„Leuchtende Liebe, lachender Tod“ – neuer Blick auf Richard Wagners „Siegfried“ in der Kölner Philharmonie

Kent Nagano / Foto @ Felix Broede
Kent Nagano / Foto @ Felix Broede

Ziel des „Ring“-Projekts „Wagner-Lesarten“ mit dem Dresdner Festspielorchester ist es, Wagners Opernzyklus so auf die Bühne zu bringen, wie ihn Zeitgenossen erlebt haben, nämlich mit historischen Instrumenten und mit Stimmen, wie sie 1876, im Jahr der Uraufführung im Festspielhaus in Bayreuth zur Verfügung standen. Kent Nagano schuf mit dem Dresdner Festspielorchester drei fesselnde Spannungsbögen und bekam stehende Ovationen. (Besuchte Vorstellung am 10.4.2025)

 

Die Texte der Trilogie mit einem Vorspiel hatte Wagner 1853 vollendet. Sie ergaben sich daraus, dass er ursprünglich „Siegfrieds Tod“ („Götterdämmerung“) als große Oper konzipiert hat, dann aber die vorhergehenden „Rheingold“, „Walküre“ und „Siegfried“ schrieb, um die Vorgeschichte zu erzählen. Siegfried, der Held des Nibelungenlieds, hatte es Wagner besonders angetan, weil er als nordischer Held keine Entsprechung bei den griechischen und römischen Göttern hat. Er steht für die Abschaffung der Herrschaft der Fürsten in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die das Ziel der Revolutionäre von 1848 war. Wagner selbst musste als Anhänger der 1848-er Revolte ins Exil und hat sich zweifellos mit seinem Helden Siegfried identifiziert. Ein freier Held, durch keine Konventionen belastet, von keinen materiellen Sorgen geplagt, war auch Wagners Ideal.

Wotans Speer steht für den Gesellschaftsvertrag, der Wotans Herrschaft begründet. In der „Walküre“ konnte Wotan seinen Sohn Siegmund, Siegfrieds Vater, nicht gegen Sieglindes Mann Hunding beschützen, weil er selbst damit seinen Gesellschaftsvertrag gebrochen hätte. Wotans Speer zerbricht Nothung, das Schwert, die Wunderwaffe, die Wotan Siegmund verhieß. Mit den Trümmern Nothungs floh Sieglinde, Siegfrieds Mutter, nach dem Tod Siegmunds in den Wald. Daher steht die Szene, in der Siegfried mit dem Schwert, das er selbst aus den Trümmern Nothungs geschmiedet hat, den Speer Wotans zerschmettert, für das Ende von Wotans Herrschaft. Siegfried, der das Fürchten nie gelernt hat, steht in Wagners Werk wie kein anderer für den mit der Natur verbundenen naiven jungen Mann, der nach Genuss von Fafners Blut mit dem Waldvöglein reden kann, für den „freien Helden“, der Deutschland retten könnte. Die Uraufführung des „Ring des Nibelungen“ im Bayreuther Festspielhaus im Jahr 1876 war wie kaum ein anderes kulturelles Ereignis identitätsbildend für die deutsche Nation, die sich 18. Januar 1871 in Versailles durch die Krönung Kaiser Wilhelms I. aus zahllosen Kleinstaaten mit eigener Kultur und eigenem Dialekt konstituiert hatte.

Frei von Bindungen und materieller Not nimmt Siegfried sein Schicksal in die Hand und macht sich auf die Suche nach der Gattin, die ihm der Waldvogel verhieß. Dass ihm als Enkel Wotans mit dem magischen Schwert, dem von Alberich verfluchten Ring und der Tarnkappe die Herrschaft zusteht, weiß er nicht. Sein Glück ist vollkommen, als er Brünnhilde auf dem Felsen entdeckt, den Feuerkreis furchtlos durchschreitet und sie als seine Partnerin erkennt. Brünnhildes Erwachen und das anschließende ekstatische Liebesduett, in dem sich das Paar findet, sind der emotionale Höhepunkt des gesamten Ring-Zyklus.

Das Orchester wird fast sinfonisch behandelt und erzählt mit den Leitmotiven im Grunde die gesamte Geschichte. Es ist mit historischen Instrumenten besetzt, die Streicher haben Darmsaiten, die Hörner hatten zu Wagners Zeit noch keine Ventile und waren Naturtoninstrumente, die sehr schwer zu intonieren sind. Wagner-Tuben führten das tiefe Blechblasinstrument in die Oper ein. Die Entwicklung der Musikinstrumente war rasant, und man hat die Aufführungspraxis der Opern Wagners ständig an die Entwicklung der Instrumente angepasst und, auch mit der höheren Stimmung, einen immer brillanteren Klang erzeugt. Die historischen Instrumente sind zwar nicht so laut wie die modernen Orchesterinstrumente, aber die Positionierung des Orchesters der Bayreuther Festspiele in einem Graben unter der Bühne dämpft die Lautstärke und verhindert, dass die Sänger übertönt werden.

Dresdner Festspielorchester / Foto: © Sonja Werner

Zur historischen Aufführungspraxis gehört untrennbar die szenische Umsetzung mit Bühnenbild, Kostümen und Maske, idealerweise im Festspielhaus Bayreuth, wo die Uraufführung stattfand. Die konzertante Aufführung abstrahiert von Aspekten des Regietheaters und lenkt den Blick auf den Text und auf die Musik, hat aber den Nachteil, dass das Orchester dazu tendiert, die Singenden zu übertönen, weil es hinter ihnen aufgestellt ist.

Die Besetzung des Titelhelden mit dem eher lyrischen Tenor Thomas Blondelle macht bewusst, dass Siegfried ein „Halbstarker“ ist, der von seinem Ziehvater Mime Aufklärung über seine Herkunft verlangt und erwachsen wird. Das Stimmfach „Heldentenor“ gab es zu Wagners Zeit noch nicht, es hat sich erst im 20. Jahrhundert konstituiert, als immer stimmgewaltigere Protagonisten wie Wolfgang Windgassen, René Kollo oder Stephen Gould die Rolle des Siegfried als schwerer Held ausfüllten. Dabei ist Siegfried ein seine Identität suchender jugendlicher Held, der „das Fürchten lernen will“.

Mit Siegfrieds Sieg über den Drachen endet der zweite Akt, und da hat man schon gemerkt, welche „Mörderpartie“ der Siegfried ist. Das Publikum hat das „Schmiedelied“ von modernen Heldentenören live oder von Tonträgern gehört und ist enttäuscht, weil er nicht die Kraft und Fülle hat, das riesige Orchester, das sich hinter ihm auftürmt, zu überstrahlen. Umso mutiger von Blondelle, sich auf dieses Rollendebut als Siegfried einzulassen, und zu demonstrieren, wie ein „normaler“ Siegfried klingen kann. Zu Wagners Zeit gab es noch keine Heldentenöre wie Stephen Gould. Mich hat Blondelle mit der psychologischen Durchdringung des heranwachsenden Helden, auch mit intimen und zarten Tönen als seine Identität Suchender voll überzeugt, erst recht als naiver junger Kerl, der im 3. Akt auf die schlafende Brünnhilde trifft und sich auf der Stelle in dieses Vollweib verliebt. Ein Akt, der nur von Männerstimmen geprägt ist, und auch überwiegend von Tenören, ist ein musikalische Wagnis, das hier voll aufgeht. Mime wurde äußerst suggestiv von Christian Elsner, einem deutschen Charaktertenor der Spitzenkasse, verkörpert. Die beiden Tenöre hoben sich gut voneinander ab und gestalteten einen fantastischen Generationenkonflikt. Wie Blondelle den alten, verbitterte Zwerg, der nur für sein Ziel lebte, in den Besitz des verfluchten Rings zu gelangen, imitierte, war sensationell. Am Ende des zweiten Akts ersticht er ungerührt seinen Ziehvater und legt die Leiche neben den Kadaver des erlegten Lindwurms vor den Eingang zur Drachenhöhle, in der sich das Rheingold befindet. Das Waldvöglein hat ihm nämlich geflüstert, dass Mime Siegfried vergiften wollte, um selbst in den Besitz des Rings zu gelangen und ihm empfohlen, Ring und Tarnkappe an sich zu nehmen.

Der Wanderer, von dem das Orchester verrät, dass es kein anderer als Wotan ist, nimmt in einer Art Fragespiel mit Mime die Chance wahr, die Vorgeschichte in einer Abfolge von zweimal drei Fragen zu erzählen. Derek Welton gibt dem resignierten Gott mit kraftvollem Bariton Kontur. Eine kongeniale Partnerin war ihm die kurzfristig eingesprungene Altistin Ulrike Schneider als Erda, die weise Erdgöttin, Brünnhildes Mutter. Der Lindwurm Fafner wird überwiegend vom Orchester dargestellt, und Hanno Müller-Brachmann sang die wenigen Phrasen, die er zu singen hatte, mit Hilfe eines Megafons mit großer Durchschlagskraft. Daniel Schmutzhard war ein listiger Alberich, der sich in der gleichen Absicht wie sein Bruder Mime in der Umgebung des Lindwurms herumtreibt, um sich bei erster Gelegenheit in den Besitz des Rings zu setzen.

Mutig war der Einsatz des Sängerknaben des Tölzer Knabenchors Benedikt Siewert als Stimme des Waldvögleins. Wagners Absicht war, zu zeigen, dass Brünnhilde die erste Frau ist, die Siegfried sieht. Er soll ursprünglich einen Knaben vorgesehen haben, aber aus aufführungstechnischen Gründen darauf verzichtet. Dieser Waldvogel rührte unmittelbar an, weil er zutraulich den Helden begleitete, wobei er die Partie mit silberhellem Knabensopran souverän meisterte. Er gab Siegfried den Hinweis, auf dem von Feuer umringten Felsen nach seiner Gefährtin zu suchen.

Åsa Jäger war Brünnhilde, Tochter Wotans und Erdas, die von Siegfried von den Insignien ihrer Rolle als Walküre befreit und zur normalen verletzlichen Frau wurde. Mit „Heil dir, Sonne“ eröffnete sie eine der beeindruckendsten Liebesszenen der gesamten Opernliteratur mit innigem Ausdruck ihrer Verletzlichkeit und überbordender Liebe zum Helden Siegfried. Mit „Ewig war ich“ endete „Siegfried“ in einem jubelnden und ergreifenden Finale, das das Publikum zu langanhaltenden stehenden Ovationen hinriss.

Es wäre unfair, das Projektorchester mit seinen historischen Instrumenten mit Klangkörpern wie den Wiener Philharmonikern oder dem Orchester der Bayreuther Festspiele zu vergleichen, denn die historischen Instrumente sind viel schwieriger zu intonieren als reguläre Instrumente und einen halben Ton tiefer gestimmt. Besonders gelobt werden muss der Solo-Hornist Franz Draxinger, der das Siegfried-Motiv entwickelte und der Englischhorn-Solist Stefaan Verdegem, der die vorher gescheiterten Versuche Siegfrieds, mit den Waldvögeln zu kommunizieren, darstellte. Auffallend war die hervorragende Textverständlichkeit, auf die Wagner besonders großen Wert gelegt hat. Ich habe einen märchenhaften Abend erlebt, in dem der mit Erwartungen überfrachtete Held Siegfried von seiner menschlichen Seite gezeigt wurde. Man kann auf die „Götterdämmerung“ im nächsten Jahr gespannt sein!

Wagners Absicht war, zu zeigen, dass Brünnhilde die erste Frau ist, die Siegfried sieht. Die Idee zu den „Wagner-Lesarten“ hatte Kent Nagano mit dem auf historische Aufführungspraxis spezialisierte Concerto Köln, das er zum Projektorchester unter dem Namen Dresdner Festspielorchester erweiterte. Das Konzert wird in weiteren europäischen Städten aufgeführt. Mehr dazu unter diesem Link.

 

(Redaktionell überarbeitet)

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Titelfoto: Blick in den Saal der Kölner Philharmonie / Foto © KölnMusik/Guido Erbring

 

 

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6 Gedanken zu „„Leuchtende Liebe, lachender Tod“ – neuer Blick auf Richard Wagners „Siegfried“ in der Kölner Philharmonie&8220;

  1. Freut uns sehr, dass Ihnen unser Waldvogel gefallen hat. Dürfen wir um eine kleine, aber wichtige Korrektur bitten: Der Tölzer Knabe hat ohne Mikro gesungen! Die Solisten des Tölzer Knabenchors erhalten alle eine langjährige professionelle Gesangsausbildung im Einzelunterricht und benötigen daher in aller Regel keine elektronische Verstärkung. Nicht nur, aber auch wegen der Tragfähigkeit ihrer Stimmen sind die Tölzer auf den großen Opernbühnen in aller Welt gefragt.
    Michael Kocyan
    Tölzer Knabenchor

  2. Eine Kritik mit einigen sachlichen Fehlern! Wenn man über Wagner und sein Werk schreibt, sollte der nötige Sachverstand schon vorhanden sein. Nicht gut für das sonst so professionelle Opernmagazin.

  3. Die Kritik ist gewohnt eher laienhaft und – wie öfter schon bei dieser Autorin festgestellt – nicht ohne grobe sachliche Fehler. Mehr Sorgfalt bei der Recherche, eine gründliche Textredaktion und eine gehörige Portion mehr Distanz zum Gegenstand wären ratsam.

  4. weder windgassen und schon gar nicht kollo waren „schwere Helden“ – da liegt wohl ein mißverständnis vor….

    ….und diese stehenden ovationen haben nichts mit begeisterung zu tun.

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