
Auch 4 1/2 Jahre nach der Premiere verfügt diese Inszenierung noch immer über eine ungebrochene Faszination, erzielt eine ungemein starke Sogwirkung, begeistert und überwältigt mit der Kraft der Groteske. Andreas Homoki und dem Ausstatter Michael Levine ist damit ein Meisterwerk, ja ein Meilenstein gelungen und man mag den WOZZECK kaum mehr anders sehen. Ganz persönlich muss ich sagen, dass dieses Gesamtkunstwerk sich in die Top Ten all meiner gesehenen Opernaufführungen einreiht. Mehr dazu lesen Sie bitte in meiner Rezension der Premiere von 2015! (Kurzkritik der Wiederaufnahme v. 9.2.2020)
Ein ganz großes Glück dieser erfreulichen Wiederaufnahme (nicht selbstverständlich in Zürich für ein Werk des 20. Jahrhunderts, das nicht von Richard Strauss oder Puccini stammt …) ist natürlich, dass der herausragende Bariton Christian Gerhaher für die Titelrolle erneut zur Verfügung stand. Seine Interpretation des Wozzeck ist wahrlich eine Wucht! Die Diktion, wie immer bei diesem Ausnahmesänger, exemplarisch, die musikalische Gestaltung, die Phrasierung, die grandiose dynamische Abstufung einzigartig, bewegend und unter die Haut gehend.

Mit von der Partie ist erneut Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als phänomenaler Hauptmann, der diese schwierige Partie mit stupender Souveränität meistert. Auch die kleineren Partien der Handwerksburschen (Pavel Daniluk und Cheyne Davidson), der Margret (Irène Friedli), des Burschen (Tae-Jin Park) und des Narren (Martin Zysset) waren erneut den bewährten Kräften des Ensembles anvertraut, wobei insbesondere Pavel Daniluk und Irène Friedli mit ihren Interpretationen ganz besonders zu begeistern vermochten. Gun-Brit Barkmin sang erneut die Rolle der Marie, diesmal stimmlich etwas schriller und exaltierter als vor knapp fünf Jahren, oftmals die Schmerzgrenze des Ohrs streifend, aber überwältigend in ihrer Darstellung.
Neu hinzugekommen ist der Doktor von Jens Larsen, die wohl beängstigendste Figur der Oper, welcher der grossartige Bassist der Komischen Oper Berlin nichts an Dämonie und Menschenverachtung schuldig blieb. Neu besetzt sind auch der Tambourmajor mit Daniel Brenna, sicher nicht nur im stimmlichen Ausdruck, sondern auch mit bestechender darstellerischer Sicherheit auf dem schmalen Steg agierend und der kumpelhaft und einnehmend gestaltende Andres von Iain Milne. Als Mariens Knabe machte Braulio Camarena mit seinen zarten Hopp-hopp-Rufen auf sich aufmerksam – der Sohn des großen Belcanto-Tenors Javier Camarena in den Fußstapfen des Papas?

Und neu ist auch der Dirigent dieser Wiederaufnahmeserie: Hartmut Haenchen gibt mit diesem herausragenden Dirigat sein Debüt am Opernhaus Zürich mit einer zupackenden, präzisen, wo nötig auch wuchtig aufrüttelnden Lesart der genialen Partitur. Es ist zu hoffen, dass dieser exzellente Dirigent auch für andere Produktionen ans Haus zurückkehren wird. Die Philharmonia Zürich spielte die unglaublich starken Zwischenspiele mit bestechender Sauberkeit, Luzidität und eben auch Sinnlichkeit. Wer’s schon 2015 gesehen hat, darf gerne nochmals hingehen, wer’s damals verpasst hat, sollte dies unbedingt tun!
Musikalische Leitung Hartmut Haenchen Inszenierung Andreas Homoki Ausstattung Michael Levine Kostümmitarbeit Meta Bronski Lichtgestaltung Franck Evin Choreinstudierung Janko Kastelic Dramaturgie Kathrin Brunner
Nächster Termin: 18.2.2020
(Kritik Premiere v. 13.9.2015)
- Gast-Rezension von Kaspar Sannemann
- Opernhaus Zürich / Stückeseite
- Titelfoto: Opernhaus Zürich/WOZZECK/Christian Gerharer und Chor/ Foto @ Monika Rittershaus