Das Haus war nahezu ausverkauft, am Ende gab es lebhaften Applaus, aber auch ein paar kräftige Buhs. Das ältere Ehepaar neben mir ergriff nach dem letzten Takt umgehend die Flucht. Nach der „Walküre“ und „Siegfried“ präsentierte der 79-jährige Peter Konwitschny, Altmeister des Regietheaters, das „Rheingold“ und konterkarierte, wie es seine Art ist, die Erwartungen des Publikums. Das von ihm gezeigte Weltbild ist tiefschwarz und erzeugte Endzeitstimmung. (Rezension der Premiere v. 9. Mai 2024)
Wie durch Fluch er mir geriet, verflucht sei dieser Ring!
Nach dem Bayreuther Ring von Boulez/Chereau, der auch für das Fernsehen aufgezeichnet wurde und als DVD verfügbar ist, hat sich eigentlich herumgesprochen, dass Wotan, Fricka und Freia für den dekadenten und blasierten Adel im 19. Jahrhundert stehen, dass Alberich das aufstrebende Bürgertum vertritt, das sich durch die Ausbeutung der Natur versündigt, und dass die Riesen den alten Mittelstand unter anderem des Bauhandwerks repräsentieren. Die Handlung vor der Entstehungszeit spielen zu lassen, verbietet sich also eigentlich von selbst.
Genau das aber macht Peter Konwitschny, wobei er von der Steinzeit bis zur Moderne springt und den Steinzeit-Wotan mit einem smarten Konzernchef Alberich vor einer Wolkenkratzer-Skyline agieren lässt. Der Auftakt im tiefen Es-Dur mit Alberichs Szene mit den Rheintöchtern auf dem Grund des Rheins war mit Hilfe einer Leiter sehr elegant, fast schon minimalistisch, gelöst. Man fragte sich nur, warum die Damen im Wasser Pelz tragen. An zwei Drahtseilen wurde Alberich mitsamt dem Rheingold, einem goldgewirkten Tuch, nach oben gezogen und entschwand den Blicken. Das karge Bühnenbild und die doch sehr rustikalen Kostüme von Jens Kilian waren noch für einige Überraschungen gut.
Die Burg Walhall wurde im Zuschauerraum verortet, war also nicht zu sehen. Dafür waren Wotan und seine Familie Steinzeitmenschen mit nackten Beinen, Fellkitteln und plumpen Fellschuhen und hausten mit roh behauenen Möbeln vor einem Wigwam. So kann man keine soziale Überlegenheit und Dominanz darstellen! Selbst Loge kam im Fellumhang mit zotteligen Haaren daher, und die Riesen hatten auch nichts anderes an. Lediglich Fasolt zeigte einen gut trainierten Oberkörper.
Nibelheim wurde als moderne Konzernzentrale in einem Hochhaus-Ambiente gezeigt mit Alberich im smarten Maßanzug und Mime mit Wissenschaftlerkittel. Der Gegensatz zum Steinzeit-Wotan und – Loge wirkte unfreiwillig komisch. Die Überwältigung Alberichs durch Wotan und Loge wurde mit einem Schattenspiel sehr suggestiv dargestellt. Das Rheingold erwies sich als eine Batterie von Atomsprengköpfen, die mit Fafner im Hintergrund versanken. Natürlich hat mein kein gutes Gefühl dabei, einen Typ wie Fafner im Besitz von Atomwaffen zu wissen, aber was hat das mit dem Rheingold zu tun?
Am Schluss hielt Konwitschny dem Publikum den Spiegel vor: die Götter und Göttinnen wurden als sabbernde Greise von den als Pflegerinnen ausstaffierten Rheintöchtern in Rollstühlen nach Walhall geschoben, dazu flogen Flugblätter von der Decke und: „Falsch und feig ist, was dort oben sich freut“ auf einem Regenbogen wurde als Transparent entrollt. Ich fühlte mich provoziert und sehnte mich nach konventionelleren Versionen, sogar nach konzertanten Aufführungen.
Musikalisch hielt Gabriel Feltz die Dortmunder Philharmoniker recht gut zusammen, wenn auch im zweiten Bild der Eindruck entstand, dass Orchester und Sängerinnen und Sänger leicht asynchron liefen. Die richtige Spannung wollte nicht aufkommen.
Joachim Goltz als Alberich war für mich der Star der Aufführung, denn er brachte die Notgeilheit des Zwerges, der sich vergebens um die Zuneigung der Rheintöchter bemühte, dann aber bereit war, für den Besitz des Rheingolds der Liebe und den Rheintöchtern zu entsagen und von den sehr verführerisch singenden und agierenden Sooyeon Lee (Woglinde), Tanja Christine Kuhn (Wellgunde) und Marlene Gaßner (Flosshilde) abzulassen, trefflich zum Ausdruck. Auch als smarter Konzernchef machte er im Maßanzug bella figura, und der Fluch beeindruckte auf der ganzen Linie.
Die Aussprache über das den Riesen Fafner und Fasolt zustehende Honorar für die Erbauung Walhalls, die sich heftig wehrende Göttin Freia (Irina Simmes) als Geisel, führte zu einem ernsthaften Konflikt zwischen Fricka (ziemlich zickig: Ursula Hesse von den Steinen), ihren Brüdern Donner (temperamentvoll: Ks. Morgan Moody) und Froh (schöner lyrischer Tenor: Sungho Kim) und Freia selbst auf der einen Seite und dem eher geldgierigen Fafner (schwerer Bass mit Autorität: Artyom Wasnetsov), und dem netten, von Freia entzückten Fasolt (anrührend: Denis Velev) auf der anderen Seite, dazwischen Wotan. Wotan (nicht immer akzentfrei: Tommi Hakala) ist in einem Zwiespalt: er hat nicht das Geld, die Bauunternehmer zu bezahlen, möchte Freia aber nicht preisgeben, weil sie die Äpfel der ewigen Jugend pflegt und verteilt, die den Göttern ihre Unsterblichkeit sichern. Fafner und Fasolt bestehen auf Vertragserfüllung und nehmen die sich wehrende verzweifelte Freia kurzerhand mit. Viel zu spät kommt Wotans Rechtsbeistand Loge, ein amoralischer Intellektueller (etwas trocken: Ks.Matthias Wohlbrecht), dazu und distanziert sich von den fatalen Folgen, die der von ihm und Wotan mit Fafner und Fasolt ausgehandelte Vertrag hat. Die Symptome von Freias Abwesenheit wurden mit Gehstöcken und gebückter Haltung etwas übertrieben dargestellt und eskalierten am Ende noch mehr. Loge berichtet Wotan von dem Unrecht, das den drei Rheintöchtern widerfahren sei. Alberich habe ihnen das Rheingold geraubt. Sie riefen Wotan um Hilfe an. Wotan ist als Feudalherr gleichzeitig Regent und oberster Richter, es ist also seine Aufgabe, diesen Raub zu ahnden. Zusammen mit Loge bricht er nach Nibelheim auf, um Alberich zur Rechenschaft zu ziehen. Der hat sich zu einem Industriellen entwickelt und von seinem Bruder Mime aus dem Rheingold eine Tarnkappe – symbolisiert durch ein I-Pad – schmieden lassen, die dem Träger jegliche Gestalt gibt, und einen Ring, der dem, der ihn trägt, die Macht über die Welt verleiht. „Den Ring muss ich haben“, so Wotan. Mit Loges Hilfe überlistet und überwältigt Wotan Alberich und führt ihn ab.
Loge und Wotan pressen Alberich das gesamte Rheingold – hier versinnbildlicht durch eine Batterie Atombomben – ab, einschließlich Tarnkappe und Ring. Gebrochen geht er von dannen, nicht ohne vorher den Ring zu verfluchen. Fafner und Fasolt kommen, ihr Honorar, das gesamte Rheingold gegen Freia einzutauschen. Auch sie bestehen darauf, Tarnkappe und Ring mitzunehmen. Erda, (beeindruckend: Melissa Zgouridi), als eine Art Mutter Courage mit einer Schar Kinderstatisten und einem schreienden Säugling, den sie beim Singen wickelt, unterwegs, warnt Wotan vor dem Ring, den er dann auch widerstrebend abgibt. Die Riesen streiten sich um den Ring, wobei Fafner seinen Bruder erschlägt. Freia legt den Strauß Blumen, den Fasolt ihr geschenkt hatte, auf seine Leiche. Die Vorstellung, dass Fafner jetzt Herr über Atomwaffen ist, liegt als Bedrohung über den Göttern.
Die Rheintöchter beklagen das Unrecht, das ihnen widerfahren ist, und die Götter ziehen als tattrige Greise in normaler Gesellschaftskleidung, Loge im roten Anzug, betreut von den Rheintöchtern als Pflegerinnen, nach Walhall.
Der besondere Nimbus der Götter wird in dieser Inszenierung überhaupt nicht klar. Und warum hat Wotan keinen Speer, sondern schwingt einen Mammutknochen? Es war für mich allerdings der Beweis, dass allzu urzeitliche Kostüme dem Verständnis des „Rheingolds“ nicht guttun. Wenn es das Ziel ist, dass ein Publikum, das dies noch nicht kennt, an Wagners größtes Werk herangeführt wird, sollte man etwas näher an der Partitur bleiben und allzu extreme Kostüme und Bilder vermeiden. Es war eine interessante Erfahrung und hat trotz allem neugierig auf die weiteren drei Teile gemacht. Der „Ring des Nibelungen“ wird in der kommenden Spielzeit mit der „Götterdämmerung“ abgeschlossen.
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Oper Dortmund / Stückeseite
- Titelfoto: Oper Dortmund /RHEINGOLD/Ks. Morgan Moody, Irina Simmes, Sungho Kim, Tommi Hakala, Ursula Hesse von den Steinen, Ks. Matthias Wohlbrecht, Denis Velev, Artyom Wasnetsov/Foto: (c) Thomas M. Jauk