Sex und Intrigen im kaiserlichen Rom – „L´Incoronazione di Poppea“ begeistert in Köln

Oper Köln/L’INCORONAZIONE DI POPPEA/ Paul-Antoine Bénos-Djian, Maria Koroleva/ Foto © Matthias Jung

Eine der ältesten überlieferten Opern, die „Krönung der Poppea“ von Claudio Monteverdi, im Winter 1642/43 in Venedig uraufgeführt, zeigt in der Inszenierung von Ted Huffman zeitlose Gültigkeit. Handlungsträger sind historische Personen aus dem Jahr 58, wie der durchgeknallte römische Kaiser Nero, seine Gattin Ottavia, der Philosoph Seneca und die ehrgeizige Kurtisane Poppea, die aufgrund ihrer Intrigen zu Neros Gemahlin aufsteigt. Die musikalische Umsetzung in historisch informierter Aufführungspraxis lenkt den Blick auf die Beziehungen zwischen den Personen. Alle Figuren bleiben auf der Bühne präsent, ziehen sich dort sogar um oder wechseln gar mit Perücken die Identität. Man fühlt sich selbst als Voyeur. (Besuchte Vorstellung: Premiere v. 5. Mai 2024)

 

Die allegorischen Figuren Fortuna (Glück) und Virtú (Tugend) streiten darum, wer von beiden den Lauf der Welt bestimme. Der Knabe Amor (Liebe) will ihnen beweisen, dass seine Macht über das Handeln der Menschen am größten ist.

Dazu nutzt er die Geschichte der Krönung der Poppea, die der römische Historiker Tacitus aus dem Jahr 58 überliefert hat. Der Librettist Francesco Busanello, ein Rechtsanwalt, hat ein deftiges abwechslungsreiches Stück mit gebrochenen Helden daraus gemacht. Die überaus attraktive Kurtisane Poppea verlässt ihren Mann Ottone, weil sie das Ziel verfolgt, an der Seite Neros Kaiserin von Rom zu werden. Kaiser Nero ist ihrer erotischen Ausstrahlung rettungslos verfallen und lässt sich von ihr anstiften, seine tugendhafte Frau Ottavia zu verlassen und damit die Scheidung zu vollziehen. Auch der Einsatz seines Lehrers, des Philosophen Seneca, der Partei für die tugendhafte, aber langweilige Ottavia ergreift, bleibt fruchtlos. Er geht damit Nero so sehr auf die Nerven, dass der Seneca befiehlt, sich umzubringen. Senecas Freunde betrauern den Gelehrten. Zusammen mit den Dichter Lucano feiert Nero Senecas Tod.

Ottavia stiftet Ottone an, ihre Rivalin Poppea zu töten, am besten in Frauenkleidern, damit man ihn nicht erkenne. Drusilla leiht Ottone ihre Kleider, damit er unerkannt Zugang zu Poppea bekomme. Poppea sieht sich nach Senecas Tod am Ziel ihrer Wünsche, aber ihre Amme Arnalta warnt sie vor Intrigen am Hof. Poppea verlässt sich auf Amors und Fortunas Schutz. Ottones Anschlag auf Poppea wird von Amor verhindert. Arnalta schlägt Alarm, und Ottone flieht in Drusillas Kleidern. Drusilla wird des Anschlags auf Poppea bezichtigt und bekennt sich im Verhör schuldig, aber Ottone entlastet sie. Ihre Todesstrafe wird aufgehoben, Drusilla, Ottone und Ottavia werden in die Verbannung geschickt, und Arnalta bereitet sich auf ihr Leben als einflussreiche Hofdame vor. Jubilierend stimmen Poppea und Nero ihr Liebesduett als römisches Kaiserpaar an.

Oper Köln/L’INCORONAZIONE DI POPPEA/Camille Poul, Elsa Benoit, Jake Arditti/ Foto © Matthias Jung

Ungewöhnlich freizügig sind die modernen Kostüme von Astrid Klein. Sie machen deutlich, wie zeitlos das Spiel um Macht und Liebe, das hier aufgeführt wird, ist. Heute sind Trennungen allerdings langwieriger und teurer. Die Bühne von Johannes Schütz ist bis auf einen großen Tisch mit ein paar Stühlen leergeräumt, an den Wänden sind Bänke, auf denen die Sängerinnen und Sänger sitzen, die gerade nicht aktiv sind. Warum ein riesiges halb schwarzes, halb weißes Rohr in wechselnden Höhen an einem Stahlseil über der Bühne schwebt, erschließt sich allerdings bis zum Schluss nicht.

Von Monteverdis „Incoronazione di Poppea“ sind nur Singstimmen mit Generalbasslinien überliefert, und Dirigent George Petrou hat mit kleinster Besetzung aus dem Gürzenich-Orchester, ergänzt durch eine Barockharfe, zwei Cembali, ein Regal (tragbare Orgel) Lauten, Theorben, und eine Viola da Gamba eine fast schon jazzartige Rhythmik entfaltet. Das Ergebnis ist ein authentischer frühbarocker Klang, der dem in der Regel als Rezitativ gesungenen Text viel Raum gibt. Umso beeindruckender ist das Terzett, in dem drei Männer den Tod Senecas beklagen, Ottavias Abschiedsarie und das überirdisch schöne Liebesduett Poppeas mit Nero am Schluss, das Operngeschichte geschrieben hat. Dass dieses Happy-End nicht lange hält, kann sich jeder denken.

Es gab selten auf der Kölner Opernbühne ein so attraktives Paar wie Nero und Poppea. Die Willkür des verwöhnten Muttersöhnchens Nero, der auch als römischer Kaiser alles bekommt, was das Herz begehrt, aber auch die erotische Attraktion, die Poppea auf ihn ausübt, bringt  Jake Arditti mit echtem brillantem Counter-Sopran auf den Punkt. Das Objekt seiner Begierde ist Poppea, wundervoll erotisch und mit Körpereinsatz im weißen Body gespielt von Elsa Benoit mit betörendem lyrischem Sopran.  Sie möchte an Neros Seite Kaiserin werden. Zwischen den beiden knistern die Funken. Sie tritt zu Beginn mit weißem Laken umhüllt auf und nimmt Nero das weiße Hemd ab. Der lässt seinen trainierten Oberkörper unter dem Dinnerjacket spielen. Die beiden Soprane verweben sich zu unfassbar schönen Liebesszenen. Dass es auch um Sex geht, zeigt die Szene, in der sie in einem flotten Dreier einen jungen Soldaten in ihre erotischen Spielchen einbeziehen. Der Liebe, oder besser, der erotischen Leidenschaft, dieser beiden ordnet sich alles unter, man geht buchstäblich über Leichen.

Ensemblestar Adriana Bastidas-Gamboa ist eine ideale Virtú und Ottavia. Ihr glaubt man den gerechten Zorn, der sie einen Mordanschlag auf die dreiste Poppea anstiften lässt. Der wundervolle Chistoph Seidl trägt mit sonorem Bass ein bisschen penetrant die Position der Tugend vor, wird aber einfach beiseite geräumt. Senecas Tod beklagen die Tenöre Lucano (Laurence Kilsby) und Liberto (Armando Elizondo) und Bass Littore (William Socolof) im zu Herzen gehenden Terzett. Mit Paul Antoine Bénos-Dijan konnte man einen weiteren Countertenor als Ottone, Poppeas Gatte, verpflichten. Sein samtiger Altus ergänzt sich trefflich mit Maria Korolevas Koloratursopran, den sie der Drusilla leiht. Koloratursopranistin Camille Poul ist ein fast kindlicher Amor, der in die Handlung eingreift, indem er das von Ottavia geplante und von Ottone durchgeführte Attentat auf Poppea vereitelt.

Oper Köln/L’INCORONAZIONE DI POPPEA/John Heuzenroeder/Foto © Matthias Jung

Die schönsten Charakterstudien und das Buffo-Element trägt Charaktertenor John Heuzenroeder als Poppeas blonde Amme Arnalta und als brünette Damigella, beides in Frauenkleidern, bei. Die Erkenntnisse über die Rolle, die ältere Frauen in der Gesellschaft spielen, nämlich gar keine mehr, wenn sie nicht mehr jung und schön sind, sind zeitlos.

Die gefeierte Produktion des Festival von Aix-en-Provence von 2022 in Koproduktion mit der Oper Köln, dem Palau de les Arts Reina Sofia, der Opéra Rennes und der Opéra de Toulon wurde vom Publikum mit großem Applaus gefeiert. Die drei Stunden fünf Minuten einschließlich einer Pause vergingen wie im Fluge, denn man erlebte eine deftige Komödie um Sex und Macht mit attraktiven Protagonisten und spannender frühbarocker Musik.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Köln / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Köln/L’INCORONAZIONE DI POPPEA/Ensemble, Elsa Benoit, Jake Arditti/Foto © Matthias Jung

 

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