme zitieren typische Kleiderordnungen orthodoxer osteuropäischer Juden, so dass die Tänzerin, der Geiger und der Schächter wirken wie aus einem Bild von Marc Chagall.

Mit Tenor Dustin Drosdziok als Leyser Janowski, Geiger, den man so schwer misshandelt hat, dass er nicht mehr geigen konnte, Sopran Claudia Rohrbach als Uroma Gisse, die im KZ umgekommen ist, Bariton Stefan Hadźić als Israel Teitelbaum, Schaechter (Schlachter) und Bassbariton Matthias Hoffmann in der Doppelrolle als Regieassistent, der Lea besucht und nach der Todkranken schaut, und Abraham Goldfaden, Impressario und einer von Rachel´es Liebhabern, singt Dalia Schaechter als Rachel´e  Arien und Ensembles aus jiddischen Operetten, die Stationen aus ihrem Leben fokussieren, aber auch die Freuden guten Essens oder des Alkoholrauschs und ihre Rolle als attraktive lebenslustige Frau und Operettenstar thematisieren. Lea 2, die entzückende Tänzerin Verena Hierholzer, im gleichen Kleid wie Lea, wird zur Gastgeberin.

Die Musik ist von Reuben Doctor, Abraham Goldfaden, Louis Friedsel, Alexander Olshanetsky, Solomon Smulewitz, Joseph Tanzman, Louis Gilrod, David Meyerowitz, Michael Krasznay-Krausz, Herman Wohl, Leo Fall, Zigmund Mogulescu, Janot Roskin und anderen enthält durchaus jiddische Elemente und Phrasen, aber auch vielfältige und komplexe Ensembles, in denen alle fünf Sänger*innen gefordert sind. Im internationalen Repertoire durchgesetzt haben sich die Werke von Jacques Offenbach, Sohn eines Kölner Kantors, dessen 200. Geburtstag 2019 in Köln mit mehreren Produktionen gefeiert wurde. Im Zuge der Recherchen zur Hommage „Je suis Jacques“ entstand die Idee zu „Mazeltov, Rachel´e“.

Oper Köln/ Mazeltov Rachel’e/Dalia Schaechter/Foto @ Paul Leclaire

Das Buch und die Fassungen der Gesangstexte in jiddischer Sprache sind von Regisseur Christian von Götz. Selbst Dalia Schaechter musste diese Sprache erst noch lernen, denn sie ist fast ausgestorben. Viele deutsche Ausdrücke sind aus dem Jiddischen übernommen, das merkt man, wenn man die deutschen Übertitel liest.

Ralf Soiron hat die von Autor und Regisseur Christian von Goetz ausgewählten Stücke für Klavier, Geige und Bratsche, Violoncello, Kontrabass und Tuba, Akkordeon und Schlagzeug arrangiert. Rainer Mühlbach leitet das siebenköpfige Musikerensemble.

In der Rahmenhandlung erscheinen Lea Singer ihre Vorfahren Rachel´e und deren Männer und Liebhaber, die mit Arien und Ensembles, die naturgemäß von Irrungen und Wirrungen der Liebe und Beziehungen zwischen den Menschen handeln.

Dalia Schaechter als Rachel´e ist dabei der Star, kongenial Matthias Hoffmann in der Doppelrolle als Regieassistent in der Rahmenhandlung und als Komponist und Impressario Abraham Goldfaden, der sich als vermutlicher Ururgroßvater Leas herausstellt. Hoffmann lispelt in dieser Rolle wie Marcel Reich-Ranicki, der in Polen geborene jüdisch-deutsche Großkritiker, und stellt so den Bezug zu den wenigen Juden her, die nach dem Holocaust in Deutschland gelebt haben.

Oper Köln/ Mazeltov Rachel’e/Dustin Drosdziok, Verena Hierholzer, Stefan Hadžić/Foto @ Paul Leclaire

Das Stück stellt anhand der zum Teil aberwitzigen Begegnungen die Frage der Tradition, der kulturellen Identität, der Herkunft und des Sich-neu-Verortens. Begleitet von dem kleinen Ensemble aus dem Gürzenich-Orchester beantwortet Dalia Schaechter alias Lea Singer diese Frage auf ihre ganz persönliche Art: sie singt „Isoldes Liebestod“ in jiddischer Sprache und deutet damit das nahende Ende ihres Lebens an.

Die Gesangsnummern sind alle in jiddischer Sprache, zum Teil mit neuen Texten von Christian von Götz, mit deutschen Übertiteln, die gesprochenen Texte sind überwiegend Deutsch. Bedenkt man, dass Operetten in der Regel von begabten Schauspielern gesungen wurden, kann man die Besetzung mit erfahrenen Opernsänger*innen nur als opulent bezeichnen. Sie agieren mit großer Spielfreude.

Die musikalische Farce „Mazeltov, Rachel´e“ erweist nicht zuletzt den jüdischen Operettenkomponisten, die im Zuge des Holocaust aus Europa emigrieren mussten und in New York den Yiddish Broadway etablierten, eine Reverenz.

Als Denkanstoß zum Thema „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ ist mir klar geworden, welche kulturelle Vielfalt – vor 1933 gab es in Berlin und in Osteuropa eigene jiddische Operettentheater – in Europa verloren gegangen ist. 

 

  • Rezension der besuchten Vorst. am 9.6.21 von Ursula Hartlapp-Lindemeyer/Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Köln / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Köln/ Mazeltov Rachel’e/Dalia Schaechter/Foto @ Paul Leclaire
Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert