Einer gegen alle: Augustin Hadelich debütiert bei der NDR Radiophilharmonie

NDR Radiophilharmonie / Bild: Nikolaj Lund | NDR

Die Gesellschaft und ihre Geächteten, sind sie – auf ganz unterschiedliche Weise – das verbindende Element des zweiten Sinfoniekonzertes der NDR Radiophilharmonie. Während Augustin Hadelich sich mit dem Violinkonzert Nr. 1 von Dmitri Schostakowitsch Gehör verschafft, erklingt nach der Pause unter der Leitung von Robert Treviño Piotr Tschaikowskys eher selten gespielte Manfred-Sinfonie. (Besuchtes Konzert am 17. November 2023

 

Es ist dunkel geworden in Hannover an diesem Freitagabend Mitte November, spärlich beleuchtet sind die Gebäude auf dem Weg zum Funkhaus am Maschsee, der in ruhiger Stille im Mondlicht schimmert. Nicht nur jahreszeitentechnisch bedingt scheinen die Werke der beiden russischen Komponisten, die wie ein Spiegel das Verhältnis des Einzelnen zu den Anderen zu reflektieren scheinen, in die Zeit zu passen. Da ist der Künstler, der, gebrandmarkt von der politischen Führung, nicht Teil der musikalischen Gesellschaft sein darf auf der einen und der geächtete Außenseiter aus Lord Byrons berühmtem Versepos auf der anderen Seite.

Dmitri Schostakowitsch schrieb sein erstes Violinkonzert in den Jahren 1947 und 1948 just in jener Zeit, da die stalinistische Unterdrückung der Kultur einen ihrer traurigen Höhepunkte erreichte. Ende der Vierzigerjahre fasste das Zentralkomitee der KPdSU seinen berühmt-berüchtigten Beschluss gegen „Formalismus und Volksfremdheit“, auf dessen Liste sich neben Schostakowitsch auch Komponistenkollegen wie Prokofjew und Chatschaturjan wiederfanden. Erst sieben Jahre nach seiner Fertigstellung, nach dem Tod Josef Stalins, feierte das Violinkonzert seine Premiere und ist seitdem von den Konzertprogrammen kaum mehr wegzudenken. In der niedersächsischen Landeshauptstadt stellt sich Augustin Hadelich gemeinsam mit der NDR Radiophilharmonie der Herausforderung des äußerst komplexen Werkes, das den Solisten fast pausenlos fordert. So entwickelt sich das fast 40-minütige Werk zu einem wahren Parforceritt des Geigenvirtuosen, an dessen Ende er stürmischen Applaus ernten wird.

Robert Trevino © Christian Dirksens

Dunkel, schimmernd, bedrohlich: Von den ersten Momenten an entspinnt sich ein intensives Zusammenspiel zwischen dem Solisten und dem Orchester unter der Leitung von Robert Treviño. Während der Dirigent zu Beginn des ersten Satzes einen düster-gedämpften Klangteppich schafft, projiziert Hadelich eine sanfte Zögerlichkeit in sein Spiel, in der der Klang der Geige zwar immer wieder aufgleißt, manchmal fast zu schreien scheint, aber dennoch eine zurückhaltend-wehmütige Eleganz aufweist. Fast hat man in diesem Nachtgesang den Eindruck den einsamen Kampf des Individuums gegen die Masse zu hören.

Einen kontrastreichen Gegensatz dazu bildet das Scherzo. Der extreme Stimmungswechsel findet sich sogleich auch im Zusammenspiel von Orchester und Solisten wieder. War dieses im ersten Satz noch von offenem Abtasten geprägt, begeben sich Hadelich und die NDR Radiophilharmonie nun auf einen gemeinsamen grotesken Tanz, der seinen ersten Höhepunkt im von Schostakowitsch zitierten Schreckensthema aus der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ findet. Passend lässt Treviño in diesen Takten das Orchester aufleuchten, eine Herausforderung die der Solist sofort annimmt und die Intensität seines Spiels noch einmal erhöht. Förmlich scheint der Bogen über die Saiten seiner Guarneri zu fliegen.

Seinen Beginn des dritten Satzes gestaltet der Sologeiger hingegen fast flüsternd leise, ehe er sich fein steigert. Besonders berührt sein Zusammenspiel mit dem Solo-Fagott (José Silva). Dabei betont Hadelich die langgezogenen Linien. Voller sentimentaler Brillanz ist der Klang der Geige vor dem gedämpften-trauernden Spiel des Orchesters. Treviño lässt die Radiophilharmoniker des NDR klanglich immer weiter in den Hintergrund treten, ehe der Satz in der endlos erscheinenden Solo-Kadenz endet. Hier zeigt Hadelich seine ganze Virtuosität, die den Zuhörer:innen im Saal fast den Atmen stocken lässt. Kein Husten verirrt sich in diesen Momenten im Großen Sendesaal. Hadelich gestaltet sein Solo-Spiel als ständiges Pendel zwischen Resignation und Hoffnung, das die Zuhörer:innen innerlich bis zum Zerreißen mitfiebern lässt.

Augustin Hadelich © Suxiao Yang

Der attacca gespielte vierte Satz entwickelt sich schließlich zu einem wahren Wettlauf zwischen Hase und Igel. Grotesk schlagen Solist und Orchester haken, scheinen gegeneinander zu heizen, feuern sich auf diese Weise an. Dabei stellt Augustin Hadelich noch einmal seine große technische Finesse unter Beweis, die er mit großer Bühnenpräsenz und facettenreicher gestalterischer Bandbreite durch alle Emotionen kombiniert. Dafür wird er, nachdem der letzte Ton verklungen ist, vom sonst eher nordisch-zurückhaltenden Publikum frenetisch gefeiert. Als Zugabe spielt der Geiger den Wild Fiddler’s Rag von Howdy Forrester, der – trotz des großen Kontrastes – unerwartet gut zu Schostakowitsch passt.

Als zweites Werk des Abends steht anschließend die Manfred-Sinfonie von Tschaikowsky auf dem Programm. Im Schicksal des tragischen Protagonisten des Gedichtes von Lord Byron fand sich der russische Komponist nicht zuletzt selbst wieder, wie er in verschiedenen Briefen immer wieder betonte. Von Beginn an durchdringend und klangwarm gestalten Robert Treviño und die NDR Radiophilharmoniker die Programmsinfonie. Dabei legt der Dirigent großen Wert darauf, die erschütternden Trommelschläge zu Beginn deutlich hörbar zu machen, so das unausweichliche Schicksal anzukündigen. Zu schwelgerischen Streicherfarben gesellen sich anschließend gefühlvolle Soli von Horn (Ivo Dudler) und Bassklarinette (Jussef Eisa).

Immer wieder animiert Treviño das Orchester mit ausladenden Gesten, führt es zu anrührenden Höhepunkten, ehe er sich den pastoralen Elementen des Werkes widmet. Trotz aller Bemühungen von Dirigenten und Orchester, ganz so mitreißend und durchdringend emotional wie das Violinkonzert vor der Pause gelingt diese Manfred-Sinfonie jedoch nicht. Das Schostakowitsch-Concerto jedoch klingt noch lange nach, nicht nur beim Heimweg nach dem Konzert durch die hannoversche Herbstnacht.

 

  • Rezension von Svenja Koch / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • NDR Radiophilharmonie
  • Titelfoto: Augustin Hadelich © Suxiao Yang
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