Hélio Vida im Gespräch mit dem OPERNMAGAZIN

Hélio Vida / Foto @ Christian Knörr

Interview mit Hélio Vida

Dem Leiter des Opernstudio OperAvenir am Theater Basel

DAS OPERNMAGAZIN-Gespräch mit dem Künstler führte Marco Stücklin am Montag, den 7. September 2020

 

 

  • DAS OPERNMAGAZIN (OM): Herr Vida, mit dieser Saison übernehmen mit dieser Saison die Leitung des OperAvenir Studios am Theater Basel. Dürfen wir etwas mehr über Ihren Werdegang erfahren und wie Sie den Weg nach Basel gefunden haben?

Hélio Vida (HV): Ich bin in Brasilien geboren und habe mich schon seit ich ein kleines Kind war für Stimmen und Opern interessiert. Ich habe mich dann aber auf das Klavier konzentriert. Zuerst in Brasilien, wo ich begonnen habe zu studieren und dann bin ich nach Nancy umgezogen, wo ich ein Diplôme d’Etudes Musicales gemacht habe. Anschließend bin ich 4 Jahre in Karlsruhe gewesen, wo ich zwei Masters in Klavier und Kammermusik abgeschlossen habe. Gleichzeitig habe ich immer auch als Pianist am Opernstudio, Masterclasses etc. gearbeitet und auch Lieder- und Kammermusik gemacht.

2014 habe ich dann den Sonderpreis Mendelssohn Bartholdy beim Gesangswettbewerb als bester Pianist in Berlin gewonnen. Dies war am Ende meines zweiten Masters. Darauf wurde ich bei der Hochschule für Musik als Korrepetitor engagiert.

Ich konnte dann auch noch den Preis des HSBC, Académie du Festival Aix-en-Provence gewinnen, was mir den Weg für Recitals am Festival in Aix-en-Provence geebnet hatte. Parallel dazu habe ich auch an verschiedenen Opera Workshops in der Dutch National Opera in Amsterdam, Oper Narodowa in Warschau, Georg Solti Accademia in Venedig und an der Lettischen National Oper in Riga teilgenommen und konnte auch viele Meisterkurse begleiten. Daneben habe ich noch Sprachen studiert und kam dann 2016 nach Zürich ans Opernstudio. Dort habe ich viel mit den jungen Talenten gearbeitet und habe auch Produktionen wie «Le comte Ory» mit Cecilia Bartoli und Lawrence Brownlee einstudiert. Es war ein Highlight für mich, als ich auf dem Probenplan sah, dass ich mit diesen Sängern arbeiten durfte. Nach Zürich habe ich ein Vorspielen an der Oper Graz gemacht und bin dort zwei Jahre geblieben. Eine ganz glückliche Zeit mit einem tollen Team. Ich habe dort sehr viel gelernt und dafür bin ich sehr dankbar. Dann ergab sich die Möglichkeit, das Opernstudio OperAvenir in Basel zu leiten. Diese Chance habe ich mit großer Freude angenommen.

  • OM: Was gefällt Ihnen am Theater Basel besonders?

HV: Die Philosophie des Hauses kommt mir entgegen, denn ich bin von Natur aus neugierig und stets offen für Neues. Gerade weil die jungen Talente aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Mentalitäten und Bräuchen kommen, lerne ich durch sie andere Aspekte kennen, was für mich eine Bereicherung darstellt. Das Theater Basel ist ein sehr gutes Haus und ich freue mich wieder in der Schweiz zu wohnen. Basel mit seiner Lage am Dreiländereck ist eine sehr dynamische und lebendige Stadt, mit einer tollen Mischung von verschiedenen Kulturen. Das besondere am Theater Basel ist, dass wir 5 Sänger/innen im Studio haben und diese stets in laufenden Produktionen einsetzen. Das sind für sie guten Chancen und etwas, das bei anderen Studios nicht zur Norm gehört. So erhalten sie die Möglichkeit, an Ihrer Bühnenerfahrung zu arbeiten und obendrein sogar große Rollen zu gestalten. In dieser Spielzeit singen zwei der Mitglieder sogar Hauptrollen in der Zauberflöte als Tamino und Pamina. Das ist für sie eine tolle Herausforderung und für das Haus eine gute Gelegenheit, den Nachwuchs präsentieren zu können.

  • OM: Die Arbeit mit jungen Sängern ist eine spezielle Herausforderung und das Zusammenbringen von Erwartungen und Realität wohl nicht immer einfach. Wie gehen Sie mit diesen Tatsachen um?

HV: Jedes Mitglied des Opernstudios hat seine eigene Geschichte und bringt teilweise schon Erfahrungen mit. Alle haben Ihre Erwartungen und wollen viel erreichen. Doch in unserem Metier ist nichts garantiert.  Wir versuchen jeden und jede zu unterstützen, damit sie später gerne an Ihre Zeit in Basel zurückdenken, wo sie einst ihre Karriere begonnen hatten. Man spürt bei allen Mitgliedern, dass sie arbeiten, singen und natürlich auftreten wollen und bereit sind, sich dafür voll einzubringen. In einer schwierigen Zeit wie dieser, wo viele Künstler keine Arbeit haben, ist es besonders wichtig Gelegenheiten für Auftritte zu nutzen.

Die jungen Sänger sollten viele Möglichkeiten haben, ihr Können zu beweisen und gesehen zu werden. Allerdings ist dabei ein wichtiger Punkt zu beachten: man muss die jungen ambitionierten Sänger führen und darauf achten, dass sie sich nicht zu früh an Aufgaben wagen, denen sie noch nicht gewachsen sind. Keine Sänger/in singt mit 25 gleich wie mit 40 Jahren und oft ist es besser, einem verlockenden Angebot zu widerstehen und auf die richtige Zeit zu warten. Es ist unsere Aufgabe, den Sängern zu vermitteln, wie wichtig es ist, immer mit Gefühl und Sicherheit zu singen und sich selber vor Überforderungen zu schützen. Nur so kann man viel leisten und eine solide Karriere aufbauen. Man soll natürlich planen, was man in 5 oder 10 Jahren gerne machen würde und darauf hinarbeiten, sollte aber dabei auch berücksichtigen, dass man gegebenenfalls bereit sein müsste umzudenken und neue Zielsetzungen zu entwickeln.

Wir machen hier in Basel zum Beispiel, ein ganz spezielles Projekt mit Gianni Schicci von Puccini, wo wir dieses Werk in privaten Häusern und Wohnungen aufführen wollen. Andrew Murphy, der in dieser Produktion die Rolle des Gianni singt, hat vor etwa 20 Jahren auch als Betto in dieser Oper mitgewirkt. Unser Bariton Kyu Choi zum Beispiel singt die Rolle des Marco und hofft natürlich, in 20 Jahren dann auch den Gianni Schicchi zu singen.  Genau so muss es laufen. Es braucht einfach viel Geduld, Weitsicht und harte Arbeit. 

  • OM: Wie oft wird diese Produktion gezeigt und was ist das besondere daran?

HV: Gianni Schicchi ist unsere OperAvenir Produktion dieser Spielzeit. Diese ca. 10 Vorstellungen werden wir an verschiedenen Orten aufführen. Bei einem solchen Projekt sind natürlich Improvisation und Flexibilität Voraussetzung. Das wird eine gute Übung für unsere Sänger sein, weil auch im normalen Repertoirebetrieb eines Theaters kann jederzeit jemand erkranken und dann muss ein Sänger zuweilen innert weniger Stunden bereit sein, sich in eine fremde Regie zu integrieren. Das ist spannend, aber auch eine enorm große Herausforderung. Die Musik bleibt zwar die gleiche, aber man muss sich dann ganz schnell mit der Regie und dem Bühnenbild adaptieren. Doch gerade auf diesem Wege hat sich schon vielen Bühnenkünstlern die Türe zu einer Karriere aufgetan.

Alle unsere Sänger/innen werden auch in den verschiedenen geplanten Werken dieser Spielzeitauftreten und können sich bei bis zu 6 Wochen Probenzeit auf die Aufführungen vorbereiten. Man muss lernen, mit Proben und spontanem Einspringen umgehen zu können. Dafür sind auch kleine Konzerte in einem Foyer, oder auf einer kleinen Bühne geeignet.

  • OM: Was für Voraussetzungen müssen die Bewerber mitbringen um in die engere Wahl zu kommen.

HV: Es können sich Sänger/innen bis zum 30. Lebensjahr bewerben. Allerdings wird erwartet, dass jemand eine gute Ausbildung genossen hat und bereits etwas Erfahrung mitbringt. Das heisst nicht unbedingt, dass jemand von einer renommierten Schule kommen muss. Es wird auch auf die Persönlichkeit und auf ein sicheres Auftreten geachtet. Es kann vorkommen, dass ein Bewerber über ein großes Stimmpotential verfügt, aber noch wenig Erfahrung mitbringt. Gefordert ist ein guter Mix an Ausbildung, Persönlichkeit und Ausstrahlung und vor allem der erkennbare Wille, Neues zu lernen und in einem Team zu arbeiten. Eine weitere Voraussetzung ist der Spielplan der kommenden Monate und Saisons. Man muss versuchen, jedem Sänger möglichst viele Auftritte zu ermöglichen. 

  • OM: Es gilt doch auch, die noch nicht so stark entwickelten Begabungen eines Sänger/in früh zu entdecken und zu fördern. Auf was achten Sie besonders am Anfang eines Studienjahres?

HV: Zuerst schaffen wir ein Team von Sängern für das Opernstudio OperAvenir, welche unsere Voraussetzungen erfüllen. Damit haben sie die erste Hürde genommen. Das wichtigste ist jedoch ihr Bewusstsein, dass man jeden Tag etwas Neues lernen muss. Dies gilt für die jungen Sänger genauso wie für alle etablierten und älteren Gesangskünstler. Dann prüft man bereits vorhandene Begabungen, seien es Koloraturen, oder ein großer Stimmumfang und Dinge, die noch gefördert werden müssen. Diese Ziele sind natürlich sehr individuell. Wir fördern die Persönlichkeit und schauen, dass wir viel voneinander lernen können. So entsteht ein guter Teamgeist. 

v.l.n.r.:Alex Banfield, Kali Hardwick, Stefanie Knorr, Paull-Anthony Keightley, Kyu Choi u. Hélio Vida. (Foto @ Christian Knörr)

Man darf auch nicht vergessen, dass alle Teilnehmer hier in Basel neu sind und sich noch nicht auskennen und auch noch über keinen Freundeskreis verfügen. Das verbindet die jungen Sänger natürlich auch privat. Wichtig ist die Tatsache, dass es intern bei  OperAvenir keinen Wettbewerb gibt, wer der oder die Beste ist, sondern dass jeder sein bestes zeigen kann. Wir verlangen sehr viel, geben aber auch alles, um die vorhandenen Fähigkeiten der einzelnen Sänger/innen optimal zu fördern. 

 

  • OM: Die Absolventen erhalten ja auch immer Gelegenheit, in teilweise öffentlichen Meisterklassen von den großen Erfahrungen berühmter Sänger/innen zu lernen.

HV: Einer der wichtigsten Punkte für die jungen Sänger bei solchen Begegnungen ist zu erfahren, dass man bei sorgsamem Umgang mit der Stimme und diszipliniertem Üben sehr lange Singen kann und dass man sich, wie bereits vorher erwähnt, darauf konzentrieren muss, die richtigen Rollen zur richtigen Zeit zu erarbeiten. Gerade die jungen Sänger sind oft verlockenden Angeboten ausgesetzt. Man muss lernen sich selber zu kennen und Grenzen zu ziehen. Wenn man dann Gelegenheit erhält, mit arrivierten Sängern mit beeindruckenden Karrieren, in Kontakt zu kommen, wird einem bewusst, wie viel Arbeit es erfordert, um ein hohes Ziel zu erreichen. Bei solchen Gelegenheiten können die Teilnehmer an Meisterklassen auch wertvolle Tipps erhalten, wie man sich je nach Haus oder Land am besten bewirbt und an wenn man sich wenden sollte.

  • OM: Wie oft treffen Sie sich und üben Sie zusammen und wie oft geben Sie Einzelunterricht?

HV: Normalerweise täglich, aber es kommt jeweils auf die Probenpläne an. Natürlich wird auf die Vorbereitungen für eine Bühnenproduktion Rücksicht genommen. Nach 6 Stunden Probe muss man nicht noch stundenlang üben. Allerdings gibt es auch viele Stellproben, wo die Sänger zwar dabei sind, aber nicht groß singen müssen. Anschließend gibt es jeweils noch Unterricht. 

Die Einsatzpläne erstelle ich selbst. Ich teile ein, was Priorität hat und für was wir uns mehr Zeit nehmen können. Wir sehen uns täglich und die Sänger/innen arbeiten auch nach Bedarf mit den anderen Pianisten des Hauses. In der kommenden Produktion «Die Zauberflöte» sind alle unsere Sänger involviert, was gerade am Anfang einer neuen Klasse sehr teambildend ist. Die Sänger arbeiten mit ihren natürlichen Ressourcen, welche täglich gepflegt werden müssen. Auch wenn die Sänger als Cover eingesetzt sind, müssen sie die Partien ganz vorbereiten haben. Es kann ja vorkommen, dass sie ganz kurzfristig einspringen müssen. Dann muss bei ihnen innert Stunden alles abrufbereit sein.

  • OM: Gerade in den für die Kulturschaffenden unglaublich schwierigen Zeiten, bedarf es besonderer Fürsorge für junge Talente. Wie können Sie als Opernstudio hier mithelfen?

HV: Motivation ist das wichtigste. Auch in «normalen» Zeiten muss man flexibel sein. Und in dieser Zeit ist doppelte Flexibilität erforderlich. Wir haben zurzeit ein gutes Konzept im Haus, um jeden zu schützen, damit wir unsere Arbeit weiterführen können und den Spielplan bestmöglichst umzusetzen. Wir sind am Theater Basel sehr unterstützt und jeder gibt sich dafür viel Mühe.  Wenn man fühlt, dass das Theater alles tun will, um einem zu helfen, ist dies eine große Hilfe und genau so groß ist auch unser Dank. Eine Sicherheit für unsere Sänger ist, dass sie ja nicht reisen müssen. Sie sind hier beschäftigt und werden hier bezahlt. Hingegen für freischaffende Künstler, welche verhindert sind zu reisen, oder wenn Bühnen geschlossen sind, ist diese Situation zurzeit wirklich kompliziert.

  • OM: Sicher erleben Sie auch ganz unterhaltsame Episoden. Können Sie uns verraten, was Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

HV: Einmal habe ich eine Sängerin begleitet und dann sind die Noten weggeflogen und ich habe einfach weitergespielt. Die Notenumblätterin half beim Aufheben, aber dann lagen die Noten unglücklicherweise verkehrt herum vor mir. Zum Glück konnte ich die Stücke auswendig. So lies sich die peinliche Situation überbrücken. Die Sängerin hat einfach weitergesungen, als ob nichts gewesen wäre. 

  • OM: Besten Dank für dieses Gespräch.

 

Wir werden im Laufe der Saison gerne über die Aktivitäten des Opernstudios OperAvenir berichten und die jungen Sänger auch porträtieren.

In dieser Saison sind folgende Sänger im OperAvenir-Opernstudio:

Kali Hardwick, Sopran – Stefanie Knorr, Sopran – Alex Banfield, Tenor – Kyu Choi, Bariton – Paull-Anthony Keightley, Bassbariton

Nächste Konzerte finden am 10.10 im Schauspielhaus Basel und die Meisterklasse mit  Dorothea Röschmann am 24/25.11. statt.

www.theater-basel.ch

Gerade ist auch die erste CD mit Hélio Vida erschienen. Zusammen mit dem Ensemble Stanislas, interpretieren sie in diesem Live aufgenommen Konzert, die Klavierquartette in c-moll von Brahms und Fauré.

Label: forgottenrecords.com

 

 

 

  • Interview von Marco Stücklin für Red. DAS OPERNMAGAZIN-CH
  • Opernstudio Operavenir
  • Titelfoto: Hélio Vida / Foto @ Christian Knörr
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