Eine wie keine – Nina Stemme sagt ihrer Isolde in Stockholm „Adieu“

Berwaldhallen/ Tristan u. Isolde/Sveriges Radios Symfoniorkester/N. Stemme, I. Roberts/ Foto: arne@hyckenmedia.se

Nina Stemme sang im Jahr 2003 beim Glyndebourne Festival zum ersten Mal die Partie der Isolde. 23 Jahre nach diesem Rollendebüt verabschiedete sich die Sopranistin nun an ihrem schwedischen Geburtsort, in Stockholm, von ihrer Paraderolle in konzertanter Aufführung im Radio-Konzerthaus der Berwaldhallen.(Rezension der Aufführung v. 21.2.2025)

 

 

Der britische Dirigent Daniel Harding ist langjähriger Chefdirigent des schwedischen Rundfunksinfonieorchesters, dem Sveriges Radios Symfoniorkester. Er dirigiert üblicherweise eher selten Opernproduktionen – und wenn, dann lediglich in konzertanter Form. Da Richard Wagners Tristan und Isolde ein Musikdrama mit minimaler äußerer Handlung ist, durchsetzt von nervenzerreißendem Seelenausdruck und innerer Psychologie, drängte sich eine konzertante Aufführung nicht nur auf, mitunter bot diese gar mehr Tiefe als so manch ein inszeniertes Ausstattungstheater einer Opernbühne. Denn der Fokus lag in dieser Aufführung gänzlich auf der Musik sowie den herausragenden stimmlichen Leistungen der Titelpartien, insbesondere der Isolde von Nina Stemme.

Berwaldhallen/ Tristan u. Isolde/Sveriges Radios Symfoniorkester/Daniel Harding/Foto: arne@hyckenmedia.se

Daniel Harding wusste an diesem Abend nicht bloß die musikalische Spannung zu halten oder dem Ensemble – gleich einer Repertoireaufführung – sensibel ein Fundament zu geben. Vielmehr drang der Dirigent in die Tiefe der Musik Wagners vor und zeigte, dass auch in der Gegenwart die endlosen, mit Todessehnsucht gefüllten Melodien, das ausschweifende, nie enden wollende Liebesduett des zweiten Aufzugs als auch der mysteriöse, sich erst zum Schluss musikalisch auflösende Tristan-Akkord das Publikum in Ektase versetzen, gar dieses verrückt werden lassen kann. Eine musikalisch derart berauschende Aufführung wie jene unter dem Dirigat Hardings wusste weitaus mehr Gefühlswallungen zu evozieren, als selbst ein durchdachtes Regiekonzept es je in der Lage zutun gewesen wäre. Dieser Tristan war zügellos! In der groß angelegten symphonischen, und weniger theatralischen, Interpretation Hardings wurde all der Rausch der Partitur spürbar.

Die Isolde von Nina Stemme ist auch nach über zwei Jahrzehnten auf den Opernbühnen dieser Welt ein Phänomen. Vor und nach ihr hat es nur wenige vergleichbare Wagnerstimmen dieser Qualität gegeben: Ihre hochdramatische, felsenfeste, in allen Facetten die skandinavische Tradition einer Flagstad, Nilsson, Varnay fortsetzende Stimme hat sie besonders in der Isolde perfektioniert. Obgleich manche Spitzentöne nun mit etwas Nachdruck erklingen, ist das Gesamtvolumen und Stamina ihres Stimmorgans unvergleichbar. Sicherlich hat sie auch weitere hochdramatische Partien wie Elektra oder Brünnhilde verkörpert. Aber in der Isolde, jene Partie, die sie am häufigsten interpretiert hat, findet Stemme jene Stimmung, jene Charakterisierung, die jede Aufführung einzigartig und wahrhaftig werden lassen. In der intimen Atmosphäre der Stockholmer Berwaldhallen ließ Stemme gar mancherorts verkannte Aspekte der Figur, das Leidenschaftliche und Verletzliche, stellenweise gar das Ironische, gekonnt zur Geltung bringen.

Berwaldhallen/ Tristan u. Isolde/Sveriges Radios Symfoniorkester/Ensemble/Foto: arne@hyckenmedia.se

Auch das Stemme umgebende Ensemble konnte das von ihr vorgelegte, außerordentlich hohe stimmliche Niveau der Aufführung halten. Daniel Johansson debütierte erst kürzlich in der Titelpartie und brillierte bei ausdrucksstarker Phrasierung mit charaktervoller, herber Tenorstimme als souveräner, geradezu kraftvoll vitaler Tristan. Shenyang gestaltete seine Partie des Kurwenal in eher liedhafter, überaus sensibler, intellektuell angelegter Interpretation. Als überragend ist zudem die stimmliche Leistung von Falk Struckmann als König Marke zu bezeichnen, welcher mit jeder Silbe seiner markerschütternden Deklamation das Publikum in seinen Bann fesselte. Auch Irene Roberts wusste als Brangäne mit glutvoll-einvernehmenden Mezzosopran zu berühren und einen sinnlichen Kontrast zu Stemmes Hochdramatik darzustellen.

Im Sommer 2025 wird Nina Stemme unter der musikalischen Leitung von Yannick Nézet-Séguin ihren letzten Liebestod wohl für das US-amerikanische Publikum sterben. Damit wird in Begleitung des Philadelphia Orchestra ihre Hochdramatische Ära zu Ende gehen, wenn sie sich dann endgültig von der Isolde verabschiedet hat. Welche eine Lebensleistung!

 

 

  • Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Nina Stemme / Homepage
  • Titelfoto: Berwaldhallen/ Tristan u. Isolde/Sveriges Radios Symfoniorkester/Nina Stemme/Foto: arne@hyckenmedia.se
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