Ballett Zürich: „ATONEMENT“ Uraufführung

Opernhaus Zürich/BALLETT ATONEMENT/Foto: Admill Kuyler

Schon seit Cathy Marston, die neue Direktorin des Balletts Zürich, den Roman „Atonement“ (Abbitte) von Ian McEwan vor mehr als 20 Jahren gelesen hatte, wuchs in ihr der Wunsch, diese Geschichte für eine Ballettchoreographie zu verwenden. Es ist ein Glücksfall für das Ballett Zürich, dass nun diese Choreographie, das erste für diese Compagnie geschaffene Werk, unter Ihrer Leitung auf die Bühne gebracht wurde und damit gleichzeitig ihr lange gehegter Wunsch in Erfüllung gehen konnte. Ihre Vorliebe für große Literatur war bekannt und hat nun in der neuesten Arbeit ihre Fortsetzung gefunden. (Besuchte Vorstellung: Uraufführung, 28. April 2024, Opernhaus Zürich

 

Die Handlung beginnt auf einem Landsitz in England. Die erst 13-jährige Briony Tallis, ein mit viel Fantasie ausgestattetes Mädchen in der Pubertät, hat eine ältere Schwester, Cecilia, die Robbie, den Sohn der Haushälterin, liebt. Robbie wird von der Familie bevorzugt behandelt. Briony ist eifersüchtig, weil sie ihre Schwester und Robbie immer wieder bei ihren heimlichen Treffen beobachtet.

Freunde und Bekannte kommen zum Spielen ins Haus und man unterhaltet sich bestens. Unter den Gästen befindet sich auch Briony‘s Cousine Lola. Im Verlaufe der Handlung vergewaltigt ein Freund des Hauses Lola, was Briony entdeckt. Der Täter kann entkommen und von Eifersucht getrieben behauptet Briony, Robbie sei der Täter gewesen. Wegen dieser Intrige kommt Robbie ins Gefängnis. Aber die Mutter und Cecilia schenken dieser Beschuldigung keinen Glauben.

Opernhaus Zürich/BALLETT ATONEMENT/Foto: Admill Kuyler

Hervorragend gelingt es dem Bühnenbildner Michael Levine, diese Landhausstimmung zu erzeugen. Die Kostüme von Bregje van Balen und die Lichtgestaltung von Martin Gebhardt tragen das Ihre dazu bei, dass ein überzeugendes Gesamtbild entstanden ist. Kein Detail ist zu viel und man staunt ob der originellen choreografischen Einfälle von Cathy Marston. Wer allerdings die Geschichte nicht kennt, kann leicht den Überblick und den Zusammenhang der vielen Figuren untereinander verlieren. Es empfiehlt sich deshalb, die vor jeder Aufführung stattfindende aufschlussreiche Einführung zu besuchen.

Mit Inna Bilash als Briony, Brandon Lawrence als Robbie und Max Richter als Cecilia erleben wir drei faszinierende Tänzer/-innen, welche raffiniert choreografierte Hebefiguren und feinste Regungen mit großer Emotion tanzen. Der große Pas de Deux ist ein Höhepunkt dieses ersten Bildes, welches vor der malerischen Kulisse des Landgutes stattfindet. Doch im zweiten Bild verschwindet diese vordergründig idyllische Welt und vermischt sich mit den Wirren des Krieges. Der große Vorhang im Hintergrund färbt sich grau und wir sehen einen Ballettsaal.

Briony ist nicht wie im Roman eine Schriftstellerin geworden, sondern eine Choreografin, was in dieser Umsetzung der Handlung in ein Ballett Sinn macht. Sie versucht, mit einem Ballett die Geschichte Ihrer Schwester mit Ronnie und die Vergewaltigung von Lola, welche sich später sogar mit dem wirklichen Täter verheiratet, auf diese Weise zu verarbeiten und mit der Wiederbegegnung ihrer Schwester mit Ronnie nach dem Krieg als ein Happy End zu inszenieren.

Opernhaus Zürich/BALLETT ATONEMENT/Foto: Admill Kuyler

Wie Cathy Marston die schreckliche Welt des Krieges und die Szenerie im Ballettsaal zusammenfügt ist ein Wurf. Da üben zwölf Soldaten mit ungeheurer Präzision Marschübungen, während im Vordergrund zwölf Tänzer an der Stange trainieren. Krankenschwestern pflegen Soldaten und beim Tanz mit den Bettlaken entsteht ein ganz besonders wirkungsvoller Moment und durch die Vermischung der beiden Welten, eine überraschende Dynamik.

Als der „vermeintliche“ Schlussvorhang fällt, braust großer Applaus auf und das Publikum wähnt sich am Ende der Vorstellung. Doch unerwartet verdunkelt sich die Bühne nochmals und das Ensemble verbeugt sich in Zeitlupe vor dem Publikum. Dann beginnen die Gestalten, sich auf der Bühne wieder zu bewegen und aus dem Hintergrund hören wir ein Interview mit der inzwischen 77-jährigen Briony, welche nun die wahre Geschichte von Cecilia und Ronnie erzählt. Diese seien sich in Wirklichkeit gar nie mehr begegnet. Ronnie starb an einer Blutvergiftung und Cecilia bei einem Bombenangriff in London. Nur der Roman, hier jetzt als Choreografie, liess die beiden weiterleben. Dieses Interview ist allerdings etwas zu lange geraten und man hatte oft Schwierigkeiten den Text, neben der Musik zu verstehen.

Man darf dem Ballett Zürich, welches an diesem Abend vom Junior Ballett und den Schüler der Tanz Akademie Zürich unterstützt wurde, einmal mehr eine herausragende Leistung bescheinigen. Da ist ein Ensemble zu erleben, welches auf höchstem Niveau brilliert.

Die extra für diese Aufführung komponierte Musik der Engländerin Laura Rossi, welche vielseitig tätig ist und über große Erfahrung insbesondere mit Filmmusik verfügt, kann man ebenfalls als Glücksfall betrachten. Über Monate hinweg entwickelte sich zwischen Marston und Rossi eine enge Zusammenarbeit. Diese tritt bei der Umsetzung der Romanhandlung deutlich zutage. Dirigent Jonathan Lo und die Philharmonia Zürich, sowie Marie-Ève Scarfone am Klavier, überzeugen durch große Präzision.

Der Erfolg dieser Uraufführung zeugt von einem engagierten Zusammenspiel aller Beteiligten. Das Publikum honorierte dies mit einer Standing Ovation. Der Anwesende Autor des Romans, Ian McEwan, liess sich auf der Bühne blicken. Gewiss ist er über diese tänzerische Umsetzung seines Romans erfreut.

 

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