
Richard Strauss „Alpensinfonie“ als musikalischer Befreiungsschlag: Das Tonkünstler-Orchester im Festspielhaus St. Pölten
Richard Strauss, Eine Alpensinfonie op. 64
7. Juni2021, Festspielhaus St. Pölten
Tonkünstler-Orchester Niederösterreich
Dirigent: Yutaka Sado
Fast über ein Jahr lang konnten das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich und ihr japanischer Chefdirigent pandemiebedingt nicht gemeinsam musizieren. Kurz vor Abschluss dieser Spielzeit kehrte das Orchester nun endlich wieder unter der Leitung von Yutaka Sado in das Festspielhaus St. Pölten zurück. Während andernorts reduzierte Orchesterfassungen erklingen, ließen sich die Tonkünstler nicht lumpen und stemmten die in der Alpenrepublik Österreich beliebteste Tondichtung von Richard Strauss, op. 64. „Eine Alpensinfonie“ in der Originalfassung mit über 100 Musikerinnen und Musikern.

Spannend mache es Yutaka Sado gleich zu Konzertbeginn, indem er das einleitende Toncluster der Tondichtung, die „Nacht“ etwas rascher als üblich nahm und es sogleich im Mezzopiano anstelle eines Pianissimo erklingen ließ. Gekonnt durchgearbeitet, legte der Dirigent den Fokus auf die Klangschattierungen seines Orchesters. Sein von Natürlichkeit geprägtes Klangbild fügte sich fulminant mit der Akustik des Festspielhauses. Insbesondere die Blechbläser imponierten dabei mit sauberer Intonation in opulentem Charakter. Bedacht wob Sado die anfangs dunklen, bedrohlichen Blechbläserklänge in das anschwellende Tremolo der Streicher um letztendlich „auf den blumigen Wiesen“ sowie „auf der Alm“ sämtliche klanglichen Farbpaletten einer Berglandschaft zu malen.
Faszinierend, wie rational, fast schon distanziert, Sado sein Orchester durch die Höhen und Tiefen bis auf die Bergesspitze führte und sich dabei nicht vom Pathos der Komposition vereinnahmen ließ. Lediglich einmal, im orchestralen Höhepunkt der Alpensinfonie, im großen Bläsertutti „Auf dem Gipfel“ konnte sich Yutaka Sado nicht mehr zurückhalten und lies sich mit weit geöffneten Armen von den Klangwogen umfließen.
Sicherlich erschien Strauss Alpensinfonie schon zu ihrer Uraufführung im Jahre 1915 etwas aus ihrer Zeit gefallen und zugegeben, in ihrer Form ist Strauss‘ Komposition doch etwas uneinheitlich. Nichtsdestotrotz ist die Tondichtung raffiniert instrumentiert und überaus effektvoll. Welch ein prachtvoller und zuweilen ungewohnter Anblick bot die bis auf den letzten Quadratmeter mit Orchestermusiker*innen voll besetzte Bühne des Festspielhauses. So schienen etwaige Schwächen des Werks an diesem Abend schnell überwunden, zu groß war das künstlerische Verlangen der Tonkünstler und zu groß auch der Hunger nach Musik des Publikums.

Diese intensive Gipfelerstürmung fand nach knapp einer Stunde auch schon ihren Abschluss, ein rascher, zugleich ergreifender und hoffentlich richtungsweisender Spielzeitabschluss an einem Montagabend in Niederösterreich. Es sei dem Tonkünstler-Orchester gewünscht, dass ihre nächste Spielzeit wieder produktiver sein wird.
Als Zugabe für die anstehende Sommerpause empfehlen wir die CD-Einspielung der Tonkünstler von Richard Strauss „Heldenleben“ aus dem Jahr 2016, ebenfalls unter der musikalischen Leitung von Yutaka Sado: https://www.tonkuenstler.at/de/shop/cds-der-tonkuenstler/strauss-heldenleben-und-rosenkavalier-suite
- Rezension von Philipp Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Festspielhaus St. Pölten
- Titelfoto: Tonkünstler/St. Pölten/Foto © Johannes Brunnbauer