Berührend, ergreifend, überzeugend: „MADAMA BUTTERFLY“ am Landestheater Detmold

Madama Butterfly / Illustration: © Stefan Romero Grieser / Opera Immagine 2022

Gleich drei bemerkenswerte Debüts gab es bei der ersten Opernpremiere der Saison 2022/23 am 2. September 2022 im Landestheater Detmold zu vermerken: Der schwedische Dirigent Per-Otto Johansson gab seinen Einstand als neuer GMD des renommierten Hauses in Ostwestfalen, der aus Belgrad stammende, international bekannte, Tenor Zoran Todorovich gab sein Opernregiedebüt und die in Santa Monica (Kalifornien) geborene Sopranistin Megan Marie Hart sang ihre erste Cio-Cio-San auf einer Opernbühne. Und alle drei Genannten dürfen sehr zufrieden auf diesen Abend zurückblicken. Wurde es doch für jede(n) Einzelnen von ihnen zu einem großen persönlichen Erfolg. Bewusst erwähne ich hier die Internationalität der an der Opernproduktion beteiligten Persönlichkeiten – und die Liste der Länder erweitert sich, wirft man dann einen Blick auf die gesamte Besetzung –, denn Detmold soll auch stellvertretend für ALLE Theater stehen, an denen Menschen aus vielen Ländern und Kulturkreisen fair und freundschaftlich zusammenarbeiten und damit auch ein wichtiges Statement für unsere Gesellschaft abgeben. Die Musik und die Künste verbinden Menschen über Grenzen hinweg. Und das oftmals so ideal, dass am Ende ein begeistertes Publikum jubelt und eine Premiere mit Standing Ovations feiert, wie dies am vergangenen Freitag im Detmolder Landestheater der Fall war. (Rezension der Premiere vom 2. 9.2022)

 

Der Tenor Zoran Todorovich hatte sich für seine erste Regiearbeit Puccinis Operndrama MADAMA BUTTERFLY ausgesucht. Eine Oper, in der er selbst schon als Sänger in der Partie des Pinkerton auf den Bühnen dieser Welt stand. Seinen ersten Pinkerton gab er 1997 an der Wiener Staatsoper. Und diese Erfahrungen liess Todorovich in seine Inszenierung einfliessen. Und das war auch gut so. Denn es zeigte sich einmal mehr, dass Opernregisseure, die über eigene sängerische Bühnenerfahrung verfügen, ihre persönlichen Schwerpunkte auf den Kern einer Oper legen: auf die Musik, auf die Partitur, und die aus ihr kommende Dramatik und Emotionalität und Aussage. Da werden dann selbst kleine Gesten auf der Bühne zu überzeugenden Statements, da bedarf es keiner noch so weit hergeholter Interpretationen und da darf jede einzelne Note einer Opernpartitur wirken und sogar zum Libretto passen. Natürlich nur, wenn man den Sängerinnen und Sängern auf der Bühne auch die Freiheit lässt, mit ihren Stimmen und ihrer Kunst das Werk des jeweiligen Komponisten gestalten zu können. Und wenn Regie dies alles in Einklang bringt, wird auch die Geschichte einer MADAMA BUTTERFLY noch 118 Jahre nach ihrer Uraufführung in Italien, uns nicht nur berühren, sondern auch nachdenklich machen und bestenfalls sogar für vieles sensibilisieren, was auch schon zu Puccinis Zeiten kritikwürdig war. Und das über Zeiten und deren wandelvollen Ansichten hinweg. Todorovich hat dies mit seiner Inszenierung vermittelt. Vor allem über die einzelnen Charaktere dieser Oper. Natürlich stand die Hauptpartie der Mdm. Butterfly im Mittelpunkt, aber selbst den kleinsten Partien gab Zoran Todorovich ein Gesicht und zeigte damit auch die einzelnen Beziehungen und Verflechtungen der handelnden Personen untereinander auf.

Ji-Woon Kim (B.F. Pinkterton), Andreas Jören (Sharpless), Megan Marie Hart (Madama Butterfly) & Chor; Foto: Matthias Jung

Als Beispiel sei hier die Partie der Kate – der späteren „richtigen“ Ehefrau des Pinkerton – genannt. Eine zwar kleinere Partie, aber für die weitere Entwicklung und Dramatik des Geschehens von besonderer Bedeutung. In Zoran Todorovichs Inszenierung stand dort keine „selbstbewusste amerikanische Offiziersgattin“ auf der Bühne, sondern vielmehr eine in unverschuldete Not und Peinlichkeit geratene Frau, die realisiert, was allein ihre bloße Anwesenheit gerade auslöst. Und das nur mit den oben erwähnten „kleinen Gesten“. Mit Blicken und mit einer Körperhaltung, die verrät, wie es in ihr in diesem Moment aussieht. Puccinis Musik dazu macht dann diesen Moment so spürbar und für das Publikum nachvollziehbar.

Und was für die kleineren Partien gilt, setzt sich in den Hauptpartien fort. Die Cio-Cio-San, genannt Madama Butterfly, ist zunächst das junge, devote Mädchen, dass ihrem zukünftigen Ehemann förmlich zufliegt. Wie ein Schmetterling. Später wird sie ihren geliebten Pinkerton fragen, warum in Amerika die Schmetterlinge mit einer Nadel durchstochen und wie Trophäen festgehalten werden. „Aus Liebe und Sorge, damit sie nie mehr wegfliegen …“ wird er ihr sinngemäß antworten. Cio-Cio-San versteht, was Pinkerton ihr damit sagt. Er ist nun „ihr Mann“ und das bedeutet auch für sie auf ihn zu warten und sogar größte Opfer zu bringen. Wie eben in diesem Moment, als Kate erscheint und es Butterfly klar wird, dass sie nun auch ihren eigenen Sohn und ihr Leben geben muss. In Todorovichs Inszenierung ist die Cio-Cio-San im weiteren Verlauf der Oper von der sehr jungen, kindlichen Frau zu einer gereiften Persönlichkeit gewachsen. Wenn sie im Finale der Oper darauf besteht, ihren gemeinsamen Sohn nur an Pinkerton direkt auszuhändigen, lässt Todorovich sie stark wirken. Und das ist sie ja auch in dieser Geschichte und in diesem Moment. Die Stärke einer Frau, die zuvor durch die Männer um sie herum gedemütigt und wie ein Schmetterling im Bilderrahmen gehalten wurde. In Detmold wurde eine bewegende aber auch kraftvolle MADAMA BUTTERFLY auf die Bühne gebracht. Und wenn das Publikum, wie bei der Detmolder Premiere geschehen, nach dem Finale der Oper sekundenlang absolut still verharrt, um dann in langen Jubel auszubrechen, darf sich Zoran Todorovich sicher sein, dass seine persönliche Premiere als Regisseur erfolgreich war. Ich bin mir sicher, dass seine künstlerische Reise auf diesem Gebiet noch weiter geht. Und selbstverständlich sei hier ebenfalls noch erwähnt, dass er auch für die traditionellen Kostüme in dieser Detmolder BUTTERFLY zuständig war. Der aufwändige Hochzeitskimono der Butterfly sei dabei stellvertretend erwähnt, erfüllt er doch auch irgendwie die Opern-Erwartungen eines großen Teil des Publikums.

Das Bühnenbild besteht aus einem hölzernen Nachbau eines japanischen Wohnhauses, wo die jeweiligen Räume in diesem Fall durch Seidentücher begrenzt wurden. Die Bühnenbildnerin Jule Dohrn-van Rossum erschuf dazu einen quadratischen Lebensraum, der auf der Opernbühne in alle Richtungen verschoben und gedreht werden konnte. Hierdurch wurde der Blick auf die Titeldarstellerin nie verborgen, stets war sie sichtbar und anwesend. Unterstützt durch Carsten-Alexander Lenauer, der für das Licht zuständig war.

Ji-Woon Kim (B.F. Pinkerton), Megan Marie Hart (Madama Butterfly); Foto: Matthias Jung

Vor über drei Jahren stand mir Megan Marie Hart für ein DAS OPERNMAGAZIN-Portrait zur Verfügung. Dort sprachen wir auch über ihre bisherigen Partien und welche wohl noch auf ihrem persönlichen Wunschplan stehen. Damals sagte sie mir: „Die Butterfly. Ich liebe diese Partie. Ich möchte sie unbedingt bald mal auf der Bühne singen.“ Nun war es endlich soweit. Mittlerweile am Opernhaus Darmstadt engagiert, kehrte die Sopranistin für diese Partie als Gast zurück an das Landestheater Detmold, wo sie noch bis vor 2 Jahren Ensemblemitglied war und bereits einige große Erfolge feiern konnte. Dies durfte sie nun auch als Cio-Cio-San in Todorovichs BUTTERFLY-Inszenierung. Die Anforderungen, die diese Partie an die Sängerinnen stellt, sind immens. Fast die gesamte Dauer der Oper ist die Darstellerin der Mdm. Butterfly auf der Bühne präsent. Und auch, wenn sie nichts zu singen hat, bleibt sie doch fast immer auch der optische Mittelpunkt einer jeden Butterfly-Aufführung. Frau Hart gestaltete diese (ihre) Wunschpartie stimmlich und darstellerisch absolut überzeugend. Von zartesten, wunderschön gesungenen Piani beim ersten Zusammentreffen der Butterfly mit Pinkerton, bis hin zu den expressiven gesanglichen Ausbrüchen dieser Opernpartie im späteren Verlauf der Handlung, bot sie den Opernfans schlichtweg dramatisch-glutvollen Puccini! Ihr flehendes „Un bel di vedremo“ im zweiten Akt erhielt bereits starken und langen Szenenapplaus und die Abschiedsszene von ihrem Kind im finalen Teil der Oper, und der sich anschließende folgende Freitod der Butterfly, war dann einfach nur noch Große Oper. „Tu? tu? tu? tu? Piccolo iddio! Amore, amore mio.“ Einhelliger Jubel und viele Bravorufe des Premierenpublikums für ihre Butterfly-Interpretation von internationalem Format waren der verdiente Lohn für eine davon sichtlich ergriffene und dankbare Megan Marie Hart.

Als ihre Dienerin Suzuki war auch die zweite wichtige weibliche Partie mit der Mezzosopranistin Dorothee Bienert hervorragend besetzt. In dieser Inszenierung war Suzuki nicht, wie sonst oft gesehen, die deutlich ältere Dienerin, sondern vielmehr auch eine junge Frau, die aber ihrem Stand entsprechend, Dienerin der Butterfly war. Mit ihrer warmklingenden Stimme gab Frau Bienert der Partie dennoch die menschliche Reife, die dieser Rolle zugeschrieben wird. Berührend im Duett zusammen mit Butterfly – „Blumenduett“ – , aber auch darstellerisch sehr überzeugend, insbesondere im Finale der Oper. Das sah das Publikum ebenso und dankte auch ihr verdientermaßen mit vielen Bravorufen und starkem Applaus.

Der südkoreanische Tenor Ji-Woon Kim, seit der Saison 2018/19 Mitglied des Detmolder Ensembles, war der B.F. Pinkerton des Abends. Die lässige Leichtfertigkeit eines jungen Soldaten bei der US-Marine nahm man diesem auch auf der Bühne recht jugendlich wirkenden Sänger sehr überzeugend ab. Die Verwandlung, die auch er in seiner Rolle vornehmen musste, vom übermütigen Seemann hin zum von Selbstzweifel und Selbsthass getriebenen Mann, der erkennt, was sein Leichtsinn für ein Drama entfacht hat, gelang Ji-Woon Kim überzeugend. Fast konnte man im Finale ein wenig Mitleid mit diesem Pinkerton bekommen, wenn er seine finalen Butterfly!-Rufe erklingen lässt. Gesanglich beeindruckend und mit sicherer Höhe wurde auch er vom Publikum gefeiert.

Dorothee Bienert (Suzuki), Megan Marie Hart (Madama Butterfly), Andreas Jören (Sharpless), Yoseph Park (Goro); Foto: Matthias Jung

Ebenso wie der Sänger des Sharpless, Ks. Andreas Jören. Der gebürtige Wattenscheider ist seit 2005 im Ensemble des Detmolder Landestheaters und bewies mit seiner großen Bühnenerfahrung und seinem klangvollen Bariton wieder einmal mehr, warum ihn das Detmolder Publikum so sehr schätzt. Besonders in seinem Falle war sehr deutlich spürbar, wie entscheidend diese Partie für die gesamte Oper ist, wenn seitens der Regie dem Sänger/Darsteller die Möglichkeit zur Entfaltung auch neben dem sängerischen Ausdruck gegeben wird. In Detmold war der Sharpless ein fast väterlich agierender Freund und Ratgeber für alle, die ihn umgeben. Starke Vorstellung von Andreas Jören!

Auch die weiteren und kleineren Partien waren in Detmold adäquat besetzt. Nando Zickgraf als Goro, stimmlich stark und mit viel Spielfreude. Hyunsik Shin als Fürst Yamadori, Seungweon Lee in der Partie des Priesters, Florian Zanger in der Partie des Standesbeamten und Kommissars und als Verwandte der Butterfly Almuth Orthaus, Tatjana Yang und Annette Blazyczek. Und natürlich sei die Statisterie des Hauses hier auch erwähnt – immer wichtig für eine Butterfly-Inszenierung. Und, last but not least, Antonia Bär, für ihre tänzerische Interpretation der verzweifelten Butterfly im letzten Akt der Oper.

Besondere Erwähnung noch für die kleine, aber wichtige, Partie der Kate Pinkerton. Die Sopranistin Aditi Smeets, seit der Spielzeit 2022/2023 Mitglied des Opernstudios am Landestheater Detmold, wusste gleich bei ihrem ersten größeren Opernauftritt in Detmold darstellerisch zu überzeugen. Und das sie dabei auch stimmlich-gesanglich durchaus aufhorchen liess, sei hier auch erwähnt. Klasse!

Der Opernchor des Landestheaters Detmold, sowie der Extra-Chor Herren und Damen, unter der Leitung vom italienischen Chordirektor Francesco Damiani – wie stets an diesem Hause bestens vorbereitet – durfte sich auch beim Schlussapplaus feiern lassen.

GMD Per-Otto Johansson/ Foto @ Johan Sundell

Einstand nach Maß könnte man über das Hausdebüt des neuen Detmolder Generalmusikdirektors Per-Otto Johansson schreiben! Großer Jubel und Ovationen auch seitens des Detmolder Premierenpublikums für „ihren“ neuen GMD. Johannson dirigierte Puccinis Partitur mit der notwendigen Dramatik, aber dabei immer drauf achtend, die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne mit seinem Orchester, dem  Symphonischen Orchester Detmold, nicht zu überdecken. Er arbeitete sowohl die zarten, leiseren Momente der Oper  heraus, wie er ebenso auch die dramatischen Stellen mit musikalischem Leben und vielen Emotionen füllte. DAS OPERNMAGAZIN wünscht dem neuen Detmolder GMD Per-Otto Johansson eine gute und künstlerisch reiche Zeit an seinem neuen Wirkungsort.

Und zum Ende dann doch noch ein wenig leise Kritik: Die Übertitelung fiel doch stellenweise sehr dürftig aus. Vielleicht lag hier ein technischer Fehler vor, der sich zukünftig beheben lässt? Viele Opernbesucherinnen und Opernbesucher schätzen die technische Übersetzung einer Oper sehr, trägt sie doch auch sehr zum Verständnis der Handlung bei. Am Freitagabend hatte nicht nur ich das Gefühl, dass der übersetzte Text ein wenig zu knapp geraten war.

Fazit: Eine berührende, eine bewegende und eine packende Operninszenierung in Detmold.  Den vielen Fans der italienischen Oper sei der Besuch dieser BUTTERFLY wärmstens empfohlen!

 

 

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4 Gedanken zu „Berührend, ergreifend, überzeugend: „MADAMA BUTTERFLY“ am Landestheater Detmold&8220;

  1. Ist denn sowas möglich?!!! Ein Opernabend der Superlative wurde uns da geboten (30.09. in der Paderhalle). Weltstadtniveau hatte diese Aufführung, ich weiß wovon ich spreche, habe ich doch schon etliche Vorstellungen auf solchen Bühnen der ersten Kategorie in der Welt besucht. Diese Cio-Cio-San von Megan Marie Hart mit ihrer warmen, vollen, runden bis in die Höhen nicht flach werdenden Stimme mit sehr schönem Timbre und ihrer starken Ausdruckskraft muss sich nicht hinter einer Netrebko oder Damrau verstecken. Ein wahrer Genuss und fast die ganze Oper durch Gänsehaut pur.
    Aber nicht nur die Hauptpartie, sondern auch die anderen Rollen durchweg gut besetzt. Gerade auch der junge Tenor Stephen Chambers, von dem man noch viel hören wird, wenn er mit seiner Stimme achtsam umgeht.
    Auch die ganze Inszenierung gelungen und das Orchester feinfühlend geführt trugen zu diesem Erfolg der Aufführung bei.
    Also, für uns, meine Frau und mich, eine Sternstunde einmal wieder, was man ja leider auch an großen Opernhäusern nur selten erlebt.
    Ganz, ganz lieben Dank für dieses Erlebnis.

    1. Lieber Herr Willbrandt, es freut mich sehr, dass Sie diese BUTTERFLY in Paderborn so geniessen konnten! Auch für mich zählt Frau Hart zu den herausragendsten Sopranstimmen unserer Zeit. Sie wird Ihren sehr freundlichen und positiven Kommentar hier sicher lesen. Herzliche Grüße, Detlef Obens – Herausgeber DAS OPERNMAGAZIN

  2. Herr Obens, danke Ihnen für diese ausführliche Rezension. Sie bringen es auf den Punkt: Berührend, bewegend und fesselnd. Es war wirklich tief bewegend zu erleben, wie „unsere“ Stars gemeinsam etwas so Großes auf die Bühne bringen. Andreas Jören, zu Recht als Kammersänger geehrt, Megan Marie Hart, die ihr Detmold nicht vergessen hat und Zoran Todorovich, immer einer von uns Lippern, der sich, uns und mir ganz persönlich einen Traum erfüllt. DAS war meine Madama Butterfly, pur, ohne jedes Regietheatergedöns. Die unnötige und eher schwache Balleteinlage verzeihe ich. Ich würde gerne schreiben, dass keine Wünsche offen blieben, aber einen habe ich dann doch: Todorovich und Hart als Pinkerton und Cio-Cio-San! Vielleicht in einem seiner Konzerte!

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