Beeindruckendes Künstlerdrama: Schrekers „Der singende Teufel“ in der Oper Bonn

Oper Bonn/Der singende Teufel/Mirko Roschkowski (Amandus Herz), Tänzer/Foto: © Thilo Beu

Es ist ein expressionistisches vieldeutiges Gesamtkunstwerk mit dem charismatischen Mirko Roschkowski in der Hauptrolle des Orgelbauers Amandus, der im Fokus dieses spannenden Künstlerdramas steht. Die junge Regisseurin Julia Burbach, ihr Ausstatter Dirk Hofacker, ein sechsköpfiges Tanzensemble, der exzellente Bonner Opernchor, das Beethovenorchester unter Dirk Kaftan und das große typgerechte Ensemble haben Franz Schrekers monumentale Oper „Der singende Teufel“ in die Gegenwart geholt. Das Werk, das im Mittelalter spielt, wurde als zeitloses Künstlerdrama gezeigt. (Rezension der Premiere vom 21.05.2023)

 

Die „Zeitoper“ der Weimarer Republik ist als Kunstform gekennzeichnet durch eine neue Musikdramaturgie. Was Worte nicht sagen können, wird ausgedrückt durch Musik, Ausdruckstanz, Farbe und Licht. Die Ästhetik ähnelt der eines Stummfilms. Typisch sind auch Maschinenwesen als Teil der Dramaturgie. Um eine solche Zeitoper mit Tendenz zur Grand Opéra handelt es sich bei Franz Schrekers am 10. Dezember 1928 unter der Leitung von Erich Kleiber in der Berliner Staatsoper uraufgeführten Oper „Der singende Teufel“. Schreker verarbeitet hier autobiographische Elemente, denn sein Vater, der starb, als Schreker acht Jahre alt war, war zum Protestantismus konvertierter Jude, und Schreker spielte selbst die Orgel in einer evangelischen Kirche, um als Halbwaise seine Familie zu ernähren.

Orgeln waren im erst frühen Mittelalter aus dem arabischen Raum nach Europa gekommen und sind die einzigen Musikinstrumente, die als Maschinen gelten können, weil sie mechanisch betrieben werden. Die zahlreichen Register dienten dazu, andere Instrumente nachzumachen. Die christliche Kirche erkannte sehr schnell die Faszination der Orgelmusik, und heute sind Orgeln in jeder christlichen Kirche eine Selbstverständlichkeit.

Der titelgebende „singende Teufel“ ist eine Orgel, eine Maschine, die vom Orgelbauer Amandus Herz auf Wunsch des Pater Kaleidos fertig gestellt werden soll.  „Dies Werk, ausersehen, der Kirche zu dienen, ihre Macht mehren, Weihe zu geben und Schrecken, Erhebung und Grauen, zum Kampf erlesen gegen der Heiden finstres Droh´n,“ das erwartet Kaleidos von der Orgel. Am Beginn des dritten Aufzugs preisen die beiden Alumni die Eigenschaften der neuen Orgel, und Amandus lobt die neuen Register, die er hinzugefügt hat, um die die Botschaft „Liebet Euch“ zu verkünden.

Es geht darum, die Wirkungsweise einer Maschine, hier der Orgel, zu problematisieren. Die suggestive Kraft der Orgeltöne, Botschaften des Glaubens zu verstärken, aber auch zum Zweck des Machterhalts zu missbrauchen, können stellvertretend für Kunstwerke und Maschinen aller Art stehen. Vermutlich hat Schreker den gerade aufkommenden Rundfunk gemeint. Nicht umsonst stellte Regisseur John Dew in der Aufführung des stark gekürzten „singenden Teufel“ 1989 in Bielefeld die Orgel als eine Raketenbatterie dar, Amandus wurde ein Physiker im Stil Einsteins, und aus Christen und Heiden wurde Faschisten und Kommunisten. Schon damals lobte die Presse die musikalische Substanz des Werks.

Oper Bonn/Der singende Teufel/Mirko Roschkowski (Amandus Herz), Tobias Schabel (Pater Kaleidos), Ensemble/Foto: © Thilo Beu

Das Kloster steht in einem heidnischen Umfeld. Alardis, die Oberpriesterin, ist Vertreterin einer Art Naturreligion, der auch Lilian, die Geliebte des Amandus, angehört. Alardis ist Gegenspielerin des Kaleidos, die zur Sonnenwendfeier aufruft, während die Mönche „Laetare“ singen, den Ausruf am 4. Sonntag in der Fastenzeit, der kurz vor dem Osterfest steht. Alardis sendet Lilian aus, Amandus als Anführer gegen das Kloster zu gewinnen. Der aber bleibt standhaft, die Religion trennt die beiden. Beim Sonnenwendfest treiben die Heiden den Tod mit dem Teufel aus, indem sie eine Strohpuppe verbrennen. Lilian wird zum Frühlingsopfer erwählt und dem polternden Säufer Sinbrand versprochen, der die Heiden in den Kampf gegen das Kloster führt und Lilian vergewaltigt.

Gewarnt durch Lilian will Amandus den Angriff der Heiden auf das Kloster mit den Klängen seiner Orgel eindämmen. Die eindringenden Horden werfen sich beim Klang der Orgel auf die Kniee und ergeben sich, das Volk ruft: „Stille, still, – kniet nieder! Fort mit den Waffen! Gott ist nah!“ Da tritt Kaleidos mit furchtbarer Stimme auf und befiehlt: „Auf sie! Erschlagt sie! Rächet die Schmach! Unser ist der Sieg! Für Gott! Für Gott!“, und der dritte Akt endet in einem blutigen Gemetzel. Amandus ist verzweifelt: „Wer hat das getan – wer hat mich betrogen? Ich armsel´ger Stümper, ich Narr, ich Tor! Die Welt ist voll Blut und Bosheit und Trug! Allmächt´ger, Ewiger – wo ist dein Blitz? Ah!“

Eine veristische Oper wäre hier zu Ende, denn mit der bombastischen Kampfszene ist der dramatische Bogen geschlossen. Aber Schreker geht weiter: Wie ein Deus ex Machina erscheint der maurische Pilger. Der setzt sich mit Amandus auseinander, der sich weigert, dessen kleine Orgel zu reparieren – zu stark ist er von den vergangenen Ereignissen traumatisiert. Auf Amandus´ Frage verneint der Pilger die Existenz Gottes, Alardis postuliert, es gebe einen Gott. Es ertönen plötzlich Orgelklänge, der Himmel rötet sich: Lilian hat das Kloster in Brand gesteckt, das zu den Klängen der Orgel in Schutt und Asche fällt. Sie stirbt in Amandus´ Armen.

Die junge Regisseurin Julia Burbach verzichtet darauf, die Handlung im Mittelalter spielen zu lassen. Man kann sie sich aufgrund der Ausstattung von Dirk Hofacker in der Entstehungszeit oder in der zeitlosen Gegenwart vorstellen. Die Bühne wird beherrscht durch eine technische Struktur, vor der eine Wand mit Türen herabgelassen werden kann. Dahinter eine Art Gebirge, auf dem sich das Sonnenwendfest und der Kampf abspielen. Gewaltige Orgelpfeifen senken sich herab und verdeutlichen, dass die Maschine wesentlicher Träger der Handlung ist.

Die Farbsymbolik ist sehr suggestiv: die Vertreter des Klosters und auch Amandus sind schwarz dargestellt, Lilian in reinem Weiß und Alardis in weiß mit blau, die anderen Heiden in klaren bunten Farben auf weißem Grund. Farbe spielt bei der Zeitoper eine sehr große Rolle. Nachdem Lilian von Sinbrand geschändet wurde, trägt sie blutrote Strümpfe. Das Licht ist karg im Kloster, alles ist schwarz und düster, die Welt der Heiden ist hell und bunt.

Bei der musikalischen Gestaltung fällt auf, dass die gesungenen Passagen eher expressive Ariosi oder Accompagnati-Rezitative als Arien sind und vergleichsweise schlicht instrumentiert, die Zwischenspiele dagegen den ganzen Apparat des großen Orchesters einspannen. Das Beethoven-Orchester unter Dirk Kaftan zelebriert präzise die suggestive Musik mit farbigen Klängen. Es gibt keine Ouvertüre, sondern ein schlichtes Orgelvorspiel. Das von Cameron McMillan und Mar Rodriguez Valverde choreographierte Tanzensemble aus je drei Tänzerinnen und Tänzern gestaltet dazu die Emotionen des Amandus mit Mitteln des Ausdruckstanzes, wie das in der Zeitoper üblich war. Es sind unglaublich spannende Bilder!

Der Chor und Extrachor der Oper Bonn unter der Leitung von Marco Medved bringen die anspruchsvollen Chöre auf den Punkt. Schreker war ab 1932 Direktor der Berliner Hochschule für Musik und hat als Chorleiter Mahlers „Sinfonie der Tausend“ einstudiert, kannte sich also mit anspruchsvollen Chorsätzen aus.

Mirko Roschkowski meisterte die anspruchsvolle und extrem fordernde Partie des Amandus nicht nur stimmschön und souverän, er tanzte auch wie ein Mitglied des Tanzensembles und lieferte eine beeindruckende psychologische Studie eines mit seiner Vision gescheiterten und von den Machthabern betrogenen Künstlers und eines an die Macht der Liebe glaubenden Christen.

Tobias Schabel verkörperte in beklemmender Bassgewalt die Machtgier und Skrupellosigkeit der Amtskirche. „Höher als eines Einzelnen Schicksal gilt dem Priester das Heil unserer Kirche und Gottes Ruhm,“ das ist sein Kommentar dazu, dass man den Vater des Amandus getötet hat, um ihn daran zu hindern, sein Werk zu vernichten. Diese Argumentationsweise kommt mir sehr bekannt vor!

Die Lichtgestalt dieser Oper ist Anne Fleur Werner, eine junge lyrische Sopranistin, die der unschuldigen und später geschändeten Lilian Gestalt verleiht. Ein dramatischer Höhepunkt ist ihre Darstellung der von Sinbrand geschändeten Lilian, die unter die Haut geht. Die Brandstiftung am Kloster, mit der sie Amandus am Schluss rettet, gipfelt letztlich in einer Art Liebestod für Amandus.

Oper Bonn/Der singende Teufel/Dshamilja Kaiser (Alardis), Chor, Tänzer/Foto: © Thilo Beu

Die Einzige, die ehrlich an Gott glaubt, ist Alardis, die Priesterin der Heiden. Djamilia Kaisers  Mezzosopran verkörpert Autorität und Stärke. Es ist zwar eine Naturreligion, die die Sonnenwende mit dem Opfer einer Jungfrau feiert, aber nur Alardis setzt dem agnostischen Pilger etwas entgegen, während Amandus zutiefst traumatisiert vom Verhalten der Mönche ist und ratlos zurückbleibt. Pavel Kudinov verleiht dem Ritter Sinbrand vom Frass polternde Bass-Konturen. Bariton Carl Rumstadt schafft es, nach dem dritten Akt noch einmal als ungläubiger maurischer Pilger Spannung aufzubauen. Aus der Sicht des Pilgers ist der Schluss folgerichtig: Nur Lilian, die keine Christin ist, also nicht Teil des Systems wie Amandus, kann die Machthaber, die den singenden Teufel missbraucht haben, vernichten.

Die spätromantische Tonsprache Schrekers, die über die klassische Tonalität hinausgeht, ist faszinierend und farbig. Die mit Mitteln des Ausdruckstanzes bebilderten Orchesterzwischenspiele wirken attraktiver als die Gesangsphasen, werden aber noch übertroffen von den Chorpassagen, in denen Schreker seine kompositorische Meisterschaft dokumentiert. Es ist ein großes Musikdrama mit enormen Steigerungen. Die Inszenierung des „singenden Teufels“ als Künstlerdrama ist unbedingt sehenswert und zeigt in beklemmender Weise, wie die Musik missbraucht werden kann, um Macht zu erhalten. Ein großer Opernabend mit charismatischen Stars!

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Bonn / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Bonn/Der singende Teufel/Mirko Roschkowski (Amandus Herz), Anne-Fleur Werner (Lilian)/Foto: © Thilo Beu
Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert