Im Kohlenpott der sterbenden Zechen
HANS HEILING – Premiere am 25.02.2018
Schicht im Schacht!
Glückauf, Glückauf! Der Steiger kommt
und er hat sein helles Licht bei der Nacht,
und er hat sein helles Licht bei der Nacht,
schon angezünd’t, schon angezünd’t.
(Steigerlied von Reinhard Geisler)
Die ursprüngliche Geschichte platzierte Marschner in der Frühzeit der Industrialisierung – frei nach dem Libretto:
Hans Heiling, der schon in mittlerem Alter stehende König der Unterweltgeister, verlässt – unter Protest seiner Mutter und der „Nibelungen“ – seine unterirdische Höhle. Er hat sich in die sterbliche Anna verliebt und möchte sie heiraten.
Das geht bei solchen Sagengestalten meist so schief, wie z.B. auch in Wagners „Der Fliegende Holländer“ (ähnliche Geschichte – nur mehr Format und viel besseres Libretto). Da gibt es auch noch Annas Mutter. Diese wird, wie alle Mütter von Töchtern, wenn sie reiche Schwiegersöhne sehen, geldgierig selbstlos ;-).
Sofort gerieren ihre Pupillen zu Dollarsymbolen und sie sagt „Jaaaaaaaah, der isset!“ Egal was die Tochter fühlt. Doch diese ist tatsächlich vom Glitzertand aus der Erdentiefe beeindruckt. Zuerst sagt sie ja; später aber nein. „Oh wie so trügerisch sind Weiberherzen„.
Geld regiert doch nicht die Welt bei den einfachen Leuten. Es gab noch die wahre ehrliche Liebe anno 1960 auf Schalke. Denn da existiert der brave und äußerst unkomplizierte junge Bursche Konrad.
Wir ahnen es, das muss schief gehen. Fazit: älterer Hochadel und jüngere Bürgersfrau gehen in den 60er Vor-Viagra-Jahren keinesfalls zusammen. Alles endet im Chaos. Bürgerdämmerung. Ende!
Hand aufs Herz, liebe Opernfreunde, was für eine betulich langweilige Story. Kein Wunder, daß die Oper – trotz herrlicher Musik, angesiedelt zwischen Weber, Mendelssohn und frühen Wagner, so selten aufgeführt wird. Wer will heute so einen Romantiker-Märchen-Kappes sehen… (Achtung: Ironie!). Jau, wir haben den Freischütz und wir haben den Holländer und wir haben die Götterdämmerung – subalterne Versionen davon braucht keiner. Wirklich Keiner?
Da haben Sie aber die Rechnung ohne Musiktheater-Regisseur Andreas Baesler gemacht, denn er (ich kenne in den letzten 30 Jahren keine einzige schlechte Regiearbeit von ihm) schafft es immer wieder, tolle spannende Geschichten zu erzählen; auch von schwachen Vorlagen. Einem Baesler kann man blind vertrauen – so meine Erfahrung. Auch gehört er zu denen, die ihr Fach noch richtig gelernt haben. Ein spannender Abend ist also garantiert. Ich sollte mich nicht täuschen.
Baesler hat die Geschichte kongenial in die frühen 60er Jahre verlegt. Zeit des Zechensterbens. Da waren die Krupps (von Bohlen und Hallbachs) immer noch die „Bergkönige“ – zumindest diejenigen, die mit dem Produkt aus Kohle eine der größten Dynastien Deutschlands einst gegründet hatten. Hoch überm Baldeneysee thront noch immer die gigantische Villa Hügel – Markstein und Sinnbild für den Erzkapitalismus.
So ist es durchaus nachvollziehbar, wenn dann das Regieteam eben diese Familie Krupp – besonders die Rolle des Alfried (Stichwort: unstandesgemäße Heirat) – als Folie für diese Inszenierung verwendet, welche dadurch, um es gleich vorweg zu nehmen, einfach grandios realistisch spannend wird und historisch fasziniert. So sollte Musiktheater heute sein. Man ignoriere bitte die Unkenrufe der Puristen.
Und endlich endlich endlich !!! wieder tolle handwerklich aufwendige Bühnenbilder (Harald B. Thor) mit aufwendigen Umbauphasen in Essen; so wird unter anderem das Arbeitszimmer in der Villa Hügel ziemlich genau nachgebildet. Und auch die Bergbau-Requisiten passen perfekt. Der Zauberkasten Opernbühne mit all seinen Finessen beweglichen Böden und Rampen funktioniert also doch noch und wird an diesem Abend perfekt bewegt. Jede Szene ein neues Bild. Bravissimo!!
Daß es dann passiert – wie gestern auf der Premiere – daß obwohl im Programmheft deutlich steht „Pause nach dem ersten Akt“, schon 20 Minuten vor Ende des selbigen (als das Licht kurz an geht) sich Scharen überwiegend älterer Opernbesucher unbeirrt auf den Weg in die Pause machen und sich selbst durch Zurufe -„Hallo, es ist noch keine Pause!“ – nicht von ihrem Weg abbringen lassen, muß man halt in Kauf nehmen. Irgendwie für mich erklärbar, denn man war es halt bisher – überwiegend durch diese elenden billigen und lustlosen Einheitsbühnenbilder – stets gewohnt, daß Licht-an gleich In-die-Pause-gehen bedeutete.
Ärgerlich, daß anscheinend (?) die vielen Türsteher/Schließer nur für die Zeit bis Vorstellungsbeginn und dann nur in der Pause bezahlt werden, denn von Ihnen war während des vorzeitigen Ausbruchs weit und breit nichts zu sehen und zu hören. Sollten die nicht die Türen bewachen? Gibt es keine Arbeitsplatz-Beschreibung?
Nicht wenige Stimmen aus dem treu verbliebenen Publikum mutmaßten „Woll, die sind bestimmt alle in der Kantine“. Den gleichzeitigen Toilettenbesuch so vieler Leute, halte auch ich für unwahrscheinlich. Doch die Reaktion im Essener Haus kam schnell – so wurde, kluger Weise, im zweiten Teil des Abends die Auditoriumsbeleuchtung bei den Lichtpausen erst gar nicht mehr an gemacht. Bravo und Dank für so viel spontane Flexibilität.
Schön, daß der edle Operngänger an diesem Abend auch sehr viel über das schwere Handwerk der Kumpels unter Tage erfuhr; ein toller historischer Film unterhielt das Publikum während der ellenlangen Ouvertüre.
Die Zwischentexte im ur-schalker Platt (Hans Günter Papirnik) und der Auftritt des originalen Bergwerkorchesters Consolidation mit dem Steigerlied war ein Träumchen. Hoffentlich singen in den kommenden Abo-Vorstellungen demnächst mehr Menschen mit…
Fabelhafter Realismus und Zeitgeist-Kolorit fand sich in den Kostümen von Gabriele Heimann. Der Opernchor des Aalto Theaters (Jens Bingert) in vorzüglicher Zusammenarbeit mit der Statisterie leistete Großes, sowohl gesanglich wie darstellerisch begeistert diese Lebendigkeit.
Gesanglich gut agierten und sangen Jessica Muirhead (Anna), Heiko Trinsinger(stets omnipräsent in der nicht einfachen Titelrolle), die Königin der Erdgeister (Rebecca Teem), Bettina Ranch (Mutter von Anna) und Jeffrey Dowd als überzeugender Konrad.
Frank Beermann leitete die Essener Philharmoniker vorzüglich und arbeitet das leicht wabernd Romantische durchaus locker und lyrisch, als wärs ein Stück von Mendelssohns, sicher heraus. Man könnte auch sagen: weniger Wagner mehr Weber. Nichts desto trotz ist Heinrich Marschner einfach schöne Musik und man würde sich freuen vielleicht demnächst auch einmal den VAMPYR oder den TEMPLER UND DIE JÜDIN am gleichen Orte erleben zu dürfen. Das Potential ist in Essen durchaus vorhanden.
et cetera:
Musikbeispiel 1
Die 9 minütige Overtüre ist schon etwas ganz Besonderes und hat durchaus Wagner-Dimensionen…
Musikbeispiel 2
Hören Sie mal den wunderbaren Schluss – der muß sich hinter Wagners „Tannhäuser-Finale“ nicht verstecken. In Essen ist er natürlich noch viel besser und gewaltiger gespielt ;-)))
- Vielen Dank an Peter Bilsing /Der Opernfreund(25.2.2018) für die Überlassung seiner Rezension!
- Titelfoto: Aalto Musiktheater Essen/ HANS HEILING/ Foto @ Thilo Beu
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