Jeden Tag erreichen mich aktuell neue und sehnlichst erwartete Pressemeldungen mit der Ankündigung „WIR SPIELEN WIEDER!“. Das so oft zitierte „Licht am Ende des Tunnels“ wird immer leuchtender. Nach über einem Jahr, mehr oder weniger ohne Livepublikum, laden Deutschlands Theater und Opernhäuser endlich ihre BesucherInnen wieder ein. Von München und Augsburg über Saarbrücken und Frankfurt, von Essen und Dortmund, von Berlin und Hamburg bis Flensburg: sie alle wollen ab Juni ihren Theaterbetrieb vor Publikum wieder aufnehmen. Wenigstens teilweise. Und Schritt für Schritt. Und täglich kommen weitere Häuser dazu. Alle halten sich, wie auch zu Ende des vergangenen Jahres, an strenge Hygienevorschriften um einen reibungslosen Ablauf ihrer Spielpläne garantieren zu können. Vieles scheint nun wieder möglich zu werden. Und auch die Bayreuther Festspiele – letztes Jahr noch der Pandemie zum Opfer gefallen – scheinen in 2021 als gesichert. Wenn auch nur vor begrenzterem Publikum als gewohnt.
Für die Theater- und Opernfans kann es noch zu einem versöhnlichen Sommer kommen. Dank der ständig sinkenden Inzidenzen ist es kulturellen Einrichtungen mehr und mehr gestattet ihre Pforten für Besucher zu öffnen. Sicher wird es noch kein Opernbesuch wie vor der Pandemie sein. Eben einer, mit allem „Drum und dran“: Vielen Menschen, ausverkauften Häusern, erwartungsvollem Geraune in den Foyers, Sekt am Erfrischungsstand und auch kein Drängeln am Parkscheinautomaten nach Beendigung der Vorstellung. Letzteres würde ich allerdings nicht vermissen. Aber die Türen öffnen sich. Die Theater stehen bereit.
Viele Theater sind in den vergangenen Monaten dazu übergegangen, ihrem Publikum zumindest online Oper, Operette und Konzerte anzubieten. Sicher nur ein Ersatz für einen tatsächlichen Besuch in einem Opernhaus oder in einem der vielen deutschen Konzertsäle. Aber es ist anzuerkennen, dass dieses Angebot vorhanden war und noch ist. Denn spielen und auftreten wollen sie alle! Und hör- und sichtbar bleiben. Auch für den Preis fehlenden Applauses. Und das gehört einfach honoriert und wertgeschätzt. Natürlich kann ein Stream kein Liveerlebnis ersetzen, aber es liess uns dennoch teilhaben an einem Theatergeschehen, wie wir alle es so noch nicht kannten. Und von dem wir uns alle wünschen, dass es sehr bald Vergangenheit ist. Obgleich die Form des Streaming durchaus für die Zukunft ihren Reiz hat. Es gibt auch Gründe die dafür sprechen. Das Liveerleben ersetzt ein Stream sicher nicht.
In den zurückliegenden Monaten habe ich viele Telefonate und Chats mit Pressesprecherinnen und Pressesprecher verschiedenster deutscher Theater geführt. Und immer blieb bei mir der Eindruck zurück, wie sehr man sich bemüht diese Pandemiezeit zu überwinden und wie sehr man sich „normale“ Zustände herbeisehnt. Unter diesen Eindrücken habe ich auch so manche meiner DAS OPERNMAGAZIN-Videogespräche mit Künstlerinnen und Künstlern geführt. Denn sie sind es doch, die von den Zwangspausen seit März 2020 besonders betroffen waren. Für viele von ihnen ging und geht es noch immer um nicht weniger als die berufliche und wirtschaftliche Existenz. Nicht wenige von ihnen waren ratlos, wurden mutlos und suchten Hilfe. Die versprochenen Staatshilfen flossen nicht wie angekündigt und wenn, dann kamen sie verspätet und oftmals unzureichend. Aus dieser Not heraus aber wurden Künstler aktiv. Sie spürten, dass die erwartete Hilfe nicht von außen kam und solidarisierten sich. Wie so oft, spielte FACEBOOK dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. So wie beispielsweise die Initiative der Theaterwissenschaftlerin und Regisseurin Magdalena Weingut, die im Frühsommer 2020 die Facebookgruppe „krea [K]tiv – musiktheater stands up“ gründete und mit anfangs knapp zwei Dutzend weiterer Betroffener aus Kunst und Kultur, zu einem der führenden Sprachrohre in der Kunstszene wurde. Eines ihrer Ziele und Forderungen war und ist ein starker Berufsverband für Musiktheaterschaffende. Mittlerweile wurde aus der Facebookgruppe (mit inzwischen über 1800 Usern) ein eingetragener Verein mit eigener Homepage und stetig wachsender Vereinsmitgliedschaften. Aus dem Kreis der Mit-Initiatoren von krea[K]tiv habe ich für mein DAS OPERNMAGAZIN mit Kirsten Schötteldreier ein Videogespräch geführt und einen deutschlandweit beachteten Artikel von Christian Miedl veröffentlicht.
Für die Kulturschaffenden, und besonders die Freischaffenden unter ihnen, sind die zurückliegenden knapp 13 Monate eine bittere Erfahrung, die sie so nicht erwarten, gar erahnen, konnten. Dies betrifft aber alle Menschen. Weit über die Kultur hinaus bis in das private Leben hinein erleben wir eine Zeit, die noch sehr lange auf uns Menschen nachwirken wird. Bestenfalls nehmen wir das scheinbar „Gute“ daraus mit, um überhaupt einen Sinn in all dem notwendigerweise nötigen Verzicht der letzten Zeit zu sehen. Bei den erwähnten Kulturschaffenden, die sich solidarisiert haben, um auf ihre Situation hinzuweisen und Auswege aufzuzeigen, ist das Ziel Gehör an den richtigen Stellen zu finden, aufgegangen. Sie werden auch nach Corona eine weiterhin wichtige Rolle spielen. Oder noch anders: die Arbeit fängt für sie alle gerade erst an. Die Probleme und Missstände in der Theater- und Opernwelt waren schon viel länger da und nun sind es die Künstler selbst die für Veränderungen eintreten. Zu Recht – und weil nur sie es einfach können!
Mit fallenden Infektionszahlen steigt unsere Erwartung auf ein Leben wie wir es vor Corona lebten. Schrittweise wird es in diese Richtung gehen. Den „einen Tag“, an dem alle Auflagen und Verordnungen fallen, wird es so wohl nicht geben. Zu viele Faktoren, auch politischer Art, beeinflussen die Entscheidungsprozesse. Gleichzeitig aber lernen wir mit dieser Situation umzugehen und sie sogar zu nutzen. Wie ein Brennglas lässt uns die Pandemiezeit auf so vieles schauen, was schon immer so war und vermutlich auch so geblieben wäre. Aber eigentlich einer Veränderung bedurfte. Diese Veränderungen finden nun statt. Zug um Zug. Auch im großen Bereich der Kultur. Und das ist richtig!