„Traumpaar der Klassik“ begeistert mit großer Oper in der Kölner Philharmonie
Louwrens Langevoort, Intendant der Kölner Philharmonie, verteidigte das Gala-Konzert Anna Netrebkos mit ihrem Ehemann und Bühnenpartner Yusif Eyvzov in seinem Haus. Ein solches Gastspiel werde mit einem Vorlauf von mehreren Jahren geplant. „Grundsätzlich sollte jeder Künstler, der nicht zum Staatsfeind erklärt wird, auftreten dürfen, wo er möchte“, so Langevoort in einer Pressekonferenz am 23. August 2022. Auch der Veranstalter des Konzerts von Netrebko in der Philharmonie hat den Auftritt der umstrittenen Opernsängerin verteidigt. „Frau Netrebko hat sich glaubwürdig vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine distanziert“, erklärte Fred Handwerker, Geschäftsführer des Veranstalters. (Konzert v. 29. August 2022)
Sie ist eine Diva. Sie hat in der Arena di Verona in diesem Sommer als Aida und als Turandot Triumphe gefeiert und gastiert am 5. September 2022 in Puccinis „La Bohème“ in der Inszenierung von Franco Zeffirelli an der Wiener Staatsoper als Mimi– fast ausverkauft!
Ihr Auftritt 2002 bei den Salzburger Festspielen als Donna Anna in Mozarts „Don Giovanni“ begründete nach Engagements in Covent Garden, London und an der Metropolitan Opera, New York, eine Weltkarriere. Ihre CD- und DVD-Einspielungen sind immer noch Renner des Klassikmarkts.
An der New Yorker Metropolitan Opera war sie Stammgast, fiel dort aber im Frühjahr 2022 in Ungnade, weil sie sich nicht schnell genug und eindeutig genug von Putin distanzierte. Sie ist gebürtige Russin, hat in Russland Gesang studiert und startete ihre Karriere als Sängerin im Mariinsky-Theater in Sankt Petersburg, wo sie im Alter von 22 Jahren als Susanna in Mozarts „Le nozze di Figaro“ debütierte. Sie ist seit 2006 die österreichische Staatsbürgerin, weil sie mit ihrer Familie in Wien wohnt.
Ihr Gesangspartner und Ehemann, der Tenor Yusif Eyvazov, stammt aus Aserbaidschan und studierte in Baku und in Italien. Auch er gastiert weltweit an Spitzenhäusern wie der Staatsoper Berlin und der Wiener Staatsoper.
Auch die Mezzosopranistin Elena Zhidkova ist mit großen Partien ihres Fachs, zum Beispiel als Venus im Tannhäuser bei den Bayreuther Festspielen, Gast in allerersten Häusern.
Die Dramaturgie einer Operngala ähnelt ganz der einer Oper, mit dem Unterschied, dass Werke verschiedener Komponisten aufgeführt werden, die die Vorzüge der beteiligten Stars betonen.
Das Programm des Konzerts umfasste Opern des 19. Jahrhunderts, fast alle selten gespielt, weil sie wegen der hohen gesangstechnischen Anforderungen schwer zu besetzen sind. Anna Netrebko eröffnete mit der halsbrecherischen Schlussszene des 2. Akts: „Piangete voi? … Al dolce guidame“ der eingekerkerten Titelheldin aus Donizettis „Anna Bolena“, die bereits nach dem lyrischen Teil von Beifall unterbrochen wurde, mit dem hochdramatischen zweiten Teil jedoch bewies: sie ist immer noch die Meisterin riskanter Intervallsprünge und virtuoser Koloraturen.
Tenor Yusif Eyvazov stellte sich mit der Szene des Edgardo aus dem 3. Akt von Donizettis „Lucia di Lammermoor“ vor, in der dieser mit großem Ausdruck der Trauer Lucias Tod beklagt. Sein Tenor ist nicht so schön timbriert wie der eines Pavarotti, aber er hat heldischen Glanz in der Stimme, virilen jugendlichen Charme und bewältigt technisch alle Schwierigkeiten wie Koloraturen und Spitzentöne souverän. Mit dieser Arie erwarb er die Sympathie des Publikums.
In der Arie der Fürstin von Bouillon aus Cileas „Adriana Lecouvreur“, Klage einer reifen Frau darüber, dass sie ihren Geliebten an eine andere verloren hat, konnte Elena Zhidkova punkten. Ihr wunderbarer samtiger Mezzosopran ließ auch in der dritten Zugabe: „Non ti scordar di me“ noch einmal aufhorchen.
Mit dem Finale des 1. Akts aus „Pique Dame“ schloss der erste Teil des Konzerts nach der Ouvertüre halbszenisch ab, das Publikum applaudierte begeistert.
Nach der Pause legte Netrebko einen Kaltstart hin mit: „Mild und leise“, dem Finale (Isoldes Liebestod) einer der bedeutendsten Opern des 19. Jahrhunderts, Tristan und Isolde. Mit perfekter Artikulation und großem Ausdruck bewies sie, dass sie auch Wagner singen kann. Danach Eyvazov mit der Arie des Ricardo aus dem 3. Akt von Verdis „Maskenball“ und nach der Arlesienne-Suite von Bizet Szenen aus Puccinis „Manaon Lescaut“, einer frühen Puccini-Oper, bei der Eyvazov und Netrebko mit Arien aus dem 1. und 2. Akt und einem Liebesduett noch einmal richtig zeigen konnten, wie große Oper des 19. Jahrhunderts gesungen werden sollte.
Die Nordwestdeutsche Philharmonie ist eins der drei Landes-Sinfonieorchester Nordrhein-Westfalens. Dirigent Michelangelo Mazzi begleitete seine Gesangsstars mit großem Einfühlungsvermögen und ging auf Besonderheiten wie länger ausgehaltene Spitzentöne präzise ein. Nach drei Zugaben, bei denen es mit der Koordination zwischen Sänger*innen und Orchester allerdings ein wenig haperte, endete das Konzert mit Standing Ovations.
Die Demonstration von Gegnern und Gegnerinnen des Konzerts auf dem gegenüber der Philharmonie liegenden Kurt-Hackenberg-Platz war überschaubar. Mit einem Transparent „Kein Applaus für Putins Propaganda“ hatten sich etwa 50 Demonstrierende versammelt. Intendant Louwrens Langevoort teilte in einer Pressekonferenz mit, man habe sich die Entscheidung, das Konzert stattfinden zu lassen, nicht leicht gemacht. Mit Einverständnis der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker habe er mit dem Kulturdezernenten Stefan Charles entschieden, die Erträge, die KölnMusik aus den Mieteinnahmen hat, an Kölns Partnerstadt Dnipro in der Ukraine zu spenden.
Das Publikum hat sich mit der Entscheidung zur Teilnahme am Konzert der Auffassung des Intendanten Langevoort angeschlossen. Wer dem Auftritt Netrebkos kritisch gegenüber stand, ist nicht hingegangen – es war etwa ein Drittel der Plätze frei geblieben.
Für mich war es die Gelegenheit, einen der bekanntesten Klassikstars dieses Jahrhunderts, von der ich zahllose CDs und DVDs habe, endlich einmal live zu erleben.
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Tourdaten Anna Netrebko/Yusif Eyvazov
- Titelfoto: Blick in den Saal der Kölner Philharmonie / Foto © KölnMusik/Guido Erbring