Gipfel des Belcanto – Bellinis „Norma“ in der Kölner Philharmonie bejubelt

Blick in den Saal der Kölner Philharmonie / Foto © KölnMusik/Guido Erbring

Mit dem Szenenapplaus nach „Casta Diva“, der Cavatine der Norma, war klar, dass man eine Sternstunde des Belcanto erlebte. Der Dirigent Riccardo Minasi dirigierte mit dem in Hamburg beheimateten Ensemble Resonanz, dem WDR Rundfunkchor und einem erlesenen Solistenensemble eine ungemein stilsichere schlanke Version von Vincenzo Bellinis 1831 uraufgeführter Auftragskomposition für die Mailänder Scala. Die Kölner Philharmonie setzt mit dieser Produktion ihre Serie von Opern in der rekonstruierten Originalfassung fort. (Rezension der Aufführung v. 29.01.2023)

 

Bereits an der 2013 vorgelegten Einspielung der „Norma“ auf Originalinstrumenten mit Cecilia Bartoli als Norma unter der Leitung des Dirigenten Giovanni Antonini war Riccardo Minasi beteiligt. Sie basiert weitegehend auf der 2015 bei Bärenreiter erschienenen Rekonstruktion der Originalversion Bellinis von Riccardo Minasi und Maurizio Biondi. Für die vorgelegte Aufführung wurden weitere wiedergefundene Teile integriert.

„So anstrengend wie zehn Leonoren oder wie drei Brünhilden!“ So äußerte sich die Opernsängerin Lilli Lehmann (1848-1929) über die Ausnahme-Partie der Norma. Sie war als Soprano sfogato die letzte in der direkten Tradition des Belcanto stehende Norma mit einem ungewöhnlich großen Stimmumfang von einer profunden Tiefe, sicheren Höhen bis zum hohen Sopran und großer dramatischer Ausdruckskraft.

Die Oper spielt zur Zeit der römischen Besatzung Galliens durch Julius Cäsar, die durch Cäsars „De bello Gallico“ und später durch die Asterix-Hefte eine gewisse Berühmtheit erlangt hat. Norma und ihr Vater sind Druiden, Angehörige der gallischen Oberschicht, aber Norma kollaboriert mit den Besatzern.

In der Tat ist die Norma eine der komplexesten Heroinen der Opernliteratur, an die sich nur Ausnahmesängerinnen wie Maria Callas, Montserrat Caballé und Cecilia Bartoli gewagt haben. Als keusche Oberpriesterin der Gallier hat sie die Autorität, ihr Volk vom Aufstand gegen die römische Besatzung zurückzuhalten. „Casta Diva“ ist die Arie, die Frieden auf Erden erfleht und den Aufruhr im von den Römern besetzten Gallien beschwichtigen soll. In der folgenden Cabaletta gesteht sie ihre Liebe zu dem römischen Prokonsul Pollione, ein Verhältnis, dem zwei Kinder entstammen, das streng geheim bleiben muss und naturgemäß zu einem Interessenkonflikt führt. Normas Liebe zu Pollione ist stärker als die Loyalität zu ihrem Volk.

Pollione gesteht Flavio, dass er sich unsterblich in die junge Priesterin Adalgisa verliebt hat. Norma ist  Adalgisas Freundin und Vertraute, der diese ihre Liebe zu einem Römer offenbart. Mit der Entdeckung, dass beide Frauen denselben Mann lieben, endet der erste Akt, ein echter Cliffhanger, der keinen Chor braucht. Im zweiten Akt durchleben alle ein Wechselbad der Gefühle. Vor allem Norma, die aus Zorn über den untreuen Pollione ihre Kinder töten will, es dann aber doch nicht schafft, Adalgisa, die Pollione überreden will, zu Norma zurück zu kehren, Pollione, der an seiner Liebe zu Adalgisa festhält, das Volk und die Druiden, die ein Opfer fordern. Schließlich klagt Norma sich selbst an, vertraut ihre Kinder ihrem Vater Oroveso an und geht mit Pollione in den Tod auf dem Scheiterhaufen.

Riccardo Minasi/Foto ©Lucinda Marland/Drew Gardner

Schon 2009 wirkte Riccardo Minasi als Assistent von Thomas Hengelbrock bei der Einstudierung der Oper „Norma“ in Dortmund mit. Dabei sind ihm vermutlich einige Ungereimtheiten in der erst 1915 bei Ricordi erschienenen Partitur aufgefallen, die dadurch bedingt waren, dass man im 19. Jahrhundert die Adalgisa transponiert hatte und sie einem Mezzosopran anvertraute. Grund war, dass Bellini selbst die Auftrittsarie der Norma schon vor der Uraufführung von G-Dur nach F-Dur transponiert hat, weil das Giuditta Pastas Sopran eher entgegenkam. Da war Adalgisa mit der lyrischen Koloratursopranistin Giulia Grisi besetzt, und man meinte, später, die beiden Stimmen seien zu ähnlich.

Als Norma unserer Zeit feiert die Georgierin Salome Jicia als rising Star weltweit Triumphe. Sie verfügt als lyrisch-dramatischer Sopran über eine fundierte Tiefe und treffsichere Höhen und kommt der ursprünglichen Besetzung vermutlich sehr nahe. Ihre Stimme ist sehr homogen und koloraturstark, und sie drückte die enormen Gefühlsschwankungen der Titelheldin ergreifend aus.

Perfekt harmonierte dazu Carmela Remigios mädchenhafter lyrischer Koloratursopran in der Partie der Adalgisa. Die Ensembles der beiden Frauen waren Opernglück pur.

Kassenmagnet war Michael Spyres als Pollione, der den Prokonsul in Gallien demnächst auch in einer Aufführungsserie an der Metropolitan Opera in New York singen wird. Dort wird „Norma“ als große Oper mit der Sopranistin Sonya Yoncheva als Norma und der Mezzosopranistin Ekaterina Gubanova als Adalgisa gegeben, also in der „traditionellen“ Fassung. Spyres ist ein Weltstar mit einem ungeheuer flexiblen lyrischen Tenor, der auch Baritonpartien wie Rossinis Figaro und das französische Tenor-Fach bis zum hohen F beherrscht. Leider hat Pollione nicht so viel zu singen! Der Pole Krzysztof Baczyk verkörperte mit seinem opulenten Bass Normas Vater Oroveso, das Oberhaupt der Druiden, der von ihr den Aufruf zur Gegenwehr gegen die römische Besetzung erwartet. Julien Henric als Flavio und Anna-Maria Torkel als Clothilde komplettierten das hochkarätige Ensemble.

Für den WDR Rundfunkchor in der Einstudierung von Tilman Michael war es eine willkommene Gelegenheit, wieder italienische Opernchöre zu singen. Bellini hat mit „Norma“ eine Tragödie geschaffen, bei der sich nach lange vorbereiteter Steigerung auf den Höhepunkten der Klang ekstatisch entfaltet. Ganz zentral ist die Melodik, bei der breit angelegte Steigerungsverläufe und anspruchsvolle Koloraturen und Verzierungen den Hörer für sich einnehmen. Die Arien (zum Beispiel „Casta Diva“) werden immer wieder durch Choreinwürfe koloriert. Das Ensemble Resonanz, eigentlich ein Streicherensemble, aber mit Bläsern und Schlagzeug ergänzt, spielte eine sehr transparente, schlanke, dem schönen und ausdrucksstarken Gesang der Protagonisten dienende Begleitung.

Vergleicht man die von Minasi aufgeführte Fassung mit früheren Einspielungen, dann fällt auf, dass die Tempi deutlich straffer sind, die Dynamik kontrastreicher und die ursprünglichen Stimmfächer typgerechter. Die ergreifende Szene zum Beginn des zweiten Aktes, in der Norma davor steht, ihre Kinder zu töten und dann doch davon Abstand nimmt, ist typisch dafür, wie Bellini die persönliche Not seiner Protagonistin – zunächst Rachsucht, dann Mitleid – mit größter musikalischer Präzision und emotionalem Ausdruck darstellt.

Das der Tragödie zu Grunde liegende Thema der Auflehnung gegen eine Besatzungsmacht wies damals, im Italien 1831, wie heute, einen klaren Gegenwartsbezug auf. Im Hinblick darauf ist Normas tragisches Ende eine logische Konsequenz. Umso mehr beeindruckt Bellinis Reflektion ihrer Gefühle in virtuosen Arien und Ensembles.

Das Konzert wurde aufgezeichnet und wird am 19. Februar 2023 um 20.04 Uhr auf WDR 3 übertragen.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Kölner Philharmonie
  • Titelfoto: Riccardo Minasi/©Lucinda Marland/Drew Gardner

 

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