Ein Ausdruck musikalischer Reife: Daniil Trifonov und Sir Antonio Pappano in der Alten Oper Frankfurt

Fotocredit: Alte Oper Frankfurt / Tibor-Florestan Pluto

Ist Mozarts 9. Klavierkonzert – das „Jeunehomme-Konzert“, KV 271 in Es-Dur – ein schlechtes Omen für die Alte Oper Frankfurt? Igor Levit spielte es dort zuletzt im November 2020, als letztes Konzert vor dem monatelangen Winterlockdown. Und just an dem Wochenende, als der russische Pianist Daniil Trifonov in Begleitung von Sir Antonio Pappano mit eben diesem Werk in der Alten Oper Frankfurt gastieren möchte, überschlugen sich die unerfreulichen Nachrichten: Die Corona-Zahlen explodieren, mit der vierten Welle und der neuen Virusmutation droht ein erneuter Lockdown. Deutschland gilt für zahlreiche Nachbarländer schon als Risikogebiet, so dass sich das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia – vom Frankfurter Publikum als mitunter  begehrtestes Gastorchester lange antizipiert – beinahe gezwungen sah, seine Deutschlandtour abzusagen. Nur mit zusätzlichen Hygieneauflagen und in reduzierter Orchesterbesetzung haben die italienischen Behörden das Gastspiel in der Alten Oper genehmigt. Kurzerhand bildete die etwas schlankere 7. Sinfonie in A-Dur, op. 92, von Ludwig van Beethoven anstelle einer opulent orchestrieren Sibelius-Sinfonie den symphonischen Hauptteil ihres Konzertes. (Rezension des Konzertes v. 4.12.2021)

 

Aufgrund akuter Armbeschwerden setzte Daniil Trifonov als Ersatz für das 1. Klavierkonzert von Johannes Brahms auf die technisch weniger strapaziöse Komposition von Wolfgang Amadeus Mozart, nämlich seinem 9. Klavierkonzert in Es-Dur, besser bekannt als das oben genannte „Jeunehomme-Konzert“. Schon der legendäre Pianist Friedrich Gulda erklärte, dass es bei den Mozart-Klavierkonzerten gar nicht so sehr auf technische Virtuosität ankomme, sondern die Herausforderungen vielmehr in der Phrasierung, im Rhythmus und in der Artikulation des Klavierspiels liegen. Und gerade, weil sich Trifonov nur gelegentlich der Musik Mozarts annimmt, ließ dieser Programmwechsel das Konzert umso spannender werden. So bewies der russische Pianist im 2. Satz, dem Andantino, dass er all den Intellekt und insbesondere die notwendige Sensitivität für Mozarts Klaviermusik mitbrachte. Ganz innig versunken, äußerst sanft im Anschlag, gedämpft und fast schon vorsichtig, verlor er sich zuweilen im Klang von Pappanos Orchester –  und das ist ausnahmslos positiv gemeint. Sir Antonio Pappano nahm all die Gegenstimmen mit äußerster Melodiösität, gar nicht als nebensächliche Untermalung, sondern im zärtlichen Miteinander zu seinem Pianisten, bei dem auch mal das Orchester in Führung ging. Hier zeigte sich, was es ausmacht, wenn ein Dirigent von Maß als Orchesterbegleiter agiert!

Fotocredit: Alte Oper Frankfurt / Tibor-Florestan Pluto

Das „Jeunehomme-Konzert“ aus dem Jahr 1777 gilt fast noch als Frühwerk Mozarts. Mit ihm begann seine Weiterentwicklung weg von der aufgelockerten Verspieltheit hin zu einer neuen musikalischen Tiefe im Ausdruck. Und obgleich Trifonov im Rondofinale das Tempo erstaunlich anzog, behielt er seine Behutsamkeit bei und ließ so eine bislang ungeahnte Wirkung der Reife in der Komposition Mozarts erahnen.

Anschließend, nach einer Pause, schmälerte Pappano den Abstand von Mozarts Klavierkonzert zu der knapp 35 Jahre später komponierten 7. Sinfonie in A-Dur, op. 92, von Ludwig van Beethoven. Der Dirigent wählte, verglichen zu manch radikalen Neu-Einspielungen der letzten Jahre, einen recht klassischen Zugang zu Beethoven und überzeugte mit klarer Struktur, gelassenen Tempi, bei gleichwohl pochendem und präzisen Rhythmus. Pappanos Beethoven-Interpretation wirkte gerade durch die strenge Befolgung des Notentexts mit den Vorgaben des Komponisten – bei der weniger persönliche Inspiration, mehr eine akkurate und saubere Orchesterarbeit im Vordergrund stand – kraftvoll, intensiv und authentisch. Der Dirigent drang durch den Verzicht auf oberflächliche Effekte zur wahren musikalischen Tiefe vor. Ohne Pause zwischen den Sätzen baute Pappano eine fundierte Steigerung von Satz zu Satz. Im berühmten Allegretto, dem 2. Satz, lies er die Konturen behutsam verschwimmen und nahm dafür im Presto die Bläsertutti analog einer Hymne, voll Stolz und Tatkraft antizipierte er so den Finalsatz, das Allegro con brio.

Fotocredit: Alte Oper Frankfurt / Tibor-Florestan Pluto

Die Ausgangsthese, ob das „Jeunehomme-Konzert“ nun ein schlechtes Omen für die Alte Oper Frankfurt darstellt, hat Sir Antonio Pappano mit seiner Zugabe, einer erfrischend spritzigen Figaro-Ouvertüre, musikalisch verneint. Der Dirigent bedankte sich mit einer kurzen Ansprache, er sei voll Rührung, dass das Frankfurter Publikum der Musik und Kultur treu bleibt und der Pandemie zum Trotze weiterhin in die Konzerte der Alten Oper strömt. Vielleicht hat auch die pandemische Situation dazu geführt, dass das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia an diesem Abend über sich hinausgewachsen ist. Sir Antonio Pappano sorgte für einen anrührenden Konzertabend, der selbst in dem glanzvollen Spielplan der Alten Oper Frankfurt einen besonders nachhaltigen Eindruck hinterließ.

 

  • Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Alte Oper Frankfurt
  • Titelfoto: Fotocredit: Alte Oper Frankfurt / Tibor-Florestan Pluto

 

 

 

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