
Johann Sebastian Bach hat die erste Aufführung der Johannes-Passion (Passio secundum Johannem), BWV 245, am Karfreitag, dem 7. April 1724, geleitet. Der erste Teil der zweiteiligen Johannes-Passion berichtet von Jesu Verrat und Gefangennahme sowie seiner Verleugnung durch Petrus; der wesentlich längere zweite Teil erzählt von Jesu Verhör und seiner Verurteilung durch Pontius Pilatus, seiner Kreuzigung und seinem Tod sowie seinem Begräbnis.
Bei der Wiederaufnahme im Jahr 1725 wurde der Eingangschor („Herr, unser Herrscher“) durch „O Mensch, bewein‘ dein Sünde groß“ ersetzt, der später zum Schlusschor des ersten Teils der Matthäus-Passion werden sollte. Zwischen den Nummern 11 und 12 der Erstfassung wurde eine Arie „Himmel reiße, Welt erbebe“ hinzugefügt, und drei weitere Stücke wurden ersetzt: die Arie „Zerschmettert mich, ihr Felsen und ihr Hügel“ ersetzt Nr. 13 („Ach, mein Sinn“), die Arie „Ach windet euch nicht so, geplagte Seelen“ ersetzt Nr. 19 („Betrachte, meine Seel“) und Nr. 20 („Erwäge, wie sein blutgefärbter Rücken“) und der Choral „Christe, du Lamm Gottes“ ersetzt Nr. 40 („Ach Herr, laß dein lieb Engelein“).
Die Aufführung, die ich am 15. Juni 2025 in der Nikolaikirche in Leipzig erlebte, wurde vom La Cetra Barockorchester & Vokalensemble Basel unter der Leitung von Andrea Marcon gestaltet. Die Darbietung wurde mit einer gleichmäßigen, feierlichen und dramatischen Interpretation des Eingangschors eingeleitet, die den Weg für die Art der bevorstehenden Lesart ebnete. Der vielversprechende Beginn wurde im folgenden Rezitativ durch den Evangelisten (Jakob Pilgram) fortgesetzt, dessen klare Artikulation in einem echten Konversationstempo ihn zu einem großartigen Erzähler mit der richtigen Emotionalität machte, die nicht in Übertreibung ausartete.

Sara Mingardo, eine echte Altistin, hat in ihren Arien, „Von den Stricken meiner Sünden“ und „Es ist vollbracht!“, die beeindruckendste gesangliche Leistung des Abends erbracht, in denen sie nicht nur eine erstklassige Technik, sondern auch einen Grad an emotionaler Tiefe zum Ausdruck brachte, den die Musik verlangt, aber selten erhält. Ebenfalls sehr beeindruckend war die Sopranistin Miriam Feuersinger, die bewies, dass es von Vorteil ist, eine erwachsene Interpretin die Arie „Ich folge dir gleichfalls mit freudigen Schritten“ singen zu lassen, denn sie brachte eine Reife und Weisheit mit, die die Unschuld, die der Text impliziert, ergänzt. In Feuersingers Interpretation wirkte die Entscheidung, Jesus zu folgen, durchdacht und nicht einfach nur blindgläubig. Mir ist nicht klar, ob Bach die Sopran- und Altstimmen für Knaben aus praktischer Erfordernis als Thomaskantor und/oder aus ästhetischen Gründen konzipiert hat.
Der Bariton Christian Wagner war ein sympathischer, warmherziger Jesus, der sich mehr auf die Würde und den Stoizismus der Figur als auf die Tragödie konzentrierte. Auch in den Bass-Arien konnte Wagner überzeugen, auch wenn seiner Stimme die Tiefe fehlte, die ein echter Bass zum Beispiel der Arie „Eilt, ihr angefochtnen Seelen“ verleihen kann. Mirko Ludwig, der die Tenorarien übernahm, war in der Arie gegen Ende des ersten Teils, „Zerschmettert mich, ihr Felsen und ihr Hügel“, unglaublich kraftvoll und überraschend höher und leichter in der Arie des zweiten Aktes, „Ach, windet euch nicht so, geplagte Seelen“, in der er fast wie ein anderer Sänger klang.
Das La Cetra Barockorchester & Vokalensemble Basel hat mit einem Orchester auf historischen Instrumenten und einem sechzehnköpfigen SATB-Chor das Optimum hervorgebracht. Marcon hat das Ensemble mit einer Nuancierung und Sensibilität geleitet, die nicht nur die musikalischen Feinheiten, sondern auch die Spiritualität und Gefühlswelt der Geschichte zum Vorschein brachte. Wenn ich überhaupt einen Kritikpunkt an der Aufführung habe, dann den, dass die kurzen Auseinandersetzungen der Figuren – unter anderem Pilatus (Guglielmo Buonsanti) und Petrus (Francesc Ortega i Martí) – im Chor mit Blick auf das Publikum und nicht untereinander stattgefunden haben. Dadurch war das Gefühl der Interaktion nicht so stark, wie es sein könnte, wenn sie direkt miteinander agieren würden.
Diese beispielhafte Aufführung unterstreicht den Wert dieser weniger bekannten Fassung der Johannes-Passion. Glücklicherweise wurde sie aufgenommen und stellt eine wertvolle Alternative zu der bereits ausgezeichneten Aufnahme dieser Version durch das Collegium Vocale Gent unter der Leitung von Philippe Herreweghe dar, die 2002 veröffentlicht wurde.
- Rezension von Dr. Daniel Floyd / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Bachfest Leipzig 2025
- Titelfoto: Bachfest Leipzig/15.6.2025/ La Cetra Barockorchester & Vokalensemble Basel, A. Marcon/Foto: Bach-Archiv Leipzig/Gert Mothes