Mit einer Wiederentdeckung ganz besonderer Art wartete das Barockorchester La Cetra auf und bot Gelegenheit, einem Werk zu begegnen, welches mit einem Aufgebot großer Stimmen neugierig machte. (Rezension der Aufführung vom 03.02.2022)
Zur Karnevalssaion 1734 in Venedig wurde eine große Sensation angekündigt. Die zwei berühmten, aber rivalisierenden Kastraten, Farinelli und Caffarelli, sollten im Teatro San Giovanni Grisostomo, dem größten Theater Venedigs, gemeinsam in der Uraufführung der neu vertonten Oper „La Merope“, auftreten. Der Impresario des Theaters, Domenico Lalli, hatte das Werk selbst bearbeitet. Grundlage war die Textfassung von Apostolo Zeno aus dem Jahre 1711. Dem Komponisten Geminiano Giacomelli, damals einer der berühmtesten seines Fachs, kam die Aufgabe zu, dieses Werk neu zu vertonen. Farinelli sang die Partie des Helden Epitide und Caffarelli die des Trasimede.
Die mit Spannung erwartete Premiere wurde ein glanzvoller Abend. Doch die Rivalität der beiden Kastraten war derart groß, dass die Oper nach kurzer Zeit wieder abgesetzt werden musste. Danach geriet das Werk bald in Vergessenheit, denn zu jener Zeit richtete sich das Interesse vor allem auf Uraufführungen. Mit Wiederaufnahmen wollte man sich nicht auseinandersetzen. Nach fast 300 Jahren wurde das Werk neu entdeckt, sodass man heute von der Erstaufführung in neuer Zeit berichten kann. Die Geschichte des Dramas “La Merope” ist reichlich kompliziert. Sie widerspiegelt die Ereignisse am Hof von Messenien, wo innerhalb eines Tages die nach einem Staatsstreich verschobenen Machtverhältnisse wieder korrigiert wurden. Der Komponist war bekannt dafür, dass er vermochte, niedrige menschliche Gefühle und Motive, wie Lüge, Falschheit und Widerspruch musikalisch glaubhaft auszudrücken. Dies kommt in emotionalen Arien zum Ausdruck, welche an die Sänger/innen grosse Ansprüche stellen. Einige seiner Arien wurden durch andere Komponisten für ihre eigenen Werke übernommen, so z.B. bei Vivaldi in der Oper „Bajazet“.
Die Rolle der Merope, Königin von Messenien, war mit Magdalena Kožená besetzt. Die Mezzosopranistin überzeugte mit großer Stimme und dramatischer Interpretation, welche das Leiden dieser tragischen Figur widerspiegelt.
Die Rolle des ihr treu ergebenen und in sie verliebten Anführer des Rats, Trasimede, in der Uraufführung in Venedig von Caffarelli gesungen, war der Mezzosopranistin Vasilisa Berzhanskaya anvertraut. Sie sang diese Partie mit herrlicher Stimme und großer Hingabe. Epitide, der Sohn Meropes, damals von Farinelli interpretiert, erfordert einen hochvirtuosen Sänger. Kangmin Justin Kim, Countertenor, wurde den Ansprüchen der großen Rolle aufs herrlichste gerecht. Was für eine Stimme. Jede Nuance und jede Verzierung sitzt bei ihm und man kommt nicht aus dem Staunen heraus. Wohl selten hört man die Arie “Sposa, non mi conosci” derart berührend.
Carlo Vistoli, Countertenor, bot als Licisco, Gesandter von Ätolien, ebenfalls eine starke, überzeugende Interpretation seiner Arien. Seine facettenreiche Stimme und die Emotion in seiner Darbietung, sind beeindruckend. Kurz vor der Aufführung musste der Tenor Juan Sancho in der Rolle des Polifonte, dem Bösewicht dieser Handlung, einspringen. Er meisterte diese besondere Herausforderung bravourös und nichts liess erkennen, dass er sich ganz kurzfristig dieser Aufgabe stellte. Souverän und ausdrucksstark sang er diese schwierige Partie. Sein Tenor ist von großer Flexibilität und passt perfekt zu dieser sehr anspruchsvollen Komposition.
Argia, die Geliebte von Epitide, wurde von Beth Taylor mit edlem Mezzosopran gesungen. Die am Anfang einer großen Karriere stehende Sängerin verfügt über eine bis in die tiefsten Lagen sichere Stimme. Anassandro, der Vertraute von Polifonte, war ebenfalls mit einer Mezzosopranistin besetzt. Die junge Rachele Raggiotti konnte mit einer sehr ansprechenden Leistung überzeugen.
Was an diesem Abend in der Martinskirche in Basel während über drei Stunden geboten wurde, darf man als Ereignis bezeichnen. Was für eine Besetzung, welch unglaubliche Präzision des Gesangs und was für eine Leistung des La Cetra Barockorchesters unter der Leitung von Andrea Marcon, dem diese Wiederentdeckung zu verdanken ist.
Das La Cetra Barockorchester Basel spielte einmal mehr auf höchstem Niveau und bestätigte seinen hervorragenden Ruf, den es in der Musikwelt genießt. Andrea Marcon ist von Musik durchströmt und versteht es, diese Energie auf seine Musiker zu übertragen. Man kann allen Beteiligten dieser Aufführung ein uneingeschränktes Lob aussprechen. Im Bewusstsein, ein ganz außergewöhnliches Konzert miterlebt zu haben, spendete das Publikum begeisterten Applaus.
LA MEROPE
Dramma per musica von Geminiano Giacomelli
La Cetra Barockorchester
Andrea Marcon, Leitung
Solisten
Martinskirche Basel 3. Februar 2022
- Rezension von Marco Stücklin / Red. DAS OPERNMAGAZIN-CH
- La Cetra Barockorchester Basel
- Titelfoto: La Merope/Basel/Foto @ Marco Stücklin