Das Publikum wünscht sich Wagner, das fast-Staatstheater Regensburg liefert – und wie! Mit Tristan und Isolde wagt sich das Haus nicht nur an eines der schwierigsten Werke Richard Wagners, ihm gelingt noch dazu eine Aufführung, die im Verhältnis zur Größe des Hauses und zu nicht unerheblichen Startschwierigkeiten glatt als Muster-Aufführung durchgeht. (Besuchte Vorstellung: 28.09.2024)
Ein guter Tristan steht und fällt mit dem Orchesterklang. Damit die Musik ihre berühmte Sogwirkung entfalten kann, müssen all ihre Dissonanzen, Spannungen und Klangbögen gut transportiert werden. Das Theater Regensburg mit seiner für größere Besetzungen eher ungünstigen Akustik ist daher auf den ersten Blick kein guter Ort für dieses Werk – schon bei manchem Verdi wird es schwierig. Gewiss, das Haus hat in der Vergangenheit schon mehrfach ein Händchen für Wagner bewiesen, sei es mit dem Fliegenden Holländer, dem Lohengrin oder auch mit Tristan und Isolde. Die Schwierigkeiten bleiben trotzdem, zumal diese Neuproduktion der erste Regensburger Wagner für Intendant Sebastian Ritschel und GMD Stefan Veselka ist.
Doch Veselka und das Philharmonische Orchester Regensburg kommen mit der Akustik nicht nur zurecht, sie meistern sie förmlich. Vom ersten Ton an füllt ein warmer, voller Klang den Theaterraum, einer, der mal sanft schwebt und sich mal mit aller Gewalt aufbäumt, ohne je den Saal zu sprengen. Kurz: Ein Tristan-Klang, der besser kaum sein könnte. Veselka kostet diesen Klang im Vorspiel voll aus: Er lässt sich Zeit, lässt manche Phrasen fast in Zeitlupe spielen, was der Spannung der Komposition aber keinen Abbruch tut. Biss hat das Dirigat hier schon. Ab der ersten Szene steigert er das Tempo jedoch gewaltig; Der ungekürzte Tristan bleibt, die Pausen nicht mit eingerechnet, schließlich deutlich unter der vier-Stunden-Marke. Einen abrupten Bruch gibt es aber nicht, auch wirkt Veselkas Dirigat nie gehetzt, die langen musikalischen Bögen kostet er genauso aus wie die schmachtenden Melodien. Dass es bei den Bläsern gelegentlich bei der Intonation hapert ist geschenkt, man vergisst es in der Magie der nächsten Phrase.
Leider gerät gerade der erste Aufzug auf der Bühne deutlich zu wuselig. Ständig läuft der – von Lucia Birzer übrigens großartig einstudierte – Chor durchs Bild, Regisseur Dennis Krauß inszeniert zudem bereits ins Vorspiel hinein, was von der Musik ablenkt und die Wirkung von Wagners Klangwogen deutlich mindert. Noch dazu braucht es die hier gezeigte Szene eigentlich nicht. Kristopher Kempfs Bühnenbild erzählt die Vorgeschichte schon ausreichend: Schauplatz aller drei Szenen ist ein Schiffsrumpf, eine Art Lagerraum mit hohen Wänden, schwer zu erreichenden Türen und herumliegenden Fässern. Dass Isolde wie ein Stück Ware an König Marke übergeben werden soll, wird so deutlich genug, ohne dass man noch sehen muss, wie sie in den Lagerraum geschleppt wird.
Die Unruhe während des ersten Aufzugs ist aber wohl der einzige Vorwurf, den man Krauß‘ Inszenierung machen kann. Abgesehen davon glänzt der Jungregisseur mit einer Personenregie, von der sich manches große Opernhaus noch eine Scheibe abschneiden kann. So etwa das Schlussbild des ersten Aufzugs: Tristan, der sich seine Gefühle für Isolde nun eingestanden hat, ringt sich in den letzten Takten dazu durch, König Marke zu salutieren. Isolde starrt ihn entsetzt an, stellt er sich hier doch wieder auf die Seite ihres Feindes. Durch diese kleine Interaktion gewinnen große Teil des Dialogs im zweiten Aufzug an Prägnanz, jene, in denen Isolde Tristan vorwirft, zu lang noch dem bösen Tag gedient zu haben. Sie beziehen sich nun nicht nur auf die Vorgeschichte, sondern auf konkrete Ereignisse des ersten Aufzugs. Auch Tristan-Kenner hängen nun auf einmal gebannt an den Lippen der Darstellenden – oder an den Übertiteln.
Corby Welch gelingt in dieser Inszenierung ein fulminantes Rollendebüt als Tristan. Mit strahlendem Heldentenor gestaltet er die Partie so sicher, als ob er sie schon zehnmal gesungen hätte. Auch bei der Premiere weiß er schon genau, wie er sich seine Kräfte einteilen muss. Teilweise schont er seine Stimme in den ersten Aufzügen hörbar, was man sonst kräftig kennt, wird bei ihm ganz zart, aber dafür trumpft er im Dritten mit einem äußerst kraftvollen Wahnsinn auf. Die manchmal doch sehr leisen Töne passen zudem zur Anlage der Figur: Dieser Tristan ist vom ersten Augenblick an panisch. Mag er nur vor Kurwenal und Brangäne noch selbstsicher und unnahbar wirken, allein mit Isolde will er nur eines: weg. Er sucht nach Auswegen, drückt sich in kleinste Ecken, um Abstand von der Frau zu gewinnen, deren Verlobten er einst getötet hat. In mancher Inszenierung wirkt Tristan neben Isolde etwas blass – hier ist er von Anfang an eine deutlich greifbare Figur.
Die Isolde singt Kirstin Sharpin mit klarem, wenn auch in der Höhe etwas brüchigem Sopran. Sie begeistert vor allem durch ihre Textverständlichkeit und einfallsreiche Phrasierung. Der Sarkasmus, mit dem Isolde im ersten Aufzug ihrem Umfeld begegnet, ist selten deutlicher ausgespielt worden. Und auch sie weiß sich ihre Kräfte einzuteilen: Der Liebestod klingt nicht weniger frisch als der erste Auftritt. So ist sie – die mit ihrer ersten ungekürzten Isolde gewissermaßen auch ein Debüt feiert – die ideale Partnerin für Welch. Darstellerisch sind beide auf einem Level und ihre Stimmen harmonieren perfekt, gerade natürlich in der Liebesszene des zweiten Aufzugs.
Alle übrigen Partien sind aus dem Ensemble besetzt, was schon allein beeindruckend ist. Nicht wenige (noch-)Stadttheater haben wohl eine so starke Brangäne wie Svitlana Slyvia, die hinreißende „Einsam wachend in der Nacht“-Rufe beisteuert oder einen so souveränen, imposanten König Marke wie Roger Krebs – der in Krauß‘ Inszenierung übrigens ein gutes Stück böser daherkommt als andere Markes. Eine darstellerische wie sängerische Meisterleistung kommt von Seymour Karimov als Kurwenal. Mit kernigem, dunklen Bariton ist er nahezu eine Idealbesetzung für die Partie, die er vokal angenehm abwechslungsreich gestaltet. Dazu spielt er die eigentlich eher unscheinbare Figur Kurwenal ausgesprochen lebendig. Karimov ist immer in Bewegung, immer präsent, seine Gefühle kennt man fast genauso gut wie die seines Herrn. Hany Abdelzaher setzt als junger Seemann und Hirte zwar etwas zu sehr auf nicht notwendige Lautstärke, ist sonst aber souverän und schauspielerisch stark, Benedikt Eder ist ein erstklassiger Melot, Michael Daub rundet das Ensemble als Steuermann ab. Mit dieser grandiosen Besetzung gelingt in Regensburg ein fantastisches Gesamtkunstwerk. Der Abend vergeht wie im Flug und es ist klar: Wer diese Saison erstklassigen Wagner sehen will – der muss nach Regensburg.
- Rezension von Adele Bernhard / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Theater Regensburg / Stückeseite
- Titelfoto: Theater Regensburg/TRISTAN UND ISOLDE/Corby Welch & Kirstin Sharpin/Foto © Sylvain Guillot