Mit der Oper ANNA BOLENA bringt das Opernhaus Zürich die zweite der drei Tudor-Opern auf die Bühne. Eigentlich ist diese Oper der erste Teil dieser Trilogie, als Elisabeth I. noch ein kleines Mädchen war. Mit dem Bild, wie die kleine Elizabeth einsam auf dem riesigen Thron sitzt, beginnt auch David Alden‘s Inszenierung. Im Verlaufe der Handlung erscheint sie immer wieder und man beginnt zu ahnen, wie für sie das Schicksal ihrer Mutter Anna Bolena zu einem traumatischen Erlebnis werden wird. Dies dürfte auch ein Grund sein, warum sie später zur harten und brutalen Herrscherin wurde. Gaetano Donizetti und sein Librettist Felice Romani haben das Drama über die letzten Tage der Anna Bolena vor deren Hinrichtung emotionsvoll in Szene gesetzt. Man erlebt eine Frau, die von Enrico VIII als Gattin bereits aufgegeben war und ausgerechnet durch ihre Hofdame Giovanna Seymour abgelöst werden wird. (Rezension der Premiere vom 5.12.2021)
Auf Befehl von Enrico VIII wird Anna’s Jugendfreund Percy aus taktischen Überlegungen nach langen Jahren wieder aus der Verbannung zurückgeholt. Anna’s Bruder, Lord Rochefort, berichtet von ihrem trostlosen Leben am Hof. Percy macht sich wieder Hoffnungen, von Anna erhört zu werden. Aber Enrico verfolgt einen Plan und lässt die beiden überwachen.
Smeton, Anna‘s Musiker, liebt diese heimlich. Er hatte ein Portrait von ihr gestohlen und will dieses zurückbringen. Dazu schleicht er in ihr Gemach, wo kurz darauf Percy um ein Treffen mit Anna bittet. Zwar zögert sie zuerst, lässt sich dann aber trotzdem darauf ein. Sie wehrt sich gegen Percy‘s Liebesbekundungen und bittet diesen, England zu verlassen. Darauf will Percy sich das Leben nehmen. Jedoch Smeton, welcher diese Szene aus seinem Versteck beobachtet hat, glaubt, er wolle Anna angreifen. Er stürmt auf diesen zu. Nun betritt der König den Raum und beschuldigt die beiden des Ehebruchs. Als Smeton das Portrait von Anna aus der Hand fällt, findet er sich bestätigt und lässt Anna, wie auch die beiden Männer, in den Kerker führen.
Anna’s Hofdamen beklagen das Schicksal ihrer Königin und werden von Sir Hervey, Heinrich‘s Vertrautem, als Zeugen vor das Gericht gerufen. Anna bittet Gott um Beistand. Giovanna will Anna überzeugen, ein Geständnis abzulegen, um dadurch ihr Leben zu retten. Anna jedoch lehnt dies entrüstet ab und verflucht die Nebenbuhlerin. Giovanna, von ihrem Gewissen geplagt, gesteht schließlich, selbst ihre Rivalin zu sein. Anna ist fassungslos, verzeiht aber schließlich der Nebenbuhlerin. Sie erkennt, dass Enrico die Schuld an dieser Situation trägt, denn er habe sie dazu verführt.
Durch Folterungen geschwächt, gesteht Smeton, mit der Königin Ehebruch begangen zu haben. Anna und Percy begegnen dem König auf dem Weg zum Gerichtssaal. Anna fleht den König an, Sie nicht der Schmach eines Prozesses auszusetzen und Percy versichert seine Unschuld. Durch Enrico‘s Wut herausgefordert, behauptet Percy, er sei mit Anna verheiratet. Der König ist ausser sich und schwört Rache, welche auch ihre Tochter Elizabeth treffen soll. Giovanna bittet verzweifelt um Gnade für Anna. Da verkündet Sir Hervey, die Königin und die anderen Schuldigen seien zum Tode verurteilt worden.
Percy und Rochefort verabschieden sich von einander, da teilt ihnen Sir Hervey mit, dass sie begnadigt worden seien. Die beiden entscheiden sich jedoch, Anna zu folgen und wählen den Tod. Annas Hofdamen verkünden, dass die Königin dem Wahn verfallen sei. Sie wartet auf die Hinrichtung und erlebt dabei Jugenderinnerungen. Als die Festmusik ertönt, welche die Hochzeit von Enrico mit Giovanna begleitet, erwacht sie aus dem Wahn. Smeton gesteht ihr, den Meineid nur geleistet zu haben, damit sie gerettet werde. Auch ihm verzeiht Anna und bittet den Himmel, ihren Kummer zu beenden. Percy, Rochefort und Smeton werden zum Richtplatz geführt. Anna vergibt auch dem neuen Königspaar und hofft dadurch, dass der Himmel auch ihr vergeben möge. Da erscheint der Henker.
David Alden und sein Ausstatter Gideon Davey lassen diese düstere Handlung in einem raffiniert ausgeleuchteten Bühnenraum spielen, welcher mit nur wenigen Requisiten eine sonderbare Stimmung erzeugt. Wie bereits in seiner Maria Stuarda-Inszenierung, schafft er sehr intime Momente und bewegende Chorauftritte. Die Sänger/innen erhalten dadurch eine eindringliche Wirkung und können, ohne von der Ausstattung erdrückt zu werden, ihre Rolleninterpretation gestalten. Eine hohe Mauer und eine riesige Holzwand, welche auch Einblicke von aussen auf das Geschehen erlauben, zeigen, wie verloren die einzelnen Personen in dieser Welt der Macht sein können. Die Kostüme waren einerseits von der Originalzeit inspiriert, aber auch durch die Mode der 50er-Jahre, was andeutet, dass diese Geschichte um Macht und Verlust, wenn vielleicht auch nicht mit solcher Brutalität, sich jederzeit wiederholen kann. Das Lichtdesign stammt von Elfried Roller, die Videoprojektionen von Robi Voigt.
An diesem Abend gab es ein wichtiges Debut in der Rolle der Anna Bolena zu erleben. Diana Damrau sang diese sehr anspruchsvolle Partie mit lyrischer Stimme und liess den leidenden Charakter dieser Figur aufleuchten. Durch ihr eindringliches Spiel mit feinen Nuancen vermittelte sie den Leidensweg der Königin. Weder Protz, noch Effekthascherei prägten diesen Auftritt, vielmehr waren es die berührenden Piani und eine hervorragend kontrollierte Virtuosität. Wie bereits als Maria Stuarda, konnte sie auch in dieser Partie überzeugen und wurde vom Publikum dafür gefeiert.
Giovanna Seymour wurde von Karine Deshayes gestaltet. Mit dieser Rolle debütierte sie eindrücklich am Opernhaus Zürich. Die Sängerin verfügt über eine große Mezzosopranstimme, welche alle Anforderungen für diese Partie mühelos bewältigt.
Luca Pisaroni als Enrico VIII, hat bereits Erfahrung mit dieser Rolle. Mit imposanter Bühnenpräsenz verkörpert er diesen Herrscher und dessen Brutalität, lässt aber zwischendurch immer wieder in kurzen Momenten auch Gefühle erkennen. Seine kräftige Stimme entwickelte sich im Laufe des Abends zu einem beeindruckenden Rollenportrait.
Ein weiteres Rollendebut als Smeton bot Nadezhda Karyazina. Sie überzeugte auf der ganzen Linie mit einem großartigen Mezzosopran und spielte diesen jungen Mann mit vollem Einsatz. Der russische Tenor Alexey Neklyudov in der Rolle des Percy, gestaltete seine Partie mit bestens geführtem Tenor und vermittelte die Gefühlswelt dieses unglücklich Liebenden. Eine ideale Besetzung. Lord Rochefort, Anna’s Bruder, wurde von Stanislav Vorobyov und Lord Hervey von Nathan Haller, gesungen. Beide konnten mit einer starken Leistung überzeugen.
Der Chor der Oper Zürich, hervorragend einstudiert von Ernst Raffelsberger, glänzte einmal mehr und bestätigte seinen ausgezeichneten Ruf.
Was wäre eine solche Opernaufführung ohne einen Dirigenten, welcher sich mit diesem Werk bis ins kleinste Detail auseinandergesetzt hat und die Philharmonia Zürich zu einer Glanzleistung zu führen verstand. Mit Enrique Mazzola, dem Musikdirektor der Lyric Opera Chicago, hatte man einen der ganz großen Kenner des Belcanto dafür gewonnen. Sei es die Dramatik, genauso wie die ganz berührenden Momente der Partitur, stets konnte man spüren, was ein homogenes Zusammenspiel zwischen dem Orchester und dem Dirigenten hervorbringen kann. Man freut sich bereits auf die erneute Begegnung in der nächsten Spielzeit, wenn diese Trilogie komplettiert werden wird.
Alle Mitwirkende wurden mit starkem Applaus gefeiert und man verließ das Opernhaus mit dem Eindruck, Große Oper erlebt zu haben.
Diese Aufführung war der kürzlich verstorbenen Edita Gruberova gewidmet, welche an diesem Haus über 230 Aufführung gesungen hatte und auch in der Partie der Anna Bolena zu hören war. Mit einer Schweigeminute wurde ihrer gedacht.
- Rezension von Marco Stücklin / Red. DAS OPERNMAGAZIN-CH
- Opernhaus Zürich / Stückeseite
- Titelfoto: Opernhaus Zürich/ANNA BOLENA/Chor, Diana Damrau/Foto @ Toni Suter