„Tristan und Isolde“ in Bayreuth in der Inszenierung von Roland Schwab stürmisch bejubelt

Bayreuther Festspiele 2022; Tristan und Isolde/C. Foster u. S. Gould/Foto @ Enrico Nawrath

Der große Überraschungserfolg der diesjährigen Bayreuther Festspiele ist „Tristan und Isolde“ in dem ästhetisch überzeugenden Bühnenbild von Piero Vinciguerra mit umwerfenden Lichteffekten  in der Inszenierung von Roland Schwab. Er hat binnen kurzer Zeit ein Regiekonzept entwickelt und umgesetzt, das der großen Oper über Liebe und Tod, die in ihrer kühnen Tonsprache den Rahmen des bis 1865 Geltenden sprengt, gerecht wird, ohne mit aufgesetzten Verfremdungen das Publikum zu verärgern.  Mit Catherine Foster als Isolde, Stephen Gould als Tristan und Georg Zeppenfeld als König Marke bietet Bayreuth eine bewährte Starbesetzung auf. (Gesehene Vorstellung am 12.8.2022)

 

 

Dirigent Markus Poschner hatte nur zwei Probentage, denn er musste Cornelius Meister ablösen, der für den erkrankten Pietari Inkinen das Dirigat des „Rings“ kurzfristig übernommen hat, und hat mit dem routinierten Orchester der Bayreuther Festspiele eine eher expressionistische, die Brüche und Schärfen der Partitur betonende  und umso spannendere überzeugende musikalische Umsetzung mit Festspielqualität gestaltet. Auch die Kritiker der Premiere bescheinigten Poschner einen überzeugenden Auftritt auf dem grünen Hügel.

Der erfahrene Regisseur Roland Schwab, durchaus Vertreter eines kreativen Umgangs mit Werken des Musiktheaters, hatte den richtigen Ansatz: er knüpfte an die sehr reduzierte Inszenierung von Wieland Wagner aus dem Jahr 1962 an, die als eins seiner bedeutendsten Theaterkunstwerke gilt. Für Wieland Wagner war „Tristan“ kein mittelalterliches Epos, sondern ein mythisches Werk, ein anonymer Ausdruck kollektiver Wahrheiten. Es ist der Mythos des tödlichen Eros, die Vollendung der Leidenschaft im Tod. „Der sogenannte Tod ist bei Wagner immer der Durchbruch in die Transzendenz, das Erlebnis des kosmischen Eros“, so Wieland Wagner in einem Brief an Karl Mühlberg vom 20. Februar 1960.

Roland Schwab fokussiert seine Deutung ganz auf die Beziehung zwischen Tristan und Isolde und verlässt sich dabei ganz auf die Kraft von Richard Wagners Text und Musik und auf seine beiden charismatischen Hauptdarsteller. Er hat mit seinem Bühnenbildner Pierro Vinciguerra eine wunderbar poetische Ausdeutung von Wagners „Handlung mit Musik“ geschaffen, die in ihrer überwältigenden Lichtästhetik (Lichtregie: Nicol Hungsberg) auf der ganzen Linie überzeugt. Es ist Wieland Wagners Grundidee, umgesetzt mit modernen Mitteln wie LED-Animationen und Videoprojektionen.

Bayreuther Festspiele 2022; Tristan und Isolde/Foto @ Enrico Nawrath

Der erste Akt beginnt mit einem Wow-Effekt: die Mitte der Bühne nimmt ein elliptischer Swimmingpool ein, der auf einem Kreuzfahrtschiff sein könnte. In dem Pool spiegelt sich der blaue, leicht bewölkte Himmel, den man durch eine elliptische Öffnung in der oberen Ebene sehen kann. Beide Ebenen sind durch eine senkrechte anthrazitfarbene Wand auf parabelförmigem Grundriss begrenzt. Die Wand wird nach hinten niedriger, wodurch der Eindruck einer großen Raumtiefe entsteht. Im Brennpunkt dieser Parabel steht eine Projektionswand, die zu Beginn des 2. Akts weiß angeleuchtet ist. Es entsteht die Illusion einer großen Bühnentiefe, weil die beiden Ebenen sich in einem Winkel zueinander zum Zuschauerraum hin öffnen. Auf der oberen Ebene, es könnte die Kommandobrücke eines Schiffs sein, stehen Tristan und Kurwenal.

Schwarz und Vinciguerra interpretieren die Gefühle des Paares mit Bildern, die in den beiden Ellipsen projiziert sind. Bei Isoldes Ausruf: „Tod uns beiden“ färbt sich das Wasser blutrot, und nachdem Tristan und Isolde den Sühnetrank getrunken haben, verdunkelt sich der ursprünglich strahlend blaue Himmel, der Pool wird zum reißenden schwarz-weißen Strudel, alle Farbe entweicht. Auch aus der Kleidung Tristans und Isoldes entweicht alle Farbe. Die langen Tuniken, die sie im 2. und 3. Akt tragen, erinnern an Totenhemden. Die Kostümbildnerin Gabriele Rupprecht kleidet Brangäne in ein elegantes schwarzes Kostüm, die Herren in schwarze Gehröcke mit asymmetrischen Ledereffekten – wie bei einer Beisetzung.

Im zweiten und dritten Akt spiegelt sich der Sternenhimmel auf dem Boden. Auch bei: „Oh sink hernieder, Nacht der Liebe“ entsteht wieder ein unglaublicher Sog.

Bayreuther Festspiele 2022; Tristan und Isolde/ S. Gould/Foto @ Enrico Nawrath

Im zweiten Akt findet Schwab starke Bilder für die Missbilligung der Liebesbeziehung zwischen Tristan und Isolde durch die Gesellschaft: Isolde wird von Melot mit einem Suchscheinwerfer geblendet, und auf Tristan senken sich zahlreiche parallele weiße unterschiedlich lange Neonröhren herunter. Das Muster wiederholt sich in König Markes Gehrock. Der Treuebruch Tristans wird von Georg Zeppenfeld als König Marke eindrucksvoll beschrieben. Nicht Melot bringt Tristan die tödliche Wunde bei, sondern die Lichtstäbe, die sich bedrohlich auf ihn senken und ihm zusetzen.

Zentrales Element sind große Ellipsen in zwei Ebenen, laut Schwab Symbol für Unendlichkeit. Eine Ellipse hat zwei Brennpunkte. Innerhalb der Ellipse bewegen sich nur Tristan und Isolde. Sie können anscheinend über das Wasser gehen, von den anderen traut sich niemand in die Ellipse, die die intensiven Gefühle der beiden illustriert, hinein.

Im rechten Brennpunkt der Ellipse ist im 3. Akt Tristans Krankenlager, umstanden von Kerzen, die eine nach der anderen verlöschen. Stephen Gould als Tristan schafft es bis zu seinem Ende mit einen unfassbar zart gehauchten „Isolde“ die Spannung zu halten. Warum Isolde und Tristan sich nicht „in der Mitte der Bühne begegnen“ ist mir unverständlich, vielleicht im nächsten Jahr?

Isoldes Erlösung in: „Mild und leise“ mit anrührend mädchenhaft zarter Stimme und Mut zum Piano geht unter die Haut. Markus Poschner trägt seine Sänger auf Händen, so dass sie sich gegen das exquisite Orchester der Bayreuther Festspiele, das durch den berühmten Graben gedämpft wird, nicht durchsetzen müssen.

Der bewährte Tristan Stephen Gould steht die Partie mit heldischem Glanz scheinbar mühelos durch, Catherine Foster gibt eine hochdramatische Isolde mit wunderbaren lyrischen Momenten, und Georg Zeppenfeld brilliert als König Marke. Er hat die vorbildliche Textverständlichkeit, die man bei den Frauenstimmen mitunter vermisst, was besonders auffällt, weil es in Bayreuth immer noch keine Übertitel gibt.

Bayreuther Festspiele 2022; Tristan und Isolde/S. Gould, M. Eiche/Foto @ Enrico Nawrath

Die jugendliche Brangäne (Ekaterina Gubanova), der intrigante Melot (Olafur Sigurdarson), der treue Kurwenal (Markus Eiche), der stimmschöne junge Seemann (Siyabonga Maqungo) ein Hirt (Jorge Rodriguez-Norton) und der Steuermann (Raimund Nolte) sind opulent besetzt, aber letzten Endes nur Stichwortgeber. Das Publikum der zweiten Vorstellung applaudierte begeistert und feierte Poschner, Schwab und das hochkarätige Ensemble enthusiastisch. Es gab keine Angriffsflächen. Lediglich im 3. Akt vermissten einige eine weiter gehende szenische Umsetzung, aber daran wird das Regieteam im nächsten Jahr sicher arbeiten. Nicht umsonst ist Bayreuth ein „Work in Progress“.

Nur zweimal steht diese Inszenierung des „Tristan“ von Roland Schwab auf dem diesjährigen Spielplan der Bayreuther Festspiele. Es sollte ein Lückenfüller sein für den Fall, dass, bedingt durch die Pandemie, der Chor im „Lohengrin“, „Holländer“ oder „Tannhäuser“ ausfällt, denn die wenigen Takte, die der Chor aus dem Off zu singen hat, kann man notfalls als Konserve einspielen. Nun ist „Tristan“ der Trumpf, mit dem die Festspiele im nächsten Jahr glänzen können.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Bayreuther Festspiele 2022 / Stückeseite
  • Titelfoto: Bayreuther Festspiele 2022; Tristan und Isolde/C. Foster u. S. Gould/Foto @ Enrico Nawrath

 

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Ein Gedanke zu „„Tristan und Isolde“ in Bayreuth in der Inszenierung von Roland Schwab stürmisch bejubelt

  1. Ich habe die 2. Aufführung besucht. Eine der langweiligsten Tristan-Inszenierungen (von insgesamt 22 in meinem Leben), die ich gesehen habe. Mutti und Vati hat es schön gefallen. Hinter mir wurde (während der Musik!) diskutiert, ob es sich bei der Hirtenmusik um eine Klarinette oder ein Fagott handelt. Großer Jubel. Freue mich auf den Ring nächste Woche.

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