Hommage an die Dichtkunst: Die Oper „Li-Tai-Pe“ in Bonn als Wiederentdeckung gefeiert

Oper Bonn/Li-Tai-Pe/Ensemble/Foto © Thilo Beu

Es ist eine Komödie mit Tiefgang, eine kleine Geschichte, die im 8. Jahrhundert in China spielt und die Systemrelevanz der Dichtkunst beweist. Die Musik ist spätromantisch mit exotischen Elementen, die sehr „chinesisch“ wirken, Bühne und Kostüme zaubern chinesisches Kolorit. Mirko Roschkowski in der Titelrolle und Anna Princeva als Yang-Gui-Fe glänzen mit wundervollen romantischen liedhaften Arien, und das exzellente Ensemble zieht mit großer Spielfreude die Staatsbediensteten durch den Kakao. (Rezension der Premiere v. 22.05.2022)

 

Der Dichter Li-Tai-Pe (Mirko Roschkowski) ist ein beliebter Star seiner Zeitgenossen im Peking des 8. Jahrhunderts. Er ist berühmt für seine Liebesgedichte und Trinklieder und wird von seinem Freund Ho-Tschi-Tschang, dem Doktor der Kaiserlichen Akademie (Giorgos Kanaris), überredet, sich einer Prüfung zum Staatsbeamten (Mandarin) zu stellen. Die bestellten Prüfer, die beiden Minister Yang-Kwei-Chung,  (Tobias Schabel) und Kao-Li-Tse (Johannes Mertes) lassen ihn jedoch durchfallen, weil er weder ein Bestechungsgeld mitgebracht hat noch einen einflussreichen Fürsprecher bieten kann. Selbst die vier Mandarine, in deren Reihen er aufrücken sollte, wenden sich überheblich von ihm ab, während er vom Volk gefeiert wird. Das Mädchen aus dem Volk, Yang-Gui-Fe (Anna Princeva), die unbeachtet von ihm in Li-Tai-Pe verliebt ist, singt sein Lied vom Kormoran in der Schenke nahe der Hauptstadt Peking. Dort erscheint der der kaiserliche Herold (Martin Tzonev) mit drei Trompetern und verkündet, der Kaiser suche einen Brautwerber, und Li-Tai-Pe und Yang-Gui-Fe mit zum Palast nimmt.

Im Kaiserpalast präsentiert zunächst Minister Yang-Kwei-Chung ein Werbelied – durchgefallen, dann Kao-Li-Tse, doch der Kaiser (Joachim Goltz) lässt ihn gar nicht erst aussingen. Die Vorschläge seiner Minister genügen nicht des Kaisers Ansprüchen, seine tiefen Gefühle für die begehrte koreanische Prinzessin Fei-Yen auszudrücken. Als dann aber Li-Tai-Pe das kaiserliche Liebeslied anstimmt, sind alle zutiefst ergriffen, der Chor fällt ein, und der Kaiser beauftragt Li-Tai-Pe mit der Brautwerbung. Der Doktor der Kaiserlichen Akademie gibt ihm die als Page verkleidete Yeng-Gui-Feng an die Seite, und die düpierten Minister sinnen auf Rache.

Oper Bonn/Li-Tai-Pe/Mirko Roschkowski, Anna Princeva /Foto © Thilo Beu

Sie wollen Li-Tai-Pe bezichtigen, er habe die koreanische Prinzessin entehrt und den Kaiser vor der Ehe betrogen, und überreden den Pagen für sie zu zeugen. Yang-Gui-Fe stimmt zum Schein zu, outet sich dann aber als Li-Tai-Pes eifersüchtiges Weib, das ihn niemals aus den Augen gelassen habe und ihn mit gutem Wein abgefüllt, so dass er der Prinzessin nicht nahegekommen sei.

Der Kaiser glaubt ihr und will die Minister zur Strafe hinrichten lassen, was die wundervolle koreanische Prinzessin Fei-Yen (Ava Gesell) jedoch verhindert. In Schimpf und Schande werden die intriganten Minister aus ihren Ämtern gejagt und des Hofes verwiesen, während der Kaiser und die Prinzessin Hochzeit feiern. Als Belohnung wünscht sich Li-Tai-Pe kein Amt, keinen Reichtum, sondern lediglich freien Wein bis ans Lebensende. Der Kaiser gewährt ihm diese Gunst und schenkt ihm dazu das Schiff, mit dem er die koreanische Prinzessin abgeholt hat. Mit Yang-Gui-Fe als Ehefrau segelt er in sein Glück.

Es wird durchgehend hervorragend gesungen und gespielt. Kieran Carrel als Wirt, Pavel Kudinov als Soldat, die entzückende Ava Gesell als Koreanische Prinzessin und Giorgos Kanaris als Doktor können als Luxus-Besetzungen bezeichnet werden, und der Wagner-Bariton Joachim Goltz als Kaiser ist einfach nur grandios. Als vermeintlich betrogener Kaiser und bezichtigte Prinzessin zeigen Goltz und Gesell ganz große Gefühle. Tobias Schabel und Johannes Mertes als Minister sowie Martin Tzonev als Herold beweisen komödiantische Spitzenklasse in ihren Rollen. Sie tragen übrigens „westliche“ Uniformen.

Absolut herausragend sind Anna Princeva, die die wunderbaren Lieder Li-Tai-Pes gestaltet, und Mirko Roschkowski in der Titelrolle, der mit seinem wunderschön timbrierten Tenor das Werbelied des Kaisers mit dem einfallenden Chor zum Höhepunkt der Oper im 2. Akt macht. Mit tänzerischer Eleganz spielt er das versoffene Genie, das noch im volltrunkenen Zustand druckreif dichtet.

Oper Bonn/Li-Tai-Pe/Ensemble/Foto © Thilo Beu

Der Chor und Extrachor des Theater Bonn in der Einstudierung von Marco Medved war bestens aufgelegt und gestaltete viel Volk und Höflinge, das groß besetzte Beethoven-Orchester mit je 12 Streichern und zwei Harfen zauberte chinesisch anmutende Klänge, mit drei Trompeten, drei Mandolinenspielerinnen, einem Xylophon und einer Pauke auch auf der Bühne. Der junge Kapellmeister Hermes Helfricht musste im Vorfeld die ihm vom Verlag gelieferte Kopie der Original-Partitur, die mit zahlreichen Veränderungen versehen worden war rekonstruieren. Man hatte zum Beispiel zwei Harfen auf eine gelegt und einen Teil der Stimmen in andere Instrumente übertragen. Jetzt kann das originalgetreu rekonstruierte Werk in Bonn angefordert werden!

Der Dichter Li-Tai-Pe (Tai-Pe bedeutet Abendstern), die Titelfigur, hat tatsächlich im 8. Jahrhundert in China gelebt. Er hat mehr als 1.100 Gedichte hinterlassen und war berühmt als kompromissloser Individualist. Man kann sagen, dass er in China einen Ruf wie Goethe in Deutschland hatte und immer noch hat. Die Nachdichtungen seiner Gedichte „Die chinesische Flöte“ von Hans Bethge von 1907 regten zahlreiche spätromantische Komponisten zu Vertonungen an, unter anderem Gustav Mahler mit dem „Lied von der Erde“. Am Anfang des 20. Jahrhunderts waren Stoffe aus China und Japan, wie auch Puccinis „Madame Butterfly“ und „Turandot“ sehr in Mode, denn man konnte mit asiatisch klingenden Harmonien und Instrumenten die Tonalität verlassen, und das Publikum liebte diese Exotismen.

Der Komponist Clemens Erwein Heinrich Karl Bonaventura Freiherr von und zu Franckenstein wurde 1875 in Wiesentheid (Franken) geboren. Er war von1912 bis 1918 Intendant der Münchener Hofoper und von 1924 bis 1934 sehr erfolgreicher Generalintendant der Bayerischen Staatstheater und starb 1942. Er hat mit „Li-Tai-Pe“ ein Erfolgsstück geschaffen. Es wurde allein in München 25 mal aufgeführt und im deutschsprachigen Raum 40 mal inszeniert. Nach dem Krieg geriet es in Vergessenheit.

Oper Bonn/Li-Tai-Pe/Giorgos Kanaris; Mirko Roschkowski, Anna Princeva, Kieran Carrel, Chor/Foto © Thilo Beu

Als langjähriger Opernintendant und Kapellmeister kannte Franckenstein natürlich das gesamte Repertoire und wusste, worauf es bei einem Kassenrenner ankommt. Die drei Akte sind kurz und knackig, die Melodien wiederholen sich und stellen so etwas wie Leitmotive dar. Das hervorragend dokumentierte Programmheft enthält auf 258 Seiten eine umfassende musikalische und inhaltliche Analyse der Oper, chinesische und deutsche Abdrucke der zu Grunde liegenden Gedichte, einen Bildteil mit Bühnenfotos und das vollständige Libretto von Rudolph Lothar Spitzer alias Rudolph Lothar.

Grundlage zu Franckensteins Oper ist eine Novelle aus dem Novellenwerk „Jigu qiguan“ aus der Zeit der Ming-Dynastie (1368-1444), die eine Episode aus dem Leben des Dichters Li-Tai-Pe beschreibt. Die diplomatischen Verwicklungen, die der Kaiser dank Li-Tai-Pes Sprachkompetenz übersteht, ersetzt Lothar durch eine Brautwerbung, die Liebesgeschichte mit Yang-Gui-Fe hat er einfach dazu erfunden. In China lernt man, dass Yang-Gui-Fe in Wirklichkeit eine edle Dame war.

Im Ergebnis ist „Li-Tai-Pe – Des Kaisers Dichter“ eine Hommage an die Dichtkunst und ein Plädoyer für die Systemrelevanz von Kunst und Kultur. Es ist eben nur der Dichter in der Lage, die Gefühle des Kaisers auszudrücken, die ranghohen Minister scheitern. Die Musik ist spätromantisch mit pentatonischen Elementen und gewinnt enorm durch die szenische Umsetzung. Vieles erinnert an Richard Strauss und Giacomo Puccini, beides Zeitgenossen Franckensteins, und natürlich an Richard Wagner.

Oper Bonn/Li-Tai-Pe/Mirko Roschkowski, Statisterie, Chor/Foto © Thilo Beu

Die Regisseurin Adriana Altaras hat mit ihrem Bühnenbildner Christoph Schubiger und ihrer Kostümbildnerin Nina Lepilina eine „chinesische“ Atmosphäre geschaffen. Im ersten Akt im Wirtshaus dominieren für das Volk Blautöne, im zweiten Akt im Kaiserpalast Rot- und Goldtöne, der Kaiser thront hoch über dem Hofstaat, und im dritten Akt, der im Garten spielt, zitiert Schubiger chinesische Tuschezeichnungen. Die chinesischen Gedichte und auch das ankommende Schiff werden simultan auf Video-Leinwände projiziert (Licht: Boris Kahnert).

Adriana Altaras hat allen Mitwirkenden Chi-Gong-Training verordnet, so dass sie sich so bewegen, wie man sich das als Europäer bei Chinesen aus der Tang-Dynastie vorstellt, wie zum Beispiel mit Trippelschrittchen der vier Mandarine (Tae-Hwan Yun, Alexander Kalina, Juhwan Cho und Richard Llama Marquez) und Sich-auf den Boden-werfen als Demutsgeste gegenüber dem Kaiser. Sie verzichtet auf Blackfacing. Einiges wirkt vielleicht etwas klischeehaft und überladen wie die drei Geister mit Masken, die überall mit dabei sind, oder der sehr bunte Drache, aber die Personenführung ist durchdacht. Man merkt, dass die Regisseurin gelernte Schauspielerin ist.

Andreas K.W. Meyer, Operndirektor, hat diesmal in der Tat ein Juwel ausgegraben. Wie Richard Wagners „Meistersinger“ ist „Li-Tai-Pe“ eine Reflektion über Kunst, aber Franckenstein macht es kurz (Aufführungsdauer – mit einer Pause nach dem 2. Akt – 2:15 Stunden) und komödiantisch. Der versoffene Dichterfürst und die boshaften Minister sind einfach genial ausgedachte Typen, die mit Stolzing auf der einen und Beckmesser auf der anderen Seite voll mithalten können, ohne das Stück zu überfrachten.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Theater Bonn / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Bonn/Li-Tai-Pe/Mirko Roschkowski (Li-Tai-Pe); Statisterie, Chor/Foto © Thilo Beu
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