Mozarts »Mitridate, re di Ponto« an der Staatsoper Unter den Linden

Staatsoper Berlin/MITRIDATE/Foto @ Bernd Uhlig

Herrliche Inszenierung von »Mitridate, re di Ponto« an der Staatsoper Unter den Linden

»Mitridate, re di Ponto«, Opera seria in drei Akten, KV 87 (74a), erleidet ein ähnliches Schicksal wie Mozarts andere frühe Opern (also jene, die vor »Idomeneo, re di Creta«, KV 366, entstanden sind): Sie wird oft als Jugendwerk abgetan, das die späteren Leistungen des damals vierzehnjährigen Komponisten andeutet. Der musikalische und literarische Wert dieser Oper übertrifft den zufälligen Umstand, dass Mozart sie in seiner Jugend komponierte. Mozarts Musik charakterisiert die psychologische Tiefe der Charaktere und Situationen auf einer Ebene, die nur wenige andere Komponisten je erreichen, und das Libretto von Vittorio Amedeo Cigna-Santi nach Jean Racine ist erstklassig. Kurz gesagt, niemand sollte sich die Gelegenheit entgehenlassen, eine Aufführung von »Mitridate« in einem renommierten Opernhaus zu besuchen.(Besuchte Vorstellung am 22. November 2023)

 

Satoshi Miyagis Inszenierung, die ich am 22. November 2023 gesehen habe, betonte die Sinnlosigkeit, Konflikte durch Krieg zu lösen. Die prächtigen japanischen Kostüme und die mehreren Ebenen auf der Bühne implizierten Machtpositionen und Hierarchien sowie die Möglichkeit, dass sich diese sehr schnell ändern können (Bühnenbild: Junpei Kiz, Wanddesign: Eri Fukazawa, Kostüme: Kayo Takahashi Deschene). Gold, die vorherrschende Farbe, erleichterte den Blick auf die Einzelheiten und die für jede Figur gewählten Tiersymbole. Alle Figuren in der Oper sind von höchstem Stand (ein König, zwei Prinzen, zwei Prinzessinnen, ein römischer Tribun und der Statthalter von Ninfea). Die Inszenierung ist vergnüglich anzuschauen und vermittelt eine Botschaft, die das Ensemble am Ende des dritten Aktes unterminieren soll. Während die überlebenden Figuren nach dem Tod von Mitridate schwören, den Krieg gegen Rom, den Todfeind von Pontus, fortzusetzen, plädiert Miyagi für den Verzicht auf Rache.

Der Tenor Siyabonga Maqungo stellte Mitridate als einen König dar, der sein durch Rom unterdrücktes Land liebt. Seine hohe Tessitura druckt die innere Zerbrechlichkeit des Königs aus, die zu emotionaler Instabilität führt. Maqungos Vorteil in dieser Rolle ist, dass Guglielmo d’Ettore, der Tenor, für den Mozart schrieb, vermutlich eine hohe Stimme hatte. Maqungo beherrschte die Triller und Koloraturen, mit denen dunkler stimmende Tenöre oft zu kämpfen haben. Es war eine Freude, Mitridates wütende Arie am Ende des ersten Aktes („Quel ribelle e quell’ingrato“) als echten Racheaufruf eines Vaters gegen einen rebellischen Sohn zu hören und nicht als übertriebenen (und unabsichtlich komischen) Ausbruch, zu dem einige Tenöre sie umgestalten.

Staatsoper Berlin/MITRIDATE/Ana Maria Labin (Aspasia)/Foto: Bernd Uhlig

Die Sopranistin Ana Maria Labin war eine große Entdeckung des Abends und eine der besten Interpretinnen der Aspasia, Mitridates vorgesehener Braut, die ich je gehört habe. Obwohl die beiden Charaktere sehr unterschiedlich sind, ähnelt der Stimmtyp von Aspasia dem, der für die Königin der Nacht erforderlich ist. Labin meisterte die technischen Schwierigkeiten von Aspasia und drückte die emotionalen Kämpfe aus, die diese Figur durchlebt, wenn sie ihre Liebe zu Sifare unterdrückt und mit der Wut den unberechenbaren Mitridate umgeht. Labin hat gezeigt, dass Aspasia mehr ist als nur ein Opfer von Mitridate, sondern eine selbstbewusste und entschlossene junge Prinzessin, die Mut beweist, wenn sie sich und Sifare, den Mann, den sie liebt, verteidigt.

Die Sopranistin Elsa Dreisig wiederholte ihre Aufführung von Sifare, die sie 2021 mit demselben Orchester und Dirigenten aufgenommen hatte. Auf der Bühne ist Dreisig noch großartiger als auf der Aufnahme. Sifares Arie im zweiten Akt („Lungi da te, mio bene“) war besonders ergreifend, weil Dreisig die Traurigkeit eines jungen Mannes zum Ausdruck brachte, der zwischen seiner Liebe zu Aspasia und der Loyalität gegenüber seinem Vater hin- und hergerissen ist.

Der Countertenor Carlo Vistoli verkörperte einen Farnace, der seinen Vater durch die Freundschaft mit dem römischen Tribun Marzio verriet und für Rom, den Feind seines eigenen Landes, kämpfte. Von Farnaces trotziger Arie zu Beginn des zweiten Akts („Va, l’error mio palesa“), in der er Ismenes Liebe verschmäht, bis zu seiner Reue im dritten Akt („Già dagli occhi il velo è tolto“), als er beschließt, sich gegen Rom zu wenden und für seinen Vater zu kämpfen, stellte Vistoli die Komplexität dieses scheinbar unverschämten Charakters dar. Ismene wurde von der Sopranistin Caroline Jestaedt gesungen, die den Mut und die Entschlossenheit der griechischen Prinzessin ausdrückte, die von ihrem Verlobten Farnace verstoßen wurde. Besonders berührend war Ismenes Arie zu Beginn des dritten Akts („Tu sai per chi m’accese“), in der sie versucht, Mitridate zu besänftigen und ihn zu überreden, Aspasia zu verzeihen. Die kleine Rolle von Marzio, dem römischen Tribun, der Farnace zum Sturz seines eigenen Vaters manipuliert, wurde vom Tenor Sahy Ratia gesungen. Arbate, der Statthalter von Ninfea, wurde von der Mezzosopranistin Adriana Bignagni Lesca übernommen, die diese Figur als loyalen, weisen Staatsmann zeigte, der sein Land vor römischen Einfällen schützen will.

Staatsoper Berlin/MITRIDATE/ Hornist von Les Musiciens du Louvre, Tänzer:innen/Foto @ Bernd Uhlig

Im letzten Jahrzehnt hatte ich mehrfach das Vergnügen, den Dirigenten Marc Minkowski und sein Orchester Les Musiciens du Louvre zu erleben. Von einer unvergesslichen Inszenierung von »Lucio Silla« im Haus für Mozart während der Salzburger Festspiele in 2013 bis hin zu einer bewegenden halbszenischen Aufführung von »La clemenza di Tito« im Ständetheater in Prag in 2018 waren Minkowskis Interpretationen dieses Komponisten stets überaus einprägsam Ergebnisse. Minkowskis Dirigat von »Mitridate« lässt sich am besten als elektrisierend beschreiben. Trotz einiger Abkürzungen in den Rezitativen respektiert Minkowski Mozarts Partitur und nutzt sein historisches Instrumenten Ensemble, um alle Nuancen jeder Arie zu vermitteln, von Zärtlichkeit über Traurigkeit bis hin zu völliger Wut.

Ich bin sehr dankbar, dass die Staatsoper unter den Linden diese nachdenklich stimmende und überaus interessante Inszenierung eines Meisterwerks der Opera seria auf die Bühne gebracht hat. Die vorliegende Inszenierung zeigt, wie wirkungsvoll diese Oper auch im Kontext einer großen Spielstätte ist. Ich freue mich auf weitere Aufführungen von »Mitridate« und anderen frühen Mozart-Opern in naher Zukunft, hoffentlich unter anderem »Ascanio in Alba«. Besonderen Lob verdient auch das Programmheft, das das vollständige Libretto, Fotos der Inszenierung, Einzelheiten über Mozarts drei Reisen nach Italien und einen Aufsatz über die Komposition und die ersten Aufführungen des Werks enthält.

 

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