Kent Nagano dirigiert Wagners „Die Walküre“ in der Kölner Philharmonie

Kölner Philharmonie/WALKÜRE/Ensemble/ Foto: Copyright Thomas Brill

Tosender Applaus belohnte Kent Nagano und sein Ensemble bei der Aufführung der „Walküre“ am 24. März 2023 in der Kölner Philharmonie. Das Haus war, überwiegend mit Wagner-Anhängern, fast ausverkauft. Es wurde auf Originalklanginstrumenten gespielt und in historischer Aufführungspraxis gesungen, das heißt, man legte besonderen Wert auf die Sprache. Diesmal wird an sechs Aufführungsorten gespielt: von Prag über Amsterdam und Köln geht es nach Hamburg, Dresden und Luzern.  (Rezension der Vorstellung v. 24.03.2024)

 

Mit der „Walküre“ knüpft Kent Nagano mit dem Concerto Köln und dem 2012 gegründeten Dresdner Festspielorchester an seine Produktion des „Rheingold“ am 18.11.2021 in der Kölner Philharmonie an, die im August dort 2023 wiederholt wurde. „Die Walküre“ sowie das „Rheingold“ gehören beide zum Projekt „The Wagner Cycles – Ein Projekt der Dresdner Musikfestspiele“ unter der künstlerischen Gesamtleitung von Jan Vogler (Intendant der Dresdner Musikfestspiele) und Kent Nagano. Für das Projekt wird das Orchester aus dem Dresdner Festspielorchester und Concerto Köln gleichwertig besetzt.

Der von Alberich aus dem Rheingold geschmiedete Ring, der unendliche Macht verleiht, befindet sich in Fafners Besitz und wird vom gefährlichen Drachen bewacht. Wotan und Alberich haben beide keine Chance, den Ring zurückzugewinnen.

Kölner Philharmonie/WALKÜRE/ Foto: Copyright Thomas Brill

Erschöpft und verwundet kommt ein junger Krieger waffenlos in Hundings Haus an. Sieglinde versorgt ihn, und Hunding erkennt in ihm seinen Feind. In der Nacht genieße er das Gastrecht, aber am nächsten Tag sei er zum Zweikampf gefordert. Sieglinde gibt ihrem Mann einen Schlaftrunk, und beide erkennen, dass sie die kurz nach der Geburt getrennten Zwillingsgeschwister Siegmund und Sieglinde sind. In grenzenloser Leidenschaft zeugen sie Siegfried. Vorher erkennt Siegmund im Stamm der Esche steckend Nothung, das Schwert, das Wotan ihm verhieß, und geht zuversichtlich in den Kampf.

Am anderen Morgen scheint alles klar. Wotan und Brünnhilde sind sich einig, dass Brünnhilde Siegmund im Kampf gegen Hunding schützen soll. Aber Wotans Frau Fricka macht einen Strich durch die Rechnung. Sie als Hüterin der Ehe hat Anstoß an der inzestösen und ehebrecherischen Beziehung zwischen Siegmund und Sieglinde genommen und besteht darauf, dass Wotan Siegmund fallen lässt. Wotan überbringt diese Forderung an Brünnhilde, die Siegmund seinen nahenden Tod verkündet – ein herzzerreißender Moment! Sie entschließt sich, Siegfried gegen den Willen ihres Vaters beizustehen. Aber Wotan selbst greift ein. Im Kampf mit Hunding zerbricht Siegmunds Schwert an Wotans Speer, Siegmund fällt, und Brünnhilde bringt die Trümmer des Schwerts und Sieglinde in Sicherheit.

Musikalisch untermalt vom Walkürenritt tragen die Walküren die Toten der Schlachtfelder für Wotans Heer gegen Alberich zusammen. Bei ihren Schwestern sucht Brünnhilde Schutz vor Wotans Zorn, und der tief deprimierten Sieglinde eröffnet sie, dass sie von Siegmund schwanger ist, der Name des Kindes solle Siegfried sein. Schwanger und mit den Bruchstücken des Zauberschwerts Nothung flieht Sieglinde in Fafners Wald.

Brünnhilde stellt sich Wotan. Der nimmt ihr den Walkürenstatus und versetzt sie in wehrlosen Schlaf, allerdings umgibt er ihr Lager mit einem Feuerkreis, den nur durchdringen kann, wer freier ist als Wotan selbst und der seines Speeres Spitze nicht fürchtet. „Leb wohl, du kühnes, herrliches Kind,“ Wotans Abschied von Brünnhilde ist eine der anrührendsten Momente der Opernliteratur.

Kölner Philharmonie/WALKÜRE/Derek Welton/ Foto: Copyright Thomas Brill

Aus der hochkarätigen Besetzung ragt heraus Derek Welton als Wotan mit seinem voluminösen und wohlklingenden Bassbariton. Er ist der charismatische Fürst, der seine Macht aus Gesetzen und Verträgen und eben auch aus dem Nimbus seiner sozialen Stellung bezieht, aber auch der liebende Vater, dem es das Herz bricht, seinen Sohn Siegmund der Staatsräson opfern zu müssen und seine Tochter Brünnhilde für Ungehorsam zu bestrafen, den er liebend gerne selbst begangen hätte, den er sich als Fürst aber nicht erlauben darf. Seine Mimik und seine Körpersprache unterstreichen seine Gefühle. Er ist der Herrscher, der im Interesse des Machterhalts mittels Listen und Intrigen Konflikte aushandelt, aber sich an das Gesetz gebunden fühlt. Ihm wird klar, dass sein ursprünglicher Plan, wieder an den Ring zu kommen, gescheitert ist, als er Siegmund der Konvention opfern muss. 

Ric Furman in seinem Rollendebut als Siegmund macht mit seinem umsichtig geführten jugendlichen Heldentenor eine gute Figur. Sarah Wegener mit ihrem mädchenhaft klingenden jugendlich-dramatische Sopran ist eine absolut passende Sieglinde, die all das Leid, das sie tragen muss, anrührend und farbenreich schildert und durch Gestik und Mimik unterstreicht. Patrick Zielke glänzt mit der Charakterstudie des Hunding, der schon mit den Worten „Rüst´ uns Männern das Mahl,“ klar macht, wer hier der Herr im Haus ist. Ein absolut gefährlich wirkender schwerer Bass, der aus der kleinen Partie alles herausholt.

Brünnhilde, die mutige, mitfühlende und autonom handelnde Tochter Wotans ist die zentrale Gestalt dieses Dramas. Christiane Libor verleiht mit ihrem dramatischen Sopran dieser Figur mit strahlenden Spitzentönen Kontur. In ihrem Konflikt mit dem Vater Wotan prallen väterliche Autorität und persönliche Sympathie für ihren Halbbruder Siegmund aufeinander.

Claude Eichenberger als Fricka ist Wotans Gegenspielerin. Den Ehestreit um die Bestrafung Siegmunds für seinen Inzest und Ehebruch führt sie mit gnadenloser Härte und zwingt ihren Gatten zur Kapitulation, die Siegmunds Tod bedeutet.

Natalie Karl (Helmwige), Chelsea Zurflüh (Gerhilde), Karola Sophia Schmid (Ortlinde), Ulrike Malotta (Waltraute), Ida Aldrian (Siegrune), Marie Luise Dreßen (Roßweiße), Eva Vogel (Grimgerde) und Jasmin Etminan (Schwertleite), die nach und nach aus dem Zuschauerraum auf die Bühne treten, bilden ein beeindruckendes Walkürenteam.

Wie beim „Rheingold“ verwendeten die Sänger und Sängerinnen nicht nur ungewöhnlich viel Sorgfalt auf eine perfekte Artikulation, sie setzten auch Wagners szenische Anweisungen in Gesten um. Die Übertitel wären gar nicht nötig gewesen, so deutlich war die Sprache.

Das aus dem Concerto Köln und dem Dresdner Festspielorchester gebildete Projektorchester glänzte durch sehr schön spielende Holzbläser, sechs Harfen, historische Hörner, Trompeten und Posaunen, vier Wagner-Tuben und ein Stierhorn. Die Streicher, 7 Kontrabässe, 10 Celli 14 erste Geigen, 13 zweite Geigen und 11 Violen spielten auf hohem Niveau. Schon beim Orchestervorspiel beeindruckten die Kontrabässe, die in der tieferen Stimmung (Kammerton a = 435 Hz) große dramatische Wucht entfalteten.

Kölner Philharmonie/WALKÜRE/Ensemble/ Foto: Copyright Thomas Brill

Der 72 Jahre alte Kalifornier Kent Nagano kann als Motor dieses Projekts gelten. Seine internationale Reputation als Experte für Neue Musik hat ihn wohl als Zugpferd prädestiniert. Bis 2015 war er Chefdirigent der Münchner Staatsoper, jetzt der Hamburger Staatoper. Mit großem Gespür für dramatische Entwicklungen und intensive Gefühle gestaltete er einen beeindruckenden Spannungsbogen. Beim Walkürenritt trumpfte er noch einmal richtig auf. Seit 2019 ist er Ehrendirigent beim Concerto Köln, einem für seine Aufführungen von Barockmusik preisgekrönten Ensemble, das sich für „The Wagner Cycles – Ein Projekt der Dresdner Musikfestspiele“ mit dem Dresdner Festspielorchester, dessen Kernrepertoire in der Romantik liegt, zusammengetan hat.

Man kann zu Recht gespannt sein auf die beiden weiteren Teile, die bis 2026 folgen sollen. Die alten Instrumente sind deutlich leiser, die Sänger und Sängerinnen werden nicht so leicht zugedeckt, und daher sind auch deklamierte Texte sehr gut verständlich. Die Abwesenheit von Bühnenbildern, Kostümen und Requisiten führt dazu, dass man die politische Brisanz der Konflikte erkennt. Es geht Wagner eben nicht um den nordischen Gott Wotan, sondern um den zeitgenössischen Adel, dessen Macht immer mehr verfällt und der vom aufstrebenden Bürgertum, das seine Bedeutung aus dem durch Ausbeutung der Natur und der Mitmenschen erworbenen Reichtum erhält, abgelöst wird.

Die Szenische Umsetzung hat man bei der spannenden Gestaltung nur wenig vermisst, zumal die meisten Besucher ihren Wagner kannten. Von Akt zu Akt steigerte sich der Applaus, zum Schluss gab es stehende Ovationen für Kent Nagano und sein Team. Es folgen noch Aufführungen der „Walküre“ in Hamburg (1. Mai), Dresden (9. Mai) und Luzern (21. August).

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Philharmonie Köln / Stückeseite
  • Titelfoto: Kölner Philharmonie/WALKÜRE/Kent Nagano/ Foto: Copyright Thomas Brill
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