Jakub Józef Orliński verzaubert die Kölner Philharmonie

Il Pomo d’Oro/Foto ©Giulia Fassina

Mit „Beyond“ präsentierte der 1990 in Warschau geborene Countertenor Jakub Józef Orliński mit dem Orchester Il Pomo D’oro am 21. November 2023 ein Konzerterlebnis der besonderen Art in der Kölner Philharmonie. Beim ersten Anschein war alles wie gewohnt, aber dann ging das Licht aus und man erlebte ein Feuerwerk an musikalisch ausgedrückten Gefühlen und szenischer Ideen. Erst nach zehn Arien, die ineinander übergingen, ging das Licht im Saal wieder an und nach drei Zugaben, die das Publikum zum Mitsingen brachten, endete das Konzert mit jubelndem Applaus und stehenden Ovationen.

 

Im Sommer 2017 wurde Jakub Józef Orliński  kurzfristig zu einem Freiluftkonzert beim France Musique beim Aix-en-Provence-Festival eingeladen, um nach der Premiere von Francesco Cavallis Oper Erisma, die am Vorabend stattfand, die Arie „Vedrò Con Mio Diletto“ aus Vivaldis Oper Giustino zu singen. Ihm wurde gesagt, dass es sich nur um eine Radioaufnahme handele und er sich in keiner besonderen Weise anziehen müsse. Es war Hochsommer und er trat in Hemd und Shorts auf, aber es war Publikum anwesend und es wurde gefilmt. Das Video dieses Auftritts traf einen Nerv und ging viral und wurde über 11 Millionen Mal im Internet angesehen. Damit erschloss er auch ein junges Publikum für die Barockoper. Orlińskis Stimme ist ein männlich wirkender Countertenor, genau genommen ein Altus, mit einem unglaublich großen Stimmumfang. Es verfügt über eine schwebende, wunderschöne Mittellage und engelhafte Spitzentöne. Das Timbre ist dunkel und samtig und in allen Lagen homogen und auch die tiefen Töne sind kräftig und tragfähig.

Diesmal überließ er nichts dem Zufall. Für sich und das Orchester Il Pomo d´Oro ließ er für sein Konzertprogramm „Beyond“ von seinem Freund, dem Modeschöpfer Chi Chi Ude wundervolle Kostüme schneidern. Er trug einen hellbeigen Maßanzug, ein schwarzes Hemd mit weiten plissierten Ärmeln und darüber einen wehenden schwarzen Mantel mit hellbeigen Applikationen. Alle Kostüme, auch die des Orchesters, hatten eine gezackte Applikation auf der linken Seite, die sich vom Sakko über die Hose fortsetzte bzw. über die ganze Länge des Kleids ging. Er hatte sein Musikstudium in Warschau mit Modeln verdient. Ab 2015 studierte er an der Juilliard School in New York und gewann den ersten Preis sowohl bei der Marcella Sembrich International Voice Competition 2015 als auch bei der Solo Competition 2016 der Oratorio Society of New York. Mittlerweile ist er in Opern von frühbarocken Meistern wie Cavalli, in Klassikern von Händel, aber auch in der zeitgenössischen Oper „Flight“ von Jonathan Dove und zu hören und zu sehen. In der Saison 2016/2017 sang er Händels Messiah in der Carnegie Hall und Werke von Vivaldi und Händel bei den Händel-Festspielen Karlsruhe. Mittlerweile tritt er weltweit an Spitzenhäusern auf. 2023 wurde er von Opus Klassik zum Sänger des Jahres ernannt.

Die Tonsprache der frühbarocken Meister von Claudio Monteverdi, Biagio Marinis, Giulio Caccini, Girolamo Frescobaldi, Barbara Strozzi und Giovanni Cesare Netti, um nur einige zu nennen, alle Vorläufer von Georg Friedrich Händel, der die Barockoper zur Perfektion entwickelte, ist eine einfache Musik des unmittelbaren Ausdrucks, die ganz im Dienst des Textes und seiner Ausdeutung steht. Die Gesänge sind einstimmig und werden von einem Generalbass begleitet, der sich auf die Melodietöne bezieht. Die Begleitung durch das Kammerorchester Il Pomo d´Oro glänzt auch durch die besonderen Möglichkeiten einzelner Instrumente, wie der Violine (Alfia Bakieva), der Harfe (Margherita Burattini), der Theorbe, Laute und Gitarre (Rodney Prada), der Zink und der Flöte (Pietro Modesti) als Unterstreichung und Begleitung des Gesangs.

In der mit fast zweitausend Menschen besetzten Philharmonie war das einzige Problem die Erkältungswelle, denn die vielen Huster störten die filigranen ätherischen Töne der frühbarocken Arien und Gesänge sehr.

Jakub Józef Orliński / Foto @ Kamil Szkopik

Das zehnköpfige Kammerorchester Il Pomo d´Oro spielte auf Originalklanginstrumenten mit Darmsaiten und ergänzte Orlińskis exquisiten Vortrag der hochemotionalen Arien und Kantaten, die ursprünglich für Kastraten geschrieben waren, hochgradig filigran. Es ging um das Leid eines abgewiesenen Liebenden, die Verehrung einer hohen Frau, das Glück der erfüllten Liebe, die Freude über eine Eroberung, die Fesseln, die Amor anlegt, Treueschwüre eines Hingerissenen und die Beständigkeit der Liebe. Orliński wirkte absolut authentisch und interpretierte die teilwiese sehr virtuosen Gesänge mit extremem Ausdruck. Gewagte Intervallsprünge und halsbrecherische Koloraturen sowie an- und abschwellende Töne gehörten zu den Gestaltungsmitteln. In der letzten Zugabe bewies er, dass er von Natur aus ein Bassbariton ist.

Als Ottone aus Monteverdis „Incoronazione di Poppea“ trat Orlinski mit wehendem schwarzem Mantel als barocker Opernheld auf, als verliebter junger Mann legte er den Mantel ab und stand im Anzug da, später nur in Hose und Hemd mit plissierten Ärmeln. Auch die Schuhe zog er aus, und plötzlich gab er eine Breakdance-Einlage zu den Klängen des Orchesters. Mit dem Mantel verkleidete er sich als alte Frau mit Hexenbuckel. In der letzten Zugabe „Lungi dai nostri cor“ von Sebastiano Moratelli (1690) animierte er die Zuschauer zum Mitsingen. Es war eine beglückende einzigartige Erfahrung.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMGAZIN
  • Kölner Philharmonie
  • Titelfoto: Jakub Józef Orlínski /Foto ©Jiyang Chen 

 

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