Terrorzwerge und Kratzbürsten: der britische Bassbariton Christopher Purves ist auf bissige Persönlichkeiten spezialisiert. Auch sonst versteht er sich – trotz Auftritte an großen Opernhäusern und häufigen Zusammenarbeiten mit den gefragtesten Regisseuren dieser Zeit – nicht unbedingt als konformistisches Wesen. Im hochgelobten Zürcher Ring singt er den Alberich, knüpft mit derselben Rolle gleich in Barrie Koskys neuem Ring für die Royal Opera Covent Garden an, sowie die Titelrolle in Koskys Inszenierung von Händels Saul in Glyndebourne, mit der er in Kopenhagen gastierte – und bald wohl auch Wotan. DAS OPERNMAGAZIN durfte ihn in Kopenhagen treffen, bei grauem Nebel über dem Meer und frostigen fünf Grad Außentemperatur. (Please see the link below for the English version)
DAS OPERNMAGAZIN: Wie ist Ihre Herangehensweise im Ring, wenn Sie einen Charakter gestalten, dessen Entwicklung sich über drei Opern erstreckt – vom Anfang bis zum feurigen Ende? Haben Sie einen Plan für die gesamte Entwicklung, wenn Sie beginnen, oder fangen Sie an einer Stelle an und lassen sich von der Entwicklung tragen?
CHRISTOPHER PURVES: Ich glaube, es ist wie ein Buch – man will die Auflösung nicht kennen, wenn man anfängt, denn wo wäre sonst der Sinn? Und da ich sehr textbasiert bin, und kein deutscher Muttersprachler, muss ich genau lernen, was in jedem Moment genau passiert – mit wem ich spreche und warum, warum ich wütend werde, was an meiner Kindheit mich zu so einem aggressiven kleinen Biestchen gemacht hat [lacht]. Aber ich muss nicht wissen, was am Ende passiert […] ich glaube, man kann für keinen Charakter das Wissen haben, wie man stirbt. Man muss spontan sein. Und meine ganze Herangehensweise ist wirklich: was wird zu jedem Zeitpunkt gesagt […] Es sind meine Reaktionen auf wie sehr ich Autoritäten mag, was ich über die Götter denke, auf meine eigene Lage und mein eigenes Leben, und von dort aus gehe ich, und ich denke nicht daran, was sich alles in den nächsten sechzehn Stunden Musik ereignen wird, oder so.
(OM) War Alberich ein Ziel, das Sie sich gesetzt hatten, etwas, das Sie erreichen wollten, oder war es etwas, das Sie auf dem Weg ergriffen haben?
(CP) Ich glaube, Letzteres. Ich glaube, ich hatte nie einen Handlungsplan. Ich weiß, dass manche meiner Freunde, mit denen ich gesungen habe und dessen Karrieren ich habe gedeihen sehen, gewiss einen Plan im Hinterkopf hatten. Und das ist mir nie passiert. Ich glaube, ich ergreife einfach Gelegenheiten. Wenn jemand sagt ‚Oh, Sie wären ein guter Alberich!‘, sage ich ‚Tja – finden wir mal heraus, aus welcher Oper der ist‘. Also gibt es offensichtlich Charakteristika […] der Art, wie ich darstelle, die in der Vorstellung mancher Menschen zu dem Charakter des Alberich passen würden. Und dann finde ich die sozusagen und mache damit weiter.
(OM) Tomasz Konieczny, der viel Alberich sang, bevor er Wotan sang – wie nun im Zürcher Ring – sagte einst, dass er den Nibelungenzwerg mochte, aber ihn schließlich aufgeben musste aus Gründen, die er ungefähr „Stimmhygiene“ nannte. Gibt es Dinge, auf die man aus Ihrer Sicht aufpassen sollte, wenn man Alberich singt, was die Herausforderungen dieser Rolle an die Stimme anbelangt?
(CP) Ja, ich glaube schon. Denn die Versuchung ist, Dampf abzulassen – das verlangt der Charakter; er ist kein friedlicher, friedliebender, sonntagnachmittags-schnarchender Kauz. Der spuckt Galle.
(OM) Der hat sich schon die Zähne gefeilt.
(CP) [lacht] Genau. Wenn man sich darin verfängt – wozu ich tendiere, leider, für meine Stimme…wenn man versucht […], einem Publikum einen Charakter nahezubringen, finde ich, man muss ganz hineinsteigen. Die Art, wie ich das angehen würde – und ich sage nicht, das sei die beste Art, es ist nur der Weg, den ich kenne – ist, sich dem ganz zu verpflichten. Und damit meine ich: wenn man brüllen muss, brüllt man. Ich brülle ziemlich viel im Saul, und ich wurde gebeten, das zu tun. Und bei Alberich ist es, glaube ich, dasselbe, gewissermaßen: man muss alles über diesen Charakter mitteilen. Ich glaube, Tomasz hat auf eine gewisse Art recht. Einige Leute steigen zum Wotan auf, und das werde ich auch, um diese Zeit nächstes Jahr, in Monte-Carlo. Es ist sehr aufregend für mich, weil ich denke, alle Alberichs schauen zu Wotan auf, gerade im Rheingold, und denken: ich wünschte, ich dürfte auch diese schönen, lieblichen Bögen singen, wo ich nicht rumbrüllen muss oder richtig involviert sein muss; ach, so distanziert und herrschaftlich und hochmütig sein zu dürfen, und all diese Adjektive, die man einem Wotan zuschreiben kann […] während Alberich unter die Haut gehen muss, und er muss reizen. Und wenn er einen nicht reizt, macht er seinen Job nicht. Und ich denke, dieses Reizen verursacht mit den Stimmbändern manche Probleme. Aber wenn man sich der Dinge gewahr ist, die passieren könnten, während man auftritt, fängt man immerhin an, sicher zu sein.
(OM) Sie singen Alberich sowohl im Zürcher als auch im neuen Londoner Ring – welche beide hochspannend sind, aus Publikumssicht, aber konzeptionell sehr anders angelegt. Wie würden Sie diese Unterschiede selbst beschreiben? Wie beeinflussen Sie Ihre Deutung Ihrer Rolle – wenn sie das denn tun?
(CP) Das müssen Sie vielleicht beantworten! Ich bin mir nicht ganz sicher. Die Worte sind die exakt die selben; der Kontext ist anders. Was ich an beiden Inszenierungen mag, ist dass beide Regisseure die Darstellenden bitten, das zu geben, was sie können, und statt Mätzchen und fremde Effekte zu erfinden, wollen sie von uns, dass wir die Unterhaltung und die Charaktere beisteuern, was ich enorm schätze, weil es mehr um das geht, was wir erschaffen und was wir erschaffen können. Und wenn es nicht gut genug ist, schreitet der Regisseur mit Vorschlägen ein: ‚Warum probieren Sie nicht einmal dies, oder jenes?‘. Und das ist – finde ich – die geschickte Art, eine Oper zu konstruieren. Es ist wirklich eine Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Darstellenden. Es ist eine Frage von: was können wir alle gemeinsam produzieren? Ich schätze das enorm. Ich glaube, dass uns sowohl Andreas Homoki und Barrie Kosky diese Gelegenheit gegeben haben. Ich glaube, der einzige richtige Unterschied, tatsächlich, ist das Setting. In Zürich dreht sich die Bühne, wechselt sozusagen die Perspektive. Und – bislang – war [in London] das Konzept zu einem größeren Anteil statisch. Wir rennen rum. Aber da die Worte genau dieselben sind, würde man es vermutlich recht ähnlich machen.
(OM) Interessant! Nun haben Sie wohl bereits ein wenig die nächste Frage beantwortet –
(CP) Oh nein! Sie sollten bei mir einfach den Wasserhahn abdrehen, ehrlich.
(OM) Beeinflusst das große Konzept einer Ring-Inszenierung, und ihre Alberich-Charakterisierung, auch Ihre Art, ihn stimmlich darzustellen? Oder ist das hauptsächlich abgesprochen zwischen Ihnen und dem Dirigenten?
(CP) Das ist eine sehr gute Frage; Glückwunsch. Und ich muss beim Beantworten etwas vorsichtig sein, weil Antonio Pappano am Royal Opera House ein erfahrener Wagnerdirigent ist, während ich weiß, dass es für Gianandrea Noseda der erste Ring war. (Beide) gehen von dem aus, was sie haben, und sie versuchen nicht, auf die eine oder die andere Art zu überzeugen. Bis darauf, natürlich, dass Antonio, weil er das schon so oft gemacht hat, ein Wissen dessen hat, wie es klingen sollte, basierend auf seiner Kenntnis der Partitur und des Textes. Und ich glaube nicht, dass Gianandrea ganz dieselbe Herangehensweise hat, weil er, wie ich, kein deutscher Muttersprachler ist, und er tendiert zum Instinktiven: wie fühlt sich das an, musikalisch gesehen? […] Es ist sehr schwer, es komplett anders zu machen als das eine Mal, da man etwas aufgeführt hat […] in einer Inszenierung oder mit einem Dirigenten. Es geht nicht zwingend darum, eine ‚neue‘ Perspektive zu haben. Es wird keine neue Perspektive sein, weil man mit dem Stück eine Historie hat. Beantwortet das die Frage? Ich habe hier einfach weitergequasselt, sozusagen, aber ich möchte zu niemandem boshaft sein. Ich glaube, es sind zwei Blicke auf die Partitur: einer mit der Historie, das ist Tony [Pappano], und Gianandrea macht es mit einem ‚sehen wir einmal, wie es klappt, ob mich die Anderen auch leiten können‘-Gedanken. Tomasz [Konieczny als Wotan], der sehr erfahren ist, hat eine Art; Matthias Klink [der den Loge singt], hat es auch schon so oft gesungen; sie lenken Gianandrea in eine gewisse Richtung, und er antwortet darauf. Ich? Ich – ich weiß auch nicht –
(OM) Sie hängen einfach etwas rum?
(CP) [lacht] Ich schreie einfach rum und hoffe, dass jemand bemerkt, dass ich in diese Richtung will.
(OM) Als junger Sänger waren Sie Chorist und dann Chorstipendiat am King’s College, Cambridge, und kannten das britische Chorrepertoire vermutlich sehr gut. Wie erinnern Sie sich an diese sehr frühe Zeit Ihrer Gesangskarriere? (Anm. d. Verf.: Choristen am King’s College London sind üblicherweise Jungen zwischen sieben und vierzehn Jahren, während Chorstipendiaten während ihres Bachelorstudiums eines beliebigen Fachs die Männerstimmen singen).
(CP) Sie haben da schon wieder gute Fragen. Es ist interessant – [Choralgesang] war meine erste professionelle Anstellung, die ich hatte. Ich fing mit acht an. Es klingt etwas spitzbübisch – aber man geht dort nur zur Schule, um zu singen. Von 7:00 bis 19:00 denkt man daran. Man beginnt den Tag mit einer einstündigen Probe, dann geht man zur Schule, hört um 15:00 auf, zieht sich diese albernen Kleider an, die Jungen an King’s tragen müssen, und marschiert zur Abendandacht. Man probt die Stücke für die Abendandacht eine Stunde lang, singt die Abendandacht, geht zurück, zieht die albernen Kleider aus und macht seine Hausaufgaben. Allein, dass ich mich daran erinnern kann, muss bedeuten, dass es mir in den Kopf reingebohrt wurde. Es ist wie ein Leben innerhalb eines Lebens. Viele Leute sagen: ‚es muss unglaublich gewesen sein, und die musikalische Ausbildung, die Sie bekamen…‘ – und ich kenne nichts Anderes. Also, ich bin mir sicher, es war eine großartige musikalische Ausbildung […] aber man gewöhnt sich daran, wie man sich an alles gewöhnt. [Viele] Erinnerungen sind wirklich an die Routine. Man lernt durch üben, üben, üben und dadurch, dass die Dinge in einen hineingeprügelt werden, wortwörtlich und sprichwörtlich.
(OM) Oh. Wortwörtlich?
(CP) Oh ja, oh ja […] ich kenne einige Leute, mit denen ich Chorstipendiat war, nicht Chorist, und ich glaube, für sie war es die musikalisch schönste Zeit ihres Lebens, und würden es sehr gern wieder durchleben. Und für mich – ich blicke mit einer gewissen Zuneigung darauf zurück, aber tatsächlich ist es kein großartiges Musikmachen. Man investiert nicht sich selbst hinein. Und ich lasse das klingen, als ob es keine wunderbare Zeit war – aber nun habe ich eine Freiheit des Ausdrucks, die ich damals gar nicht hatte. Ich fand es sehr schwer, mich in diese Lebensart einzufügen. Tatsächlich ging ich nach einem Monat als Chorstipendiat zu dem religiösen Leiter, der in unseren täglichen Leben recht präsent war, und sagte: ‚Schauen Sie, ich weiß nicht, ob ich das hinkriege; ich glaube, das bin ich nicht mehr‘. Und er sagte: ‚Tja, das würde bedeuten, Sie müssen die Universität verlassen – weil Sie aus keinem anderen Grund hier sind, als zu singen. Deshalb sind Sie in dieses College gekommen’. Also habe ich diese Pille geschluckt, und habe es so gut gemacht, wie ich konnte – glaube ich. Ich hatte Zusammenstöße mit diversen Leuten, weil ich nicht sonderlich konformistisch war. Aber ich vermute, das hat sich für einen Alberich gelohnt, der ein bisschen antagonistisch sein muss, und chaotisch und lästig. Ich vermute, darin bin ich gut.
(OM) Sie haben die Kröte geschluckt, wie wir auf Deutsch sagen.
(CP) Ich habe die Kröte geschluckt, genau. Was mir gewissermaßen wehtut. Ich glaube, selbst im Alter von achtzehn Jahren wollte ich Musik so machen, wie ich es richtig fand. Das Schlimmste – und das Beste – an der Choraltradition ist, dass es ein Ensemble ist. Man macht alles zusammen, um eine gewisse klangliche Homogenität zu erschaffen, gerade an King’s, die das Ego nicht einschließt, nicht einschließt, dass manche herausstechen. Man muss mit der Stimmproduktion recht zurückhaltend sein […] es ist auch ein wenig wie die Armee. Ich sage nicht, dass man eine Gehirnwäsche bekommt, aber es hat einen Aspekt des Verlustes der eigenen Identität, um einer größeren Sache zu dienen.
(OM) Gibt es Komponisten oder Werke, die für Sie besondere Bedeutung haben, in Ihrem bisherigen Leben und Ihrer Entwicklung als Sänger?
(CP) Das alles gesagt zu haben – ich habe sehr viel übrig für William Byrd, und Thomas Tallis, und Tomás Luis de Victoria und viel Polyphonie des 16. Jahrhunderts; ich finde sie seltsamerweise sehr gefühlvoll. Aber ich vermute, ich müsste an diese Komponisten herangehen wie damals, als ich an King’s war, und das lässt mich ein wenig erschaudern. Ich hatte diesen Gedanken: es wäre fantastisch, zwei Aufnahmen desselben Stücks zu machen. Eine gesungen nach der Art, wie man auf der Opernbühne singt, und die andere, indem man zurück in Chorstipendiaten-Modus schaltet. Ich fände das faszinierend. Ich glaube, Bach und Händel sind immer bei mir geblieben – ich hätte fast gesagt, Bach besonders, aber dann dachte ich, was ist mit Georgie? Ich bin nicht religiös, aber ich finde gerade die Matthäuspassion – besser als das wird es für eine spirituelle Erfahrung nicht wirklich. […] Ich hatte in Rotterdam einmal eine wunderschöne Erfahrung: ich konnte sehen, dass der Stimmführer der 2. Geigen berührt von dem war, was ich da machte während der Matthäuspassion. Später sprachen wir darüber, und er sagte: ‚Ich habe gerade jemanden verloren, und die Art, wie Sie das sangen, brachte diesen Menschen zurück in mein Leben, wie eine große Erinnerung‘. Und ich dachte: ‚Mein Gott, wenn ich das kann, muss das heißen, dass das für mich besonders ist, und dass ich fähig und willens bin, darin etwas meiner Existenz zu investieren‘. Es sind solche Dinge, wirklich […] ich glaube, es gibt viel Musik, die ich bei mir behalten habe, und nah bei mir behalten habe, die mir eine private, besondere Bedeutung hat.
(OM) Ihr Repertoire erstreckt sich sehr weit, von Glass bis Händel. Wie behalten Sie sich diese Diversität und Flexibilität bei, sowohl in Ihrem Terminkalender als auch in Ihrer Stimme?
(CP) Man hat nur diese eine Stimme, also glaube ich, es ist Vorstellungskraft. Ich versuche immer, meine Vorstellungskraft zu nutzen, und auf die bestmögliche Weise. Ich denke, wenn man Spezialist im Belcanto wird, muss man sich einer stimmlichen Flexibilität widmen, die ich nicht mehr habe. Aber anstatt eingeengt zu sein […] genieße ich die Herausforderung, viele verschiedene Dinge zu singen; Dinge, die vor zehn Minuten geschrieben wurden, wie Written on Skin von George Benjamin. Gott, das ist fast zwölf Jahre her! Das war ein sehr besonderes Ereignis für mich. Ich hatte noch keine große Menge zeitgenössischer Oper gesungen, und etwas besonders für mich geschrieben zu bekommen, war wunderbar. Ich genieße die Herausforderung, etwas so gut zu machen wie jemand, der wirklich ein Experte ist, und ich würde mich nie anschicken, mich Experte in irgendeinem Repertoire zu nennen. Meine erste Oper sang ich mit fast dreißig. Ich ging nie aufs Konservatorium; ich hatte nicht Jahre des Lernens nach einer bestimmten Art gehabt […] und so hatte ich nie nach einer oder einer anderen Tradition gelernt. Ich war immer verfügbar für Dinge, die andere vielleicht nicht machen wollten, weil sie bereits im Alter von dreißig Jahren einen anderen Pfad eingeschlagen hatten.
(OM) In den 1980ern waren Sie Teil der Gruppe „Harvey and the Wallbangers“, die sowohl als „experimentelle Rockgruppe“ als auch als „Jazz-Vokalharmonie-Gruppe“ bezeichnet wurde. Wie würden Sie sie beschreiben – und wie wurden Sie Teil dessen?
(CP) Ich weiß nicht, was sie war! Es fing an als – als Entertainment für das Publikum einer anderen Gruppe, während die Mitglieder hinter die Bühne gingen, Instrumente wechselten, mehr Drogen nahmen, und so weiter, beim Edinburgh Festival. Und Harvey – von Harvey and the Wallbangers – versammelte ein paar Leute, ich war noch nicht dabei, und führte Vokalharmonie-Stücke auf, mit etwas Esprit und Theatergeist, und es kam sehr gut an. Als sie anfingen, Instrumente hinzuzufügen, wurde ich Teil davon, und es wurde mehr wie ein Vollzeitjob. Wir machten Fünfziger- und Sechzigermusik, frühen Rock’n’roll, viele Covers verschiedener Genres, immer mit einem theatralischen Flair. Es kam aus der Kabarettszene, sozusagen, und aus der alternativen Szene, und versuchte, von dem loszukommen, was über Jahrhunderte etabliert worden war. Und das passte mir gut, weil ich nicht in der Tradition bleiben wollte – alle anderen hatten das getan, warum sollte ich einfach weitermachen? Ich spielte Trompete – und zwar schlecht – und sang, die tiefen Töne und alles dazwischen. Es passte zu mir damals, weil ich nicht aufs Konservatorium wollte; ich hatte genug von Anderen, die mir sagten, was zu tun war und wie. Als unser Manager starb, mussten wir unsere Gedanken konzentrieren auf was wir wirklich wollten. Alle hatten ihre eigenen Ideen, und ich dachte mir: pfeif drauf, ich will stimmlich experimenteller sein. Und wir gingen unserer getrennten Wege. Ich ging zurück zum Chorgesang; dort konnte man Geld verdienen. Aber ich war recht faul und wollte es nicht die ganze Zeit tun, weil ich angefangen hatte, Gesangsstunden zu nehmen. […] Und da kam mein Ego rein, und ich dachte: ‚Aaach, ich kann doch nicht immer in der Hinterreihe der Bässe stehen!‘, und ich hatte viel Glück, einige wunderbare Menschen kennengelernt zu haben, die sagten: ‚Ich glaube, du solltest dein Glück versuchen‘.
(OM) Ihr Engagement in der zeitgenössischen Oper ist sehr beachtlich und Sie haben sämtliche Rollen in diesem Repertoire kreiert, inklusive der Opernversion von Walt Disney in Phillip Glass’ The Perfect American. Hat das Kreieren einer Rolle besondere Herausforderungen oder Eigenheiten? Geht es mit besonderem Druck oder besonderer Freiheit einher – oder beides?
(CP) Ich würde sagen, beides! Die Freiheit kommt natürlich daher, dass man fast etwas ‚erschafft‘. Ich setze das in Anführungszeichen, weil ich gestern mit einem Freund sprach, der sich immer über mich lustig macht, und mich hübsch bodenständig hält, und der sagte: ‚öhh, ‚erschuf‘ die Rolle des Saul‘, weil das im Programmheft stand, und er fand das witzig. Der Druck, natürlich, kommt daher, dass man keinen Vergleichswert hat, es ist alles nur nach Instinkt. Offensichtlich gibt es Hinweise, die der Komponist einem gibt. Bei etwas wie Written on Skin – George [Benjamin, der Komponist] ist sehr spezifisch und […] viel wurde recht piano geschrieben – nicht gedämpft, aber nicht offen extravertiert, von den Markierungen her. Und ich entschied mich, das zu ignorieren und der Sache Fleisch und Blut zu verleihen. Und das Fleisch und Blut, das ich allen meiner Rollen zu verleihen versuche, ist, dass ich nicht will, dass es konventionell wird […] ich will denken: ‚Was kann man denn mit etwas machen‘?. Und das eröffnet so viele Möglichkeiten, die vielleicht nicht jedem gegeben sind, einfach aufgrund der persönlichen Erfahrungen und Ansichten jedes Einzelnen. Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Inszenierung ist, den Code zu nehmen und sich ihn zunutze zu machen. Die Sache mit Phillip Glass ist – mit meiner sehr limitierten Erfahrung – dass er keine sehr textbasierten Stücke schreibt. Seine Stücke sind repetitiv, man nennt ihn Minimalisten, und das passt nicht sehr zu meiner Art der Darstellung, weil ich einen Charakter ausfüllen möchte. Wenn da sehr wenig Charakter ist – und Walt Disney war eine Art manische Figur, was nicht dem Text entsprang – hatte ich diesen ständigen Konflikt, der mir nicht so gut bekam. Bei [Written on Skin] konnte ich mich in dieser Gewalt eingraben, in den hässlicheren Aspekten des Charakters, und mich damit beschäftigen. Ich weiß nicht, ob das genau ist, wie George es wollte. Aber er spricht noch mit mir.
(OM) Wird man dann sozusagen zum Maßstab?
(CP) Vielleicht wird man das, irgendwann. Weil Leute sich diese erste Aufnahme anhören [die oft gemacht wird]. Das hat eine unheimliche Natur – aber auch ein Gefühl der Ehrfurcht! Weil man weiß, dass man, wie Sie sagen, der Maßstab wird. Und so existiert man selbst in diesem Stück nicht – es ist das eigene Vermächtnis an die nächste Generation. Gewissermaßen macht einen das demütiger; man will es richtig machen. Und das geht mit großem Druck einher. Man denkt: ‚Wenn ich das nicht gut mache, werden lauter Studierende in der Zukunft sagen: ‚Na, ich glaub, das ist keine Quinte, mehr so eine Terz, das hat er falsch gemacht! Und so was nennt sich Experte!‘‘. Also ist es schwer. Aber wenn man es gut macht, ist es auch sehr belohnend, wenn Leute das brillant finden. Nicht, dass mir das Leute dauernd sagen.
(OM) Gibt es immer noch Rollen, die Sie in der Zukunft unbedingt erreichen wollen, bestimme Ziele, oder nehmen Sie die Dinge nun, wie sie kommen?
(CP)Ich tendiere meist zu Letzterem. Wann immer ich mich mit einem Besetzungschef oder einer Besetzungschefin treffe und sie fragen: ‚Würden Sie gern etwas Bestimmtes singen?‘, weiß man, das ist eine Einladung zu sagen: ‚Dieses, und jenes…‘. Aber ich bin hoffnungslos. Ich denke zehn Minuten später darüber nach, und denke dann: ‚Oh nein!‘. Ich habe keinen Karriereplan. Über die nächsten paar Jahre mache ich Dinge, auf die ich mich wirklich sehr freue […] ich habe tatsächlich ein Projekt, das ich erfüllen möchte: die Aufführung einer Ein-Mann-Oper. Es ist eine Geschichte von – finde ich – enormer Wichtigkeit, eine schöne, und es ginge um einen Aspekt meines Lebens. Ich suche einen Komponisten und einen Librettisten dafür. Die sind alle so beschäftigt! [Aber] ich möchte meine Ein-Mann-Oper unbedingt auf die Beine stellen. Es würde zu mir passen, glaube ich. Da geht es nämlich um mich. Und nur um mich! [lacht] Das klingt sehr narzisstisch, und das ist es wahrscheinlich, schrecklich narzisstisch. Manchmal möchte ich Dinge einfach auf meine Art machen. Es ist kein Konflikt mit Regisseuren oder Dirigenten, aber manchmal habe ich dieses ‚nein, ich will nicht das machen!‘. Die meisten Komponisten komponieren nicht mit mir im Hinterkopf – Sauerei! Und sie schicken mich auf einen Pfad, wo ich manchmal denke: ‚Nein, die Worte bedeuten das hier für mich! Das ist etwas Anderes‘. Und ich will immer meinem Instinkt folgen.
(OM) Vielen Dank für dieses freundliche, offene und aufrichtige Gespräch – und ein großes Toi-toi-toi für alle anstehenden Projekte und Engagements!
- (Das Interview mit Christopher Purves führte DAS OPERNMAGAZIN-Redakteurin Lynn Sophie Guldin in englischer Sprache. Die Deutsche Fassung ist ebenfalls von Lynn Sophie Guldin. Hier der Link zur englischen Fassung)
- Das OPERNMAGAZIN-Interview führte Lynn Sophie Guldin (Redaktion DAS OPERNMAGAZIN)
- Christopher Purves / Website
- Titelfoto: Christopher Purves /Foto: Chris Gloag