Gärtnerplatztheater: „Die Großherzogin von Gerolstein“ – Zu viel des Guten

Gärtnerplatztheater/GROSSHERZOGIN VON GEROLSTEIN/Foto © Jean-Marc Turmes

Eine Großherzogin, deren Hofschranzen auf jeden Fall verhindern wollen, dass sie Politik betreibt, befördert einen einfachen Soldaten zum General – weil er ihr gefällt und sie ihm deshalb Einfluss geben will. Als er dann doch eine andere heiratet, will sie ihn am liebsten direkt ermorden. Jacques Offenbachs Opéra bouffe Die Großherzogin von Gerolstein ist eine Satire auf Militarismus, Kleinstaaterei und Günstlingswesen. In der Neuinszenierung am Staatstheater am Gärtnerplatz jagt eine Shownummer die nächste, an Überraschungseffekten und Running Gags wird nicht gespart. Lustig ist das schon – doch was untergeht, ist einerseits der intelligente Witz des Werks, andererseits das hervorragende Ensemble. (Rezension der Vorstellung v. 23.01.2023)

 

 

Gänzlich neu freilich ist Josef E. Köpplingers Inszenierung von Jacques Offenbachs Opéra bouffe Die Großherzogin von Gerolstein nicht. Schon im März 2020, kurz vor dem ersten Corona-Lockdown, feierte der Abend an der Semperoper Dresden Premiere. In München zeigt Köpplinger, auch Intendant des Gärtnerplatztheaters, nun keine plumpe Neueinstudierung und -besetzung, sondern versieht seine Dresdner Inszenierung mit einem Twist: Die titelgebende Partie der Großherzogin, in Dresden noch gesungen von Sopranistin Anne Schwanewilms, übernimmt in München der Tenor Juan Carlos Falcón. Diese Umbesetzung – selbstverständlich eine Anspielung auf die verschiedenen Bedeutungen des Wortes „Travestie“ als Schwesterngattung der Parodie einerseits und als Crossdressing andererseits – klappt zumindest darstellerisch ganz gut. Falcón mimt die Großherzogin mit sichtbarer Freude am Spiel und ohne seine Hosenrolle ins Lächerliche zu ziehen. Die Absurdität der Figur rührt vom Charakter der Großherzogin, nicht vom Geschlecht des Darstellers. Überhaupt ist sehr erfrischend, mit welcher Selbstverständlichkeit in der Inszenierung, abgesehen von der Anrede mit „Eure Geschlechtigkeit“, mit Falcón als Großherzogin umgegangen wird. Nie wird man mit der Nase darauf gestoßen, dass da gerade ein Mann eine Frau spielt – gerade in der Operette des 19. Jahrhunderts kennt man dieses Phänomen ja eigentlich eher andersherum. Eigentlich ist es nur der Name auf dem Besetzungszettel und die vom Kostüm Alfred Mayerhofers nicht in weibliche Formen gepresste Silhouette Falcóns, die zeigen, dass da eben kein sehr tiefer Alt auf der Bühne steht, sondern ein Tenor. Es ist auch keine Tragödie, dass Falcón natürlich keine Spitzentöne wie eine Sopranistin abliefern kann. In den Ensemblenummern kommen diese dann eben von Julia Sturzlbaum, die, stimmlich in Höchstform, eigentlich die Wanda singt – die eigentliche Geliebte des Soldaten Fritz‘, an dem im ersten Akt der Operette auch die Großherzogin Interesse entwickelt. Der stimmliche Kontrast zwischen der Großherzogin und der Gänsemagd Wanda sorgt ganz nebenbei schon im ersten Akt für einen großartigen Moment, als Wanda im Streit um Fritz durch einen lauteren und vor allem deutlich höheren Ton die Herzogin in ihre Schranken weist und von Anfang an klar macht, wem denn der neu beförderte Rittmeister, Verzeihung, Oberst, Verzeihung, General gebührt.

Gärtnerplatztheater/GROSSHERZOGIN VON GEROLSTEIN/Foto © Jean-Marc Turmes

Schon im Regimentslied, der Auftrittsarie der Großherzogin, werden allerdings die musikalischen Grenzen der unkonventionellen Besetzung der Titelrolle offenkundig: Juan Carlos Falcón ist der Partie an sich zwar absolut gewachsen, die Koloraturen gehen ihm locker von der Stimme. Sie sind aber leider nicht für das ganze Publikum gut hörbar. Denn gerade in den Arien der Großherzogin baut Offenbachs Partitur dann eben doch darauf, dass eine Sopranistin schon allein aufgrund ihrer hohen Lage über das Orchester gehört wird und ist für einen Tenor demensprechend kaum durchlässig. (Der Münchner MERKUR berichtet in diesem Zusammenhang von den Folgen einer Indisposition Falcóns. Anm. d. Red.) Es hilft auch nicht, dass Dirigent Michael Balke das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz recht kräftig und mit wenig Rücksicht auf die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne dirigiert. So ist Falcón bei weitem nicht der Einzige, der im Laufe des Aufführung Probleme hat, über den Orchestergraben hinweg zu singen. Auch Daniel Prohaska als Prinz Paul, eigentlich ein hervorragender Tenor, ist nicht immer hörbar – sehr schade, denn einzelne Stichworte wie „Bildzeitung“ oder „Klimawandel“, die man dann doch irgendwie verstehen kann, lassen eine treffend aktualisierte Textfassung von Pauls erster großer Arie vermuten. Nur Ivan Matteo Rašik als Fritz und Alexander Grassauer als wunderbar selbstherrlicher General Bumm haben an keiner Stelle Probleme mit Lautstärke und Textverständlichkeit.

Durch diese Lautstärkekonflikte, die sich aber möglicherweise im Laufe der nächsten Vorstellungen und der damit einhergehenden, wachsenden Eingespieltheit von Dirigent und Orchester noch auflösen werden, gehen der Humor und die Feinheiten des Texts – ins Deutsche übersetzt von Ernst Poettgen, eingerichtet von Regisseur Köpplinger selbst und mit Zusatztexten versehen von Thomas Pigor – bedauerlicherweise verloren. Und auch im szenischen Geschehen auf der Bühne sucht man nach inhaltlicher Tiefe vergeblich. Dabei beginnt die Inszenierung recht vielversprechend mit einem Video, in dem das Großherzogtum Gerolstein in all seiner nicht vorhandenen Größe präsentiert wird. Der Kleinststaat ist nahezu quadratisch, erfährt man, mit einer Länge und Breite von rund 1,8 Kilometern, und hat genau 248 Einwohner. Diese Zahl wird dann innerhalb einer Sekunde nach unten korrigiert, auf 247, weil wohl einer der Einwohner verstorben ist. Soweit die Parodie deutscher Kleinstaaterei im 18. und 19. Jahrhundert. Weiterhin, so wird im Video ausführlich erläutert, habe Gerolstein ein stehendes Heer von 13 Soldaten, in Krisenzeiten könne das Militär aber auf insgesamt 33 Soldaten erweitert werden. Das sind alles sehr hübsche Zahlen, nur leider sind dann weder 13 noch 33 Soldaten tatsächlich auf der Bühne zu sehen, sondern eher um die 20.

Wer mit Offenbachs Werk vertraut ist, könnte nun freilich argumentieren, dass sich Gerolstein ja eigentlich immer im Krieg befindet, demnach also natürlich mehr als 13 Soldaten im Dienst sind, die aber nicht alle 33 Zeit haben, um dem Auftritt der Großherzogin beizuwohnen. Aber bei Köpplinger gibt es keinen Krieg. Gerolstein, das ist im Programmheft zur Inszenierung nachzulesen, ist in seiner Interpretation strategisch nicht wichtig genug, um jemals gegen irgendjemanden Krieg zu führen. Konflikte werden der Großherzogin nur vorgespielt. Auch, damit sie sich nicht langweilt und in die Politik einmischt, vor allem aber, damit sie „ihrer Leidenschaft für attraktive Soldaten nachgehen kann“. Und Soldaten gibt es ja viele. Und wie viele es genau sind, das ist am Ende wahrscheinlich gar nicht so wichtig. Ein Teil von ihnen singt jedenfalls im Chor, acht sind Tänzer, die den ganzen Abend in Choreographien von Adam Cooper die Handlung bereichern. Zum Beispiel ziehen sie tanzenderweise mit General Fritz in den Krieg und steuern zur Hochzeitsfeier den Galopp bei – und das machen sie ganz hervorragend. Ein Soldat wird noch dazu in der ersten Szene von General Bumm dazu verdonnert, ein rosa Ballettröckchen zu tragen und so zur unfreiwilligen Primaballerina, die er auch das ganze Stück bleibt. Dieser Witz funktioniert immer, den ganzen Abend lang lacht das Publikum. Auch die Zitate aus anderen musikalischen Werken – der Zauberflöte, Schwanensee und der Barcarole aus Offenbachs Les Contes d’Hoffmann, im Orchestergraben wunderschön gespielt von einer Sologeige – fügen sich fantastisch in die Inszenierung ein.

Gärtnerplatztheater/GROSSHERZOGIN VON GEROLSTEIN/Foto © Jean-Marc Turmes

Darüber hinaus wirkt das Geschehen auf der Bühne im besten Fall rasant, im schlimmsten Fall unübersichtlich. Ein Überraschungseffekt, eine Shownummer jagt die nächste. Da ist die gigantische dreistöckige Geburtstagstorte, die einmal von rechts nach links über die Szene rauscht, die Großherzogin, die – genau wie später der Degen von Papa – in einem goldenen Bilderrahmen von der Decke herab auf die Bühne schwebt. Später taucht sie dann im funkelnden Badeanzug in Fritz‘ Badewanne auf – ungeachtet der Situation und des übrigen Outfits übrigens in oberschenkelhohen Lederstiefeln, weil irgendwo muss dann doch noch eine Anspielung auf die Kostüme mancher Dragqueen gemacht werden, Kostümdesigner Alfred Mayerhofer sei es vergönnt. Überhaupt: Mayerhofers bunte, von verschieden Epochen inspirierte, schillernde Kostüme passen gut zu dem aus lauter bunten Ideen bestehenden Regiekonzept Köpplingers. Johannes Leiackers Bühnenbild wirkt dagegen fast zu gelehrt. Das Kernelement der Inszenierung sind Bilderrahmen, dazu kommen im Hintergrund große, von Kanonenschüssen durchlöcherte Gemälde. Der Kontrast zwischen dem chaotischen Bühnengeschehen und dem ernsten Bühnenbild ist natürlich spannend, zeigt schön die albernen Zustände vor einer ernsthaften Fassade, die bei Offenbach ja parodiert werden – doch man kommt einfach nicht dazu, zu viel darüber nachzudenken. Die nächste Shownummer wartet, oder der nächste Running Gag.

So gibt es im Stück einen Fotografen, der alle paar Nummern lautstark verlangt ein Foto zu machen und auf diese Weise die Handlung unterbricht. Einen größeren dramaturgischen Sinn bekommt er nie, höchstens kann man in der Millisekunde, in der alle fürs Foto stillstehen, bewundern, wie die Figuren für einen Augenblick so tun, als gäbe es keinerlei Reibereien zwischen ihnen. Dazu kommt dann noch eine Gruppe Touristen, die samt Fremdenführerin, gespielt von Ulrike Dostal, immer wieder auf der Szene erscheint. Mal kommt die Gruppe von der Seite auf die Bühne, mal aus dem Zuschauerraum, mal stehen sie in den Logen. Am Anfang sorgt es durchaus für Lacher, wenn auf einmal eine Handvoll Reisender mitten auf der Bühne steht und von der Fremdenführerin die Sehenswürdigkeiten Gerolsteins erläutert bekommt – auf Deutsch, auf Englisch und auf Französisch, wobei die Dame aber keine der beiden letzteren Sprachen wirklich beherrscht. Doch je öfter die Touristen auftauchen und je öfter der Witz der nur bedingt fremdsprachenkundigen Fremdenführerin wiederholt wird, desto weniger zieht er. Sei es, weil man ihn dann irgendwann doch zu oft gehört hat, oder weil zu wenig Zuschauer tatsächlich des Chinesischen mächtig sind und beurteilen können, ob diese Sprache genauso schlecht gesprochen wird wie das Englische und Französische beim ersten Auftritt der Fremdenführerin. Schade ist auch, dass man sich als Zuschauer gelegentlich etwas ausgeschlossen fühlt. Obwohl die Touristen vor Vorstellungsbeginn sogar im Zuschauerraum unterwegs sind und teilweise von dort aus auf die Bühne gehen, entsteht durch sie eine gewisse Distanz zwischen Publikum und Bühnengeschehen. Die Darsteller auf der Bühne agieren stellenweise nämlich nur für die Touristen, während das eigentliche Publikum außen vor bleibt.

Immerhin, die von der Statisterie des Gärtnerplatztheaters dargestellten Touristen tragen tatsächlich maßgeblich zur Handlung von Köpplingers Inszenierung bei. Dass Gerolstein keine Feinde hat, wurde ja bereits erwähnt. Nun hat der neu ernannte General Fritz aber einen Krieg zu gewinnen und mangels eines fremden Heeres befielt er seinen Soldaten kurzerhand, dann eben die Touristen gefangen zu nehmen. Den Hofschranzen der Großherzogin bereitet dieser Umstand Kopfzerbrechen, denn Haupteinnahmequelle des kleinen, aber malerischen Gerolsteins ist der Tourismus. Und der wird natürlich nicht gerade mehr, wenn in Gerolstein Reisende einfach so inhaftiert werden. Das ist einer der Gründe, warum sie Fritz dann am Ende aus dem Weg schaffen wollen. Es ist ein interessantes Thema, das Köpplinger da anschneidet, und eine der wenigen Gelegenheiten, wo eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den politischen Themen von Offenbachs Satire deutlich wird. Denn während die drei Hofschranzen – General Bumm, Baron Puck und Erusine von Nepomukka bei Offenbach vor allem um ihre eigene Macht besorgt sind, sorgen die drei sich hier auch um das Schicksal des Großherzogtums, das durch die eigenständig betriebene Politik der Großherzogin, also der Beförderung Fritz‘ und des Bestehens auf einem Krieg, tatsächlich gefährdet wird. Im Originallibretto ist Gerolstein ja sowieso immer in irgendwelche Kriege mit anderen Kleinstaaten verwickelt, sodass sich außenpolitisch durch Fritz‘ Feldzug nicht viel ändert. Der Fokus bleibt so auf dem Innenleben des Staates, wodurch irgendwie auch noch einmal dessen fehlende Bedeutung nach außen betont wird.

Gärtnerplatztheater/GROSSHERZOGIN VON GEROLSTEIN/Foto © Jean-Marc Turmes

Dieser „Krieg“, diese Argumentation, bei Köpplinger sind nachdenklich machende Momente, das auf jeden Fall. Doch bei diesen Momenten bleibt es dann auch. In Köpplingers Inszenierung geht es eben vor allem um eines: Um Show. Das ist in einer Operette, oder Opéra bouffe, wie Offenbach Die Großherzogin von Gerolstein bezeichnet, per se kein schlechter Ansatz – auch wenn es sich bei besagtem Werk um politische Satire handelt. Leider bleibt für die Charaktere und die großartigen Darsteller zwischen all den Effekten denkbar wenig Platz. Wirklich in Erinnerung bleibt am Ende nur Prinz Paul, den Daniel Prohaska tatsächlich weniger stereotyp schwul als kindlich-liebenswürdig und irgendwie sympathisch, wenn auch unfassbar naiv, spielt. Alfred Mayerhofer steckt ihn dann auch noch in einen knallrosa Anzug samt Froschkönig-Krönchen. Insgesamt fast ein Musterbeispiel von Personenzeichnung. Das Paar Fritz und Wanda bleibt dagegen etwas blass, was nicht an den großartigen Darstellern liegt. Beide singen nicht nur fantastisch, sondern sind auch tolle Schauspieler, wie sie etwa in der Schlafzimmerszene des dritten Akts zeigen. Im Großen und Ganzen bekommen sie aber schlichtweg zu wenig Gelegenheit, mehr als nur passiv auf der Bühne zu sein. Sigrid Hauser ist eine beeindruckende Erusine von Nepomukka, die nicht nur niemals das Passwort für den gesperrten Bereich um den Thron der Großherzogin sagen muss (sie kommt auch so durch), sondern auch direkt Gunnar Frietschs Baron Puck als Beamtenparodie vorstellt. Er macht dann ganz konsequent die Merkel-Raute. Zusammen mit Alexander Grassauer als General Bumm werden die drei Hofschranzen so am Anfang als Typen vorgestellt, bekommen danach aber keine Gelegenheit mehr, weiter mit ihren Figuren zu arbeiten. Auch der Erzieher Pauls, Baron Grog, gespielt von Alexander Franzen, ist eher anwesend als präsent. Wie auch bei den drei Hofschranzen liegt das aber auf gar keinen Fall daran, dass in der Besetzung in irgendeiner Form schwache Darsteller zu erleben sind. Das Ensemble ist großartig, alle konnten die Darsteller in anderen Produktionen schon überzeugen. Dass sie an diesem Abend untergehen liegt daran, dass immer direkt der nächste Effekt kommt – eine Hochzeitstorte, ein Fotograf, oder die Touristengruppe.

Es ist nicht so, dass Effekte an sich unwillkommen wären, nicht in einer Operette. Und große Teile der Inszenierung machen riesigen Spaß, wie etwa die Touristen bei ihren ersten Auftritt, General Bumms große Musiknummer, oder den ganzen Abend über die tanzenden Soldaten. Am Ende hätte es Köpplingers Inszenierung wahrscheinlich aber dennoch gutgetan, auf einen Running Gag und ein paar der Überraschungen zu verzichten, um dem Ensemble den Raum zu geben, den es verdient – und um dem Publikum eine Verschnaufpause zu gönnen. Denn auch wenn alle Ideen an und für sich recht lustig sind, und auch zusammenpassen: Vor allem weil die erste Hälfte des Abends so viel länger ist als die zweite, hat man schon in der Pause das Gefühl: Das ist zu viel des Guten.

 

  • Rezension von Adele Bernhard / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Gärtnerplatztheater / Stückeseite
  • Titelfoto: Gärtnerplatztheater/GROSSHERZOGIN VON GEROLSTEIN/Foto © Jean-Marc Turmes
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