Opernglück auf der ganzen Linie! Nicht nur die zahlreichen Wagnerianer, die in die Kölner Philharmonie gepilgert waren, um das Konzert mit Andris Nelsons und dem Orchester der Bayreuther Festspiele zu erleben, feierten die Rückkehr der Normalität (3G) mit großem, sattem Orchesterklang und Starsolisten in die Kölner Philharmonie mit Riesenapplaus. Am 25. August 2021 endeten die Bayreuther Festspiele mit Szenen aus dem „Ring des Nibelungen“, die Nelsons jetzt in Köln wiederholte. Der Lette Andris Nelsons, Jahrgang 1978, in Köln früher öfter als Gastdirigent beim WDR-Sinfonieorchester engagiert und zurzeit Chefdirigent des Gewandhausorchesters Leipzig, zeigt hier, dass er in einer Liga mit Christian Thielemann spielt. (Rezension des Konzerts vom 30.08.2021)
Im ersten Aufzug der „Walküre“, der halbszenisch mit Klaus Florian Vogt als Siegmund, Christine Goerke als Sieglinde und Günther Groissböck als Hunding aufgeführt wurde, konnte Vogt zeigen, dass er nicht nur als Stolzing eine Idealbesetzung für Wagners jugendliche Helden ist. Seine Stimme hat genau das helle Timbre, das zu diesem tragischen Helden, der in Liebe zu seiner zwangsverheirateten Zwillingsschwester entflammt und dessen Leben der Staatsraison geopfert wird, passt. Man erlebte das Erwachen der Liebe, die in der Zeugung Siegfrieds gipfelt, in Echtzeit.
Es hat sich eingebürgert, den ersten Akt der „Walküre“ als Einakter von knapp 70 Minuten Dauer in sinfonischen Konzerten zu geben, denn der „Ring“ geht ohne diese Protagonisten weiter, und Wagner hat die opulentesten Melodien komponiert, diese Liebe und Leidenschaft zu verdeutlichen. Mit „So blühe denn, Wälsungenblut!“ ging man nach tosendem Applaus in die Pause.
Die dann folgenden orchestralen Auszüge aus „Walküre“ und „Götterdämmerung“ hatten den Charakter einer Sinfonie. Hier konnte Nelsons die Dynamik bezüglich Lautstärke und Tempi voll auskosten: ein Gänsehaut-Moment folgte dem anderen.
Der „Walkürenritt“, wohl Wagners bekanntestes Stück, als temperamentvoller erster Satz, „Siegfrieds Rheinfahrt“ als Reminiszenz und Vorschau auf die Götterdämmerung, durch die zitierten Leitmotive erkennbar, als langsamer Satz, „Siegfrieds Tod“ als Abgesang auf den Hoffnungsträger Siegfried und das Finale mit Brünhildes Gesang als trotz aller Tragik mit dem Motiv „Oh hehrstes Wunder“ ein fast versöhnlicher Abschluss. Hier zeigte das Orchester, dass es in der Tat aus den besten Musikern aus renommierten Orchestern besteht, die alljährlich eigens für die Bayreuther Festspiele verpflichtet werden.
Stellvertretend sei der Erste Konzertmeister José Maria Blumenschein genannt, der diese Position auch im WDR-Sinfonieorchester bekleidet, mit dem Nelsons früher häufig gearbeitet hat.
Die rein orchestralen Phasen erzeugten absolute Hochgefühle, weil man in konzentrierter Form den „Ring“ mit seinen Leitmotiven erlebte. Christine Goerke als Brünhilde hatte allerdings Mühe, sich gegen 106 Instrumentalmusiker durchzusetzen und wirkte etwas angestrengt.
Vogt behauptete sich gegen das Orchester, das mit 16-fach besetzten Violinen und vierfach besetzten Bläsern hinter ihm platziert war, nicht so mühelos wie in Bayreuth. Weil Nelsons große Sorgfalt darauf verwendete, das Orchester bei den Gesangspassagen nicht zu laut werden zu lassen war es der Platzierung geschuldet, dass die rein orchestralen Passagen deutlich satter und dynamischer und vielleicht auch präziser wirkten als aus dem Bayreuther Graben.
Günter Groissböck dagegen konnte sich mühelos durchsetzen. Mit seinem schwarzen Bass als Hunding wirkte er richtig gefährlich; die Spannung zwischen ihm und Vogt als Siegmund war mit den Händen zu greifen, zumal beide mit exzellenter Textverständlichkeit sangen. Man hätte die Übertitel nicht gebraucht.
Nicht ganz dieses Niveau erreichte Christine Goerke als Sieglinde und als Brünhild. Da habe ich Camilla Nylund und Catherine Foster schmerzlich vermisst, die diese Partien in Bayreuth im Castorf-Ring verkörpert haben. Auch die Textverständlichkeit ließ bei Goerke zu wünschen übrig.
Es ist nicht unproblematisch, das Orchester, das gewöhnt ist, den Blicken des Publikums verborgen, im „magischen Abgrund“, dem gedeckelten Orchestergarben im Bayreuther Festspielhaus, in dem der Schall gedämpft und gebrochen wird, bevor er sich mit den Stimmen der Sänger*innen mischt, auf die Bühne zu setzen.
Der wahre Star des Abends war Andris Nelsons, der vermutlich auch deshalb nach Leipzig gegangen ist, weil dort alle 13 Opern Richard Wagners im Repertoire sind. Wagner liegt ihm offensichtlich. „Wahnsinnig gut musizierter Wagner“ titelte Franziska Stürz für den Bayrischen Rundfunk über das erste Konzert, das Nelsons am 22.8.2021 in Bayreuth gab. Dass Nelsons 2016 das Dirigat des Parsifal niederlegte – es sprang kurzfristig Hartmut Haenchen ein – ist sicher nicht das Ende seiner Karriere als Dirigent bei den Bayreuther Festspielen, wie er mit seiner Rückkehr auf den „grünen Hügel“ im August 2021 beeindruckend gezeigt hat.
In Essen (31.8.), Paris (1.9.) und Riga (2.9.) wird der zweite Teil des Konzerts mit Auszügen aus „Lohengrin“ und „Parsifal“ kombiniert.
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Titelfoto: Andris Nelsons / Foto @ Marco Borggreve